Kings Of HipHop: Snoop Dogg // Feature

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Hach, der nette Onkel Snoop. Familienmann und Footballfan, Weed-Entrepreneur und Youtuber, Hobbyschauspieler und – warte, da war doch noch was: Rapper. 25 Jahre sind vergangen, seit er mit »Doggystyle« ein beinahe makelloses Solodebüt in die Welt setzte. 25 Jahre, in denen wir nie ohne Snoop waren, in denen sich fast alles um ihn herum verändert hat, nur er sich nicht. Oder doch? Die ­Geschichte von Snoop Dogg, King of HipHop.

Ein Blick in den Sommer 1992. Aus Gangstarap war eine millionenschwere Industrie geworden, das Genre spürbar in den harmlosen US-Vorstädten und College-Wohnheimen angekommen. Wohl auch deswegen kochten die Emotionen besorgter Moralisten hoch, als ein wütender Rapper in einem noch wütenderen Song die Geschichte eines sehr, sehr wütenden Jugendlichen erzählte, der einen Polizisten tötet. Der Skandal um diesen Song – »Cop Killer« von Ice-Ts Band Body Count – ist hier aber gar nicht Thema (siehe KOHH in JUICE #161). Vielmehr beginnt unsere Geschichte wenige Wochen nach dessen Veröffentlichung mit einem anderen Song, in dem ebenfalls ein Polizist ermordet wird, ohne dass eine nennenswerte Kontroverse daraus entsteht. Wieso eigentlich nicht?

Der besagte Song ist »Deep Cover«, die erste Single von Dr. Dre nach dem Ende von N.W.A (siehe JUICE #125), und zugleich die erste Veröffentlichung eines bis dato unbekannten, schlaksigen 21-Jährigen aus Long Beach, der auf den Namen Snoop Doggy Dogg hört. Dre rappt die erste Strophe aus der Sicht eines verdeckten Ermittlers, dazu bollert eine vergleichsweise harte G-Funk-Produktion mit disharmonischen Sprengseln. Snoop greift nach der Hauptrolle. Snoop gibt den Gegenspieler, der den Undercover-Cop exekutiert, und er ist es auch, der in der Hook von Polizistenmord spricht – nur tut er es eben nicht laut, wütend und explizit, sondern in einer nasal-hohen, sanften Stimmlage und so codiert, dass nicht jeder Elternvertreter gleich versteht, was hier passiert: »Cause it’s one-eight-seven on a undercover cop«. 187 – der lokale Polizeifunkcode für Mord – ist nicht der abgefahrenste Slang der Welt. Aber in Kombination mit der so wenig bedrohlichen Delivