Real Talk #6

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Staiger

 
Streit? – OK!
Eine Diskussion findet nicht statt.

 
Das Besondere an Rap ist – ich habe es schon öfter gesagt – dass ganz unterschiedliche Gesellschaftsschichten miteinander in Dialog treten. Das passiert, wenn ich mir zum Beispiel in Form des neuen Cro-Albums anhöre, was ­Menschen um die zwanzig gerade so bewegt, und führt zu seltsamen Stilblüten, wenn Studenten der Wirtschaftswissenschaften auf der ­Semesterparty zu »Chabos wissen wer der Babo ist« den Text ­mitgrölen. ­Natürlich ist da immer auch eine Spur Voyeurismus im Spiel, und auch ­Missverständnisse sind ­unvermeidlich, aber wie ­verzerrt die Botschaften auch ankommen ­mögen, sie werden z­umindest ­gesendet. Schon aufgrund der Textmenge sticht Rap ­dahingehend heraus. Zu folgern, dass ­vorhandener Gesprächsstoff jedoch zwangsläufig zum Gespräch führt, ist zu optimistisch gedacht. Behandelt ein Künstler nämlich ein kontroverses Thema, wird bei aufkommender Kritik häufig lieber geschmollt als diskutiert und darauf verwiesen, dass die Kritiker dem Kunstwerk doch überhaupt erst ihre Existenz verdanken. Und wenn das nicht zieht, werden die Fragen-Klassiker gestellt: »Wer bist du überhaupt?« »Wer bist du, dass du so etwas sagen darfst?« »Was hast du bisher geleistet?« »Warum darfst du dich überhaupt zu diesem Sachverhalt zu Wort melden?« Im ­Zeitalter moderner ­Kommunikationsmittel mag die letzte Frage vielleicht sogar ihre ­Berechtigung haben, weil im ­Internet eben jeder zu allem seinen Senf dazugeben darf. Allerdings geht es bei Kritik in erster Linie um eins: den Inhalt. Wenn eine Kritik also inhaltlich berechtigt ist, ist die Frage vollkommen irrelevant, wer diese Kritik vorgebracht hat. Dasselbe gilt natürlich auch für die Kritisierten, die sich gerne als Repräsentanten einer ­bestimmten Gruppe oder Schicht ­darstellen. Das sollen sie auch gerne machen, nur: Die Position des Sprechers macht einen Satz nicht ­automatisch wahrer. Wenn ein Satz falsch ist, ist er falsch. Klar: In dieser Gesellschaft hat es mehr Gewicht, wenn der Chef der Deutschen Bank sich zu Wort meldet, als wenn sich der Trockenbauer Heiko zu einem Sachverhalt äußert. Wahrer macht dieser Umstand einen falschen Satz jedoch nicht.
 
Meinungsfreiheit sowie ­künstlerische Freiheit ­bedeuten eben nicht, dass man alles ungestraft sagen kann, ohne dass das Gesagte kritisiert werden darf. Es bedeutet lediglich, dass man seine Äußerungen tätigen darf. Wenn sich die Kritisierten nach geäußerter Kritik beleidigt in ihre Ecke zurückziehen und behaupten, man dürfe sich ja zu gar nichts mehr äußern – so wie es zum Beispiel Thilo Sarrazin in seinem neuen Buch »Der neue Tugendterror: Über die grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland« behauptet – dann hat er ganz einfach Unrecht. Natürlich darf man alles denken, und man darf auch alles sagen. Allerdings muss man dann auch damit rechnen, verbal auf die Fresse zu bekommen. Sich jedoch hinzustellen und wehleidig zu erklären, dass man keine Lust darauf habe, weiterzudiskutieren, weil einem die Verteidigung der ­eigenen ­Inhalte zu anstrengend ist, wäre in etwa so, als würde man bei einem Boxkampf ­antreten, den ersten Schlag austeilen und sich danach beleidigt die Wange halten, wenn der andere zurückgeschlagen hat. Wer den Beef sucht, muss ihn auch aushalten können. Diese Fähigkeit scheint den meisten Menschen in unserer Gesellschaft allerdings abhanden ­gekommen zu sein. In den Talkshows ­wimmelt es von Meinungen, die mit den Worten »Ich finde« beginnen und mit »Irgendwie« aufhören. Kritik an diesen Meinungen wird mit der Begründung zurückgewiesen, dass es der andere ja »gar nicht verstehen« könne, weil der ja aus einer ganz anderen ­Berufsgruppe/Klasse/Schicht/Sparte etc. komme. Eine fundierte Begründung ist dann nicht weiter nötig, sprich: Eine Diskussion findet nicht statt und kann auch nicht stattfinden
 
Das allerdings wäre nötig, wenn wir wirklich etwas erreichen wollen. Auf der einen Seite ­künstlerisch, wenn die Künstler nicht immer gleich total angepisst reagieren würde, wenn an ihren Skills oder ihren Beats herumgenörgelt würde; auf der anderen Seite aber auch gesellschaftlich, wenn die vorgestellten Inhalte tatsächlich mal überprüft und weiterentwickelt werden würden. Offensichtlich gibt es ja ein Bedürfnis nach Antworten auf das Unbehagen, das einen befällt, wenn man sich die heutige Welt anschaut. Diese Antworten werden aber nur im gemeinsamen Diskurs ­gefunden. Das ist gut, und man sollte keine Angst davor haben. Wir haben nichts zu verlieren, wenn wir miteinander sprechen. Noch nicht einmal, wenn wir kontrovers miteinander diskutieren. Das hier ist kein Battle, in dem man unbedingt gewinnen muss – das hier ist nur das echte Leben.
 
Diese Kolumne ist erschienen in JUICE #160 (hier versandkostenfrei nachbestellen).
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