Gut anderthalb Jahre ist es her, dass der »Orpheus vom Nordkreuz« mit seinem Solo-Auftakt »Stecks, Schmiers & Suffs« der Szene kompromisslosen Battlerap entgegenspuckte, der sich stark an Westberlin um die Jahrtausendwende orientierte. Ende Zweitausendsiebzehn steht die neue Platte »Bossen und Bumsen« in den Startlöchern. Zeit für ein Gespräch.
Schauplatz ist der »Bierbrunnen«, eine alte Hertha-Kneipe, wo der Rauch über die Jahre bis in die tiefsten Fasern der Sitzpolster gekrochen ist. Die Veteranen, die mit Schultheiss-Tulpen am Tresen sitzen, scheinen zum Inventar zu gehören. Am Zapfhahn steht Manne, der Wirt mit beachtlichem Bierbauch und kernigem, sympathischem Lachen. Orte wie diese findet man in Berlin immer seltener. Mit Jack-Wolfskin-Jacke und Kippe im Mund empfängt mich Shacke in seinem persönlichen »Gallien«, wie er seinen Nordberliner Kiez gerne nennt. Als wir die Kaschemme betreten, grüßt uns Heiko165 vom Tisch in der hinteren Ecke. Shackes langjähriger Kompagnon sitzt mit zwei weiteren Jungs vor jeweils nullkommavier Litern kühlem Gerstensaft im Glas. »Ah, Atze Heiko ist auch am Start«, sagt Shacke, und man merkt: Hier bewegt sich jemand in vertrauter Umgebung.
Ich kenne die Kneipe aus irgendeinem Video. Kannst du mir weiterhelfen?
Hier haben wir damals »Versteckt die Töchter« mit Bomber gedreht. Auch der »Nordachse Stammtisch« mit Heiko ist hier entstanden. Das ist es auch, was meine Musik ausmacht: dass sie nah am echten Leben ist.
Deine neue Platte ist inhaltlich asozial geworden, einen musikalischen Gegenpol bilden die Beats. Das hat auch deine letzte Platte ausgemacht: der Kontrast zwischen smoothen Funk-Sounds und Auf-die-Fresse-Raps.
Musikalisch ist es noch mal ’nen Schritt weiter. Achim Funk hat diesmal alles produziert. An den Beats haben wir aber auch viel gemeinsam gearbeitet. Es sollte klingen wie aus einem Guss, gleichzeitig wollten wir eine große Bandbreite an Sounds haben – was eine große Herausforderung ist, wenn das einer alleine machen soll. Achim hat mir im Gegenzug auch Input für die Texte gegeben und dafür gesorgt, dass es wieder richtig asozial wurde. Auch von Kumpels kommt Input: Wenn die Scheiße labern, bin ich relativ schnell am Handy und tippe das ein.
Shacke blättert die letzte Ausgabe der JUICE durch, die ich ihm mitgebracht habe, und stößt auf ein Interview mit Bootsy Collins.
Okay, das ist natürlich meine Mucke! Ich bin ein ganz krasser Funk-Typ. Bei meinen Platten ist kein HipHop dabei. Ich hab ein paar Achtziger-Elektro-Rap-Sachen – das war’s.
Was findet man denn, wenn man sich durch deine Plattensammlung wühlt?
Ich bin ein harter Digger. Ich sammele Platten aus Peru, Panama, Kolumbien. Ich leg Cumbia auf, was gar nichts mit Rap zu tun hat. Ich sammle Platten aus Nigeria, hab jetzt ’ne neue Compilation aus Angola gefunden. Ich hab auch vieles aus Brasilien da, zum Beispiel original signierte Marcos-Valle-Platten. Ich chille auch mehr mit Leuten aus den Digger-Kreisen, hab teilweise Kumpels, die sind fünfundvierzig – Flohmarkt-Digger und Sammler, zu denen ich einmal im Jahr fahre. Ich kenne einen Typen, einen alten Breaker, erste Generation HipHop in Westberlin. Manchmal fahre ich zu ihm, chille in seiner Wohnung und kauf dann irgendwelche komischen Platten bei dem. Ich hab heute eine gekauft bei ’nem Kerl an der Warschauer Straße, krassester Sammler: ’ne 7-Inch für 80 Euro. Das Lied hat auf Youtube 300 Aufrufe.
Deinem Sound merkt man an, dass du im Funk und Soul sozialisiert bist.
Deswegen auch unsere Liebe zu den Beats! Wir stecken viel Arbeit da rein, weil es uns so wichtig ist. Und jeder Beat hat seine Story. Klaus Layer, neben Achim mein absoluter Lieblingsproducer, ist ein Gott in Sachen Beats. Die Geschichte zu »Boss der Panke« reicht so lange zurück, Alter. Klaus Layer kenn ich schon seit 2007, der Beat ist von 2008. Er hat 2014 ’ne Platte rausgebracht, wo dieses Instrumental drauf ist. Das ist für mich der krasseste Beat aller Zeiten – obwohl er anfangs so matschig und rough war, dass meine Stimme dagegen angekämpft hat. Dann hat er den von ’ner alten Festplatte runtergeholt und nochmal bearbeitet – sonst wäre der Song nie rausgekommen. Keiner würde denken, dass da so viel Liebe drinsteckt und ich den Beat schon seit acht Jahren kannte. Handwerk mit viel Liebe. Weißte, was ich mein?
»Ich höre, was Deutschrap angeht, nichts bewusst.«
Mit Rap hattest du lange Zeit gar nichts am Hut, oder? Wann kamst du dann wieder dazu?
Ich hab mit 18 aufgehört, Rap zu hören, und mich in diese ganze Funk-Mucke gestürzt. Neu angefangen hab ich erst, als ich durch Bomber wieder selbst gerappt habe. 2014 ist »Nordachse« rausgekommen, zu der Zeit hat mir ein Kumpel Kollegah und Farid Bang gezeigt. Das kannte ich nicht. Ich kannte natürlich Bushido und die Leute von früher, aber alles andere gar nicht, weil es in meiner Welt nicht existiert hat. Das hat sich geändert, ich kenne mich jetzt viel besser aus. Natürlich auch, weil es Teil des Jobs ist und ich daran interessiert bin, was der Rest macht, wie sich im Laufe der Zeit alles verändert. Meinen Sound beeinflusst es trotzdem nicht.
Beschäftigst du dich mit Deutschrap und der Szene?
Ich unterscheide zwischen konsumieren und bewusst hören. Ich höre, was Deutschrap angeht, nichts bewusst, guck’s mir aber bei Youtube an. Ich bekomme mit, wenn die 187er oder Haftbefehl was Neues rausbringen. Das heißt aber nicht, dass das Musik ist, die ich privat höre. Das letzte Deutschrap-Album, was ich mir komplett angehört habe – außer von meinen Leuten –, war »Fragmente« von V-Mann. Oder die Sachen von Morlockk Dilemma.
Morlockk ist auch auf deinem Album gelandet.
Morlockk zähl ich auch zu uns. Der wohnt jetzt schon seit Jahren im Wedding und ist zu hundert Prozent mein Schlag. Der Typ ist ’ne Ein-Mann-Untergrund-Armee, ich feier den so krass! Der ist auch nicht mehr der Jüngste, hat aber eine unglaubliche Energie, ist am Start und labert nicht dauernd von Sachen, die früher waren.
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Der Moment, wenn ein zugezogener sich über zugezogene aufregt.