Boo Boo, Fitty, Curtis: vielleicht ein bisschen viele niedliche Spitznamen für den gefährlichsten Gangster der Welt. Aber er hat seine Zeit gehabt, und er hat sie gründlicher ausgewrungen als jede andere rappende Ich-AG vor oder nach ihm. Seine Musik hat ihn zudem unsterblich gemacht. Ihn, den Mann, der feierte, als wäre jeden Tag Geburtstag. Ein Lambo und ein 15-$-Shirt, ein zweites Leben und ein erstes Album mit nichts als Hits. Wer hat solche Kombos? Und wenn der Kunde will, dann packt er auch heute noch die Mac. Eine längst überfällige Würdigung von Curtis »50 Cent« Jackson.
Wo soll man anfangen bei 50 Cent? Bei seinen Fantastilliardenverkäufen und unzähligen Nebeneinkünften? Bei seinen Fehden, die manchmal berechtigt, sehr oft ein bisschen albern, aber in jedem Fall immer gut gedacht waren? Bei seiner musikalischen Formel, dieser gnadenlos effektiven Mischung aus Ghettohärte und Pop-Appeal, die er in den zehn Jahren seit dem eigentlichen Anbeginn seiner Karriere immer wieder bis zum Exzess durchexerziert hat?
Versuchen wir es klassisch, bei seiner Lebensgeschichte. Die ist eher fad, halt die ganz normale mittelständische Kleinstadtjugend, wie man sie aus seinem engeren Bekanntenkreis kennt. Die Mama alleinerziehend, bei der Geburt keine 16 Jahre alt und von Beruf Koksdealerin auf den Straßen von Jamaica, Queens. Sie lebt in häufig wechselnden Beziehungen, meistens mit Frauen. Als Curtis acht ist, wird sie eiskalt ermordet. Die Rede ist von Drogen im Drink und einem aufgedrehten Gashahn bei geschlossenen Fenstern. Der Junge zieht zu seinen Großeltern, die in den fünfziger Jahren aus South Carolina nach New York gekommen waren. Liebevolle Leute vom Land, mit schmalem Geldbeutel und großem Herzen – die freilich auch nicht verhindern können, dass ihr Enkel mit dem Eintritt ins Teenageralter ebenfalls auf die schiefe Bahn gerät, auf dem Höhepunkt der Crack-Welle. Drogen, Gewalt, falsche Freunde, die Klassiker eben. Nebenbei startet er zwar noch eine ansehnliche Karriere als ambitionierter Jugendboxer, doch die erstickt bald im Staub der Straßen von Jamaica. Mehr Drogen, Gewalt, falsche Feinde, irgendwann, mit trauriger Zwangsläufigkeit, der Jugendknast und das ganze elendige Paket an Kettenreaktionen, die damit meistens einhergehen. Just als sich auf wundersame Weise doch noch alles zum Guten zu wenden scheint, genau zwei Tage vor seinem ersten großen Videodreh, wird er von einem bis heute nicht letztgültig identifizierten Angreifer vor dem Haus seiner Großeltern in der 161. Straße neunmal angeschossen, in Hand, Arm, Hüfte, beide Beine, Brust, Gesicht. Wie durch ein Wunder überlebt er. Die Details sind wohl dokumentiert; bei Interesse fördert eine einfache Google-Suche vom vermeintlichen Schützen über gefakete Polizeiakten bis hin zu unappetitlichen anatomischen Details so ziemlich alles zutage, was man zu dem Vorfall wissen oder eben nicht wissen wollen könnte. Egal, denn außerdem passieren: die Entdeckung durch den DJ der ersten wichtigsten Rap-Gruppe überhaupt, eine echte Underground-Hymne und ein spektakulär geplatzter Major-Deal. Wie gesagt, eine ganz normale mittelständische Kleinstadtjugend.
Interessant bei all dem ist, wie spät der HipHop in 50 Cents Leben tritt. Als Seventies Baby in New York ist er selbstredend seit Tag eins von der neuen Jugendkultur umgeben, die sich Ende der Siebziger quasi über Nacht in der ganzen Stadt breitmacht – auch in Queens, jenem Viertel, das mit Run DMC und LL Cool J wenig später die ersten echten Superstars des Genres hervorbringen sollte. Das Gefühl aber, es hier nicht nur mit der neuesten Schulhofmode (»Genau, diese deutschen Tennisschuhe, und ja, das gehört so mit den Ketten«), sondern mit einer ernsthaften Berufsoption zu tun zu haben, stellt sich trotz der lokalen Über-Vorbilder erst spät ein. Das erste ernstzunehmende Tondokument von 50 Cents Reimanstrengungen datiert auf das Jahr 1997, da ist er bereits 22 Jahre alt. »The Glow«, erschienen auf Jam Master Jays JMJ-Label, ist ein harmloses Stück Disco-Rap. Jay flippt ein Luther-Vandross-Samples, Fifty Cent (wie er sich damals noch schreibt) erzählt vom guten Leben mit großen Schampusflaschen, großen Felgen und großem Fremdschampotenzial. Zu behaupten, hier sei ein Star geboren, wäre, gelinde gesagt, gewagt. »The Glow« klingt eher, als hätte sich dein Kumpel Kurt beim Curtis-Karaoke ein wenig vergaloppiert und nach dem dritten Kaltgetränk die strengen Textvorgaben gegen einen beschwipst-assoziativen Fitty-Freestyle eingetauscht. Immerhin, der charakteristisch geleierte Singsang-Flow ist schon klar auszumachen, und auch das Faible für sauber verwandelte Steilvorlagen der Marke Abstauber (»My flow is hot/Your flow is not«) ist da. Allein der »Hit« wird lediglich behauptet, im Titel der nur unwesentlich interessanteren B-Seite. Aber so ist das mit Fifty, immer gewesen: Er beißt sich halt rein in die Sachen.
Rap ist Sport, sagte einst schon Prof. Dr. phil. Daniel Ebel. Und wie im Sport gibt es auch im Kampf am Mikrofon die Naturtalente, denen scheinbar alles zufliegt, und die Fleißbienen, die täglich aufs Neue schwer schuften müssen für ihren Erfolg. Die geborenen Helden wie Usain Bolt und die braven Arbeiter wie Miro Klose, die »Superhumans« und die »Survivors«, wie es der amerikanische Sportjournalismus mit seinem Hang zum Drama doch recht gut auf den Punkt bringt. In dieser Dichotomie ist 50 Cent klar ein Survivor (und das nicht nur, weil seine Persona und damit seine Karriere tatsächlich zu großen Teilen auf dem Mythos des überlebten Mordversuchs aufgebaut sind). Er hat Rückschläge nie zum Anlass genommen, zu jammern oder gar die Segel zu streichen, sondern einfach nur noch mehr gearbeitet, noch mehr veröffentlicht und noch mehr Selbstvermarktung betrieben. So lange, bis es irgendwann wieder vorwärts ging.
Als seine Geschäftsbeziehung zu JMJ Ende der Neunziger langsam in einer Sackgasse zu verenden scheint, weil JMJ zwar ein guter Mensch und ein aufrechter Liebhaber der HipHop-Kultur, aber leider kein Puff Daddy war, schließt sich 50 Cent dem damals sehr angesagten Produzentenduo Trackmasters an. In deren Studio nimmt er binnen zwei Wochen sein geplantes Debütalbum »Power Of The Dollar« auf, dazu B-Seiten-Material, das locker für zwei Spielzeiten gereicht hätte. Als der dazugehörige Plattenvertrag mit Columbia/Sony in die Brüche geht, weil der Konzern plötzlich kalte Füße bekommt wegen der Schießerei und Songs wie »Ghetto Qu’ran«, in denen Fifty gewohnt auskunftsfreudig seine Verstrickungen in der New Yorker Unterwelt ausbreitet, schafft er sich stattdessen sein eigenes Umfeld. Und als er nachträglich von einem J.Lo-Remix entfernt und durch einen weit weniger inspirierten Nas ersetzt wird, nimmt er eben seine eigene Remixe auf und bringt sie im Direktvertrieb unters Volk. An dieser Arbeitseinstellung hat sich bis heute kaum etwas geändert. 50 Cents Output ist immer noch immens, selbst gemessen an den neuen Veröffentlichungsgepflogenheiten im Netz und Fließbandfabrikanten wie Curren$y oder Lil Wayne. Eine Komplettdiskografie von Curtis Jackson? Selbst für akkurate Archivare eine Aufgabe herkulischen Ausmaßes.
Überhaupt ist 50 Cents eiserne Disziplin legendär. Er hat Songs übers Kiffen, einen Joint aber seit der Pubertät nicht mehr angerührt. Er feiert im Club, doch das nur aus professionellem Pflichtgefühl und mit frischem Sprudelwasser in der Sektflöte. Als einmal auf einer jener rar gewordenen Interview- und Presseverhätschelungsreisen die Runde mit dem siebzehnten Spesenbier anstößt, schleicht um vier Uhr morgens ein Modellathlet mit vertrautem Grinsen an der Hotelbar vorbei in den Gymnastikraum. Ein bisschen Frühsport, man verstehe, bevor dann vor dem ersten Gesprächstermin noch vier Stunden lang E-Mails weggeschafft und in der provisorischen Studiosuite die nächsten beiden Singles fertiggestellt werden. So viel zum Thema »High All The Time« …
Was übrigens Interviews angeht: 50 Cent ist mit Abstand der beste Gesprächspartner, der mir in 13 Jahren Berufsschreiberei untergekommen ist. Wie die meisten Superstars seiner Kategorie ist auch er hochprofessionell, nie nur eine einzige Sekunde zu spät, aufmerksam und aufgeschlossen gegenüber lokalen Sitten. Sich flegelhaft in die Couch lümmeln und zwischen zwei Bissen vom Big Mac ein paar einsilbige Frechheiten durch die Zahnlücke pressen? Nicht mit 50 Cent. Nach Jahren im vertrieblichen Außendienst weiß der Mann, was sich gehört. Hinzu kommt seine sprichwörtliche Großzügigkeit im Liefern von individuell auf den Fragesteller zugeschnittenen Spitzenzitaten. Während etwa Jay-Z alle Anbahnungsversuche mit unverbindlicher Freundlichkeit wegmoderiert, gibt Fifty dem Affen Zucker. Anekdoten aus der Halbwelt, harsche Einschätzungen zu den Karriereaussichten der Konkurrenz, Gossip, dazu immer auch das eine oder andere Schmankerl für die wenigen Musikfans unter den Musikjournalisten – das kundenorientierte Denken macht hier in der Booth nicht halt. Und schließlich ist dem Leser schnuppe, ob sein Star vor dem Interview unter widrigen Umständen um die halbe Welt fliegen musste oder mal wieder mit seinem Soundmann aneinandergeraten ist.
Es ist eine allgemein akzeptierte Binsenweisheit, dass 50 Cents immenser Erfolg auf diese Mischung aus preußischer Disziplin und untrüglichem Geschäftssinn zurückzuführen ist. Man tut ihm allerdings unrecht, wenn man ihn lediglich auf eine gewisse Bauernschläue und die Ambition des ewigen Hustlers reduziert. Denn so hölzern er manchmal auf der Bühne wirkt, so wenig er seinen Vorbildern Kool G Rap oder LL Cool J in den klassischen Kategorien des MC-Quartetts das Wasser reichen kann, so gut sind in der Rückschau viele seiner Songs. Wie er zum Beispiel auf seiner Durchbruchssingle »How To Rob« von 1999 in seiner Fantasie die gesamte Industrieprominenz von Lil Kim bis Busta Rhymes um ihr Geschmeide erleichtert, ist großes Kopfkino und in seiner Mischung aus feiner Selbstironie und subtiler Bedrohlichkeit bis heute unerreicht. Meint er das ernst? Ein bisschen vielleicht? Man weiß es nicht so genau. Aber wie er auf »U Not Like Me« (von der Comeback-Compilation »Guess Who’s Back?«) oder »Wanksta« (vom »No Mercy, No Fear«-Mixtape) tödliche Ohrwurmhooks mit brettharten Straßenflows, hohntriefende Ignoranz mit bedrohlichem Muskelspiel verbindet, ist auf jeden Fall beeindruckend. Und dann natürlich das Mixtape »50 Cent Is The Future«, der große Klassiker dieses seltsamen Hybridformats, mit dem Fifty im Sommer 2002 seinen kometenhaften Aufstieg zum Weltstar einleitet: so angriffslustig, so gewitzt, so selbstbewusst – mit Verlaub: so geil – klang Rap selten zuvor und selten danach. Es war wie Black Moon 1993, wie The LOX 1998, wie Clipse 2004, wie Lil Wayne 2006, wie Casper 2012 – einer dieser magischen Momente, in denen die Energie im Studio fast physisch greifbar ist, die nächste Line einfach kommen muss. Weil sie verdammt noch mal noch so viel besser sein wird als die davor.
Ohnehin lohnt ein Blick auf den Sommer 2002, um zu verstehen, wie 50 Cent zu dem wurde, was er heute ist. Nicht nur weil es letztlich die Mixtapes jener Zeit sind – inoffizielle Minialben mit größtenteils geklauten Beats und dünnen CD-Hüllen, von denen man sich heute nicht mehr vorstellen kann, warum man für sie einst längere Spaziergänge durch Brooklyn unternahm oder, schlimmer noch, größere Dollarbeträge an suspekte Mailorder-Firmen überwies, nur um sich dann Wochen später frustriert beim Zoll die Füße in den Bauch zu stehen – die einen gewissen Eminem und einen gewissen Dr. Dre auf 50 Cent aufmerksam machen und zu dem Deal beim damaligen Power-Konglomerat Shady/Aftermath/Interscope führen. Sondern weil 50 Cent in jener Phase perfekt vorexerziert, was heute fast selbstverständlich ist: Der Hype, das bist du selbst. Nicht dein Video, nicht dein Label, nicht dein Manager. Du bist es, und wenn du nicht an dich glaubst, wer soll es dann tun? Als alles verloren scheint, nimmt Curtis Jackson sein Schicksal selbst in die Hand und mit der nötigen Wut im Bauch die beste Musik der Welt auf. Man möchte sagen, diese Geschichte müsste mal in Hollywood verfilmt werden. Aber das ist natürlich längst passiert. Weil Fifty die CDs nicht nur presst, sondern diese auch jedem, der ihm so unterkommt.
So entsteht ein beispielloser Hype, wie ihn nur diese in der Erinnerung seltsam verschwommene Übergangsphase zwischen dem Tonträgerzeitalter und der Transparenzkultur des Internet vorbringen konnte. Keiner weiß so ganz genau, wer dieser Typ ist und wo er plötzlich wieder herkommt. Aber trotzdem will keiner über etwas anderes sprechen, geschweige denn etwas anderes hören. Gleichzeitig verhindert der noch immer eingeschränkte Zugang zu digitalen Vertriebswegen den heute üblichen Overkill im Zwei-Wochen-Rhythmus: Als Fifty ziemlich genau ein Jahr nach »50 Cent Is The Future« durch seinen Auftritt bei Eminems »Anger Management«-Show in der Hamburger AOL Arena endgültig zur Gegenwart wird, ist die Aufregung kein bisschen verflogen. Im Gegenteil: Auf der VIP-Tribüne drängelt sich die gesamte Szeneprominenz, von der Optik-Entourage bis zum damaligen Universal-Boss Tim Renner, die Luft ist fast zum Schneiden dick. Eminem ist der Star. Aber alle warten auf 50 Cent. Den Mann, der soeben, nach sechs Jahren aberwitziger Achterbahnfahrten, doch noch sein Debütalbum veröffentlicht hat. Und damit alle Rekorde bricht.
»Get Rich Or Die Tryin’« ist der gebastelte Klassiker. Es ist keines dieser Alben, das von ein paar Kumpels im Hobbykeller aufgenommen wurde und eher aus Versehen die Welt veränderte wie »Licensed To Ill« oder »Illmatic«. Aber es ist auch kein minutiös geplanter Blockbuster wie The Games »The Documentary« oder »Tha Carter III«. Es ist irgendwas dazwischen. Als 50 Cent in den Flieger nach L.A. steigt, um bei den Sportsfreunden Mathers, Young und Iovine zum Bewerbungsgespräch vorstellig zu werden, hat er sein Album im Grunde fertig. Aber Dr. Dre ist eben auch damals schon ein wenig manisch in seinem Perfektionismus und will seinen neuen Schützling unter keinen Umständen ohne ausreichend Hits in das von einer absurden Erwartungshaltung noch zusätzlich aufgeheizte Klima einer Musikindustrie im Wandel entlassen. Das Diktum seines anderen Mentors, wonach man nur »one shot« habe, den man auf keinen Fall verballern dürfe, hat 50 Cent mit seiner abenteuerlichen Lebensgeschichte zwar schon ad absurdum geführt. Aber diesmal soll nun wirklich nichts schiefgehen. Also sperren sich Dre und sein damaliger Helfershelfer Mike Elizondo für eine Woche mit ihrer Entdeckung und Eminem im Studio ein und nehmen dabei sieben Stücke auf, von denen letztlich fünf auf dem Album landen. Darunter sind das programmatische »Patiently Waiting« mit dem dramatisch flirrenden Eminem-Beat sowie natürlich »In The Club«, diese Song-gewordene Riesenhook, ein Hit, wenn es jemals einen gab.
Heute, da »In The Clöööb« zum Inbegriff der Dorfdissen-Hymne für hängengebliebene Helmträger verkommen ist und allenfalls noch als müder Scherz über gefühlt prähistorische Zeiten taugt, ist das kaum mehr vorstellbar. Aber im Frühjahr 2003 macht »In Da Club« tatsächlich Spaß. Das herrlich dumpfe »Go shorty, it’s your birthday«-Intro, der monströse Beat, der sich auf wundersame Weise gleichzeitig zum Tanzen und Bösekucken eignet, die unendlich lang gezogenen Vokale, die man irgendwie mitnölen muss, auch wenn man sich dabei ein bisschen kindisch vorkommt. Dabei ist auch der Rest des Albums nahe an der Perfektion. Der glühende Rap-Fan Eizi Eiz hat mal im Eifer des Gefechts behauptet, dass »Get Rich Or Die Tryin’« das einzige Album sei, von dem man jeden einzelnen Song im Club auflegen könne. Das ist zwar ein bisschen übertrieben, aber gleichzeitig nicht ganz verkehrt. Das testosterontriefende »What Up Gangsta«, der gleichsam von Melancholie und Paranoia durchzogene Hood-Blues »Many Men«, die moderne G-Funk-Etüde »21 Questions«, die spaßige Kelchschwenkerrevue »P.I.M.P.«, das majestätische »If I Can’t« – alles Hits, auf den Punkt ausproduziert und dennoch getragen von der unvergleichlichen Energie eines Rappers, der ja gerne einen Schluck nehmen würde aus seiner Magnumpulle. Aber halt leider nur noch kurz die Welt ficken muss.
Es ist der Ausgangspunkt einer einzigartigen Erfolgsgeschichte im Zeitraffer, die 50 Cent innerhalb von etwas mehr als zwei Jahren vom Pechvogel und Pleitegeier zur gefühlten Weltherrschaft führt. In der Heimat von Run DMC, dem Dunstkreis von Dr. Dre und dem Zeitalter von President Carter mag das nach einer gewagte These klingen, aber letztlich führt kein Weg daran vorbei: Nie zuvor und nie wieder danach hat ein einzelnes Camp HipHop so dominiert wie Fifty und seine Freunde in den Jahren 2003 bis 2005. Die beiden 50-Cent-Soloalben dieser Phase, »Get Rich Or Die Tryin’« und »The Massacre«, verkaufen sich zusammen über 22 Millionen mal. Dazu kommen das G-Unit-Album »Beg For Mercy«, von dem für eine Compilation dieser Art aberwitzige vier Millionen Einheiten über den Ladentisch gehen, sowie die ebenfalls platinprämierten Soloalben von Lloyd Banks, Young Buck und natürlich The Game. Fiftys langjähriger Weggefährte und Freund Tony Yayo landet nur deshalb keinen Billboard-Kracher, weil er den Goldrausch seiner Gang hinter schwedischen Gardinen absitzen muss. Immerhin kriegt er dort Filet Mignon serviert und regelmäßige Updates über die sich überschlagenden Erfolgsmeldungen aus der Firmenzentrale.
Dennoch steht Yayo beispielhaft für die absurd kompakte goldene Ära der G Unit. Als er im Spätsommer 2005 endlich zum Zuge kommt, ist der Midas-Moment, in dem 50 Cent alleine durch seine Strahlkraft einen Freund zum Star machen kann, schon wieder vorbei. Die Geschäfte für den Boss laufen weiter prächtig, rein finanziell vermutlich besser denn je zuvor. Aber die Aufregung ist um, das Adrenalin ist weg, und ohne Adrenalin funktioniert 50-Cent-Musik nicht. Yayo chartet zwar, durchaus auch hoch, aber gemessen an den schönen Plaketten seiner Freunde nimmt sich sein Erfolg bescheiden aus. Entgegen der landläufigen Meinung liegt das nicht an seinen vermeintlichen Defiziten als Rapper. Ein Lloyd Banks etwa mag stets für eine clevere Punchline gut sein, aber dass der spröde Lyricist zum Held der 106 & Park-Klientel werden kann, liegt einzig und allein am Status seines mächtigen Mentors, der zu diesem Zeitpunkt auch Papoose oder Sha Stimuli zu einem Teeniestar gemacht hätte. Nun aber ist es irgendwie vorbei, und obwohl es keiner zugeben würde, wissen es alle. Der anhaltende Erfolg von The Game, der sich in der Zwischenzeit mit seinem Förderer überworfen hat und zwar etwas plump, aber nicht ungezielt Giftpfeile in seine Richtung abschießt, sorgt für zusätzliche Risse in der vor ein paar Monaten noch unwirklich glänzenden Fassade der G Unit.
Im Rückblick wirkt es, als hätte 50 Cent die Halbwertszeit seiner Hegemonie irgendwie vorausgeahnt. Wie ein Besessener quetscht er mehr Projekte in diese Jahre als eigentlich menschenmöglich. Das eigene Label, die unvermeidliche Klamottenlinie, ein Schuhdeal mit Reebok: Alles klappt, alles verkauft sich. Und da Fifty weder in Promi-Beats noch in extravagante Schnitte investiert, häuft er binnen kürzester Zeit ein Vermögen an, wie es üblicherweise nur Veteranen der Jay-Z-Kategorie (also: Jay-Z) vergönnt ist. Die Transformation vom euphorischen Street-Rapper zur auf gnadenlos geeichten Gelddruckmaschine, zum Superhelden mit schusssicherer Weste und dem Dollarzeichen auf der stolzgeschwellten Brust, vollzieht sich im Rekordtempo. Clickity-clank, clickity-clank macht die Kohle, während sie ins Sparschwein plumpst. Läuft.
Noch erstaunlicher aber ist, wie sich die Clique um Fifty, Interscope und seine Managementfirma Violator in diesen Jahren die gesamte Industrie untertan macht. Wenn er auf das Cover seiner Hauspostille »XXL« will, greift er einfach zum Telefonhörer. Wenn er die Karriere eines unliebsamen Widersachers zerstören möchte, dann nimmt er einen Track auf, und Schicht ist im Schacht. Widerworte werden entweder gar nicht erst erhört oder auf dem kurzen Dienstweg korrigiert – der ehemalige »Source«-Chefredakteur und Teilzeitrapper Benzino kann davon ein Lied singen, als er sich im Namen des vermeintlich echten HipHops zu einem Feldzug gegen Eminem und die »Maschine« um 50 Cent aufschwingt, und kurzerhand mit ein paar Songs und Interviews zurechtgewiesen wird, bis er irgendwann völlig demoliert seinen Hut nehmen muss.
Mit diesem aggressiven Geschäftsgebaren legt 50 Cent, noch während er für die ersten Headline-Shows zu seinem Debütalbum probt, die Grundlagen, von denen er bis heute zehrt. Das nämlich ist ein gerne übersehenes Detail, wenn heute über seinen Abstieg gespottet wird: dass er, aufgepumpter Jacke-wie-Hose-Kerle, nach wie vor mehr Kohle macht als all die gut gekleideten, schlaksigen Typen mit den aufgerollten Hosenbeinen wohl je machen werden. Er verkauft Wellness-Wasser und Deospray, Filme und Webclicks, und immer wieder das Bild eines Rappers, das sich Anfang dieses Jahrtausends ins kollektive Bewusstsein des globalen Mainstreams gebrannt hat. Und das er nun mal besser verkörpert als jeder andere. Wer enge Hosen irgendwie doof findet, hat in 50 Cent immer noch einen vermeintlichen Wesensverwandten, der das Spiel »Echter HipHop gegen unechter HipHop« bereitwillig mitspielt. Gerade er, der den Anfeindungen von Gralshütern wie Nas, Jadakiss oder Fat Joe einst nur mit leisem Spott und dem Verweis auf sein Bankkonto begegnete. Lustige neue Welt, mit lustigen alten Liedern: Wenn man nicht gerade in einer hippen Klitsche in Brooklyn oder Berlin an einem PBR oder Wodka Club Mate nippt, dann hört man vermutlich immer noch öfter »Candy Shop« und »How We Do« aus den Boxen kloppen als die neue A$AP Ferg. Und clickity-clank, clickity-clank macht die Kohle, während sie ins Sparschwein plumpst.
50-Cent-Musik nach 2003? Gibt’s auch. Oft ist sie sogar gar nicht so schlecht. Wer sich einmal die Zeit nimmt, »The Massacre« oder auch die Folgealben »Curtis« (2007) und »Before I Self Destruct« (2009) in ihrer Gesamtheit durchzuhören, wird mindestens solide, mit einigen echten Perlen gespickte Alben (wieder-)entdecken. Der subtile Soul in Stücke wie »Ski Mask Way« oder »Hustler’s Ambition«, der Druck hinter »I Still Kill«,die völlig unvermittelten Fast Raps auf »Hate It Or Love It«, aber auch weniger Bekanntes wie die fast schon rührend bemühte Strophe auf Akons Heimathymne »Mama Africa« – all das kann schon so machen. Mit »Ayo Technology« hat 50 Cent sogar einen echten Popsong im Repertoire, in dem er nicht nur das bissige Beiwerk zu einer austauschbaren R&B-Schönheit mimt, sondern tatsächlich integraler Bestandteil der Komposition ist. Muss man sich deshalb das neue Mixtape auf thisis50.com runterladen und verstehen, warum Curtis auf einem gemütlichen Kiffersong mit Wiz Khalifa und Harry Fraud urplötzlich ein ganzes Arsenal an Handfeuerwaffen und die komplette Palette an Drohgebärden auspackt, als lauerte irgendwo noch Ja Rule auf eine letzte Comeback-Chance? Eher nicht. Aber man wird hier ja wohl noch mal in Ruhe »I Get Money« durch die Gegend brüllen dürfen.
Neulich auf dem SXSW-Festival in Austin: 50 Cent feiert irgendein Jubiläum, neun Jahre G Unit, 37 Jahre er, man weiß es nicht, irgendwas findet sich ja immer. Jedenfalls spielt er »Get Rich Or Die Tryin’« in seiner Gesamtheit, wie es sonst nur den ganz großen Klassikern im Kanon der Hood-Hochkultur vergönnt ist, den »Reasonable Doubts« und »Illmatics« und »Doggystyles« dieser Erde. Es eröffnen die neuen G-Unit-Rapper (ja, gibt’s noch) Paris und Kidd Kidd sowie saisonal angesagte Blog-Favoriten wie Action Bronson und Schoolboy Q. Es riecht nach Industriespektakel. Als Fifty mit Camo-Weste und Yankees-Cap zu »What Up Gangsta« auf die Bühne stürmt, löst sich die seltsame Stehempfangsstimmung in einer gigantischen Explosion der Euphorie auf. Da stehen sie, tausende von nicht mehr ganz so jungen Männern und Frauen, die über die Jahre gründlich gelernt haben, wie man zwischen zwei E-Mails den Spaß an der Musik verliert – und schreien aus vollem Hals »What up blood, what, what up cuz, what, what up gaaangsta«. Weil diese Zeilen zu ihrem Leben gehören, obwohl sie immer nur neue Videos von Grimes und SpaceGhostPurrp posten. Weil sie mit diesem ganzen Irrsinn aus dicken Knarren und dicken Eiern, der da auf der Bühne bedingungslos abgefeiert wird, als wäre es das Normalste auf der Welt, im Grunde nicht das Geringste zu tun haben. Und es dennoch aus tiefstem Herzen fühlen. Wegen Boo Boo, Fitty, Curtis. Dem letzten echten Rapper und gefährlichsten Gangster der Welt.
Text: Davide Bortot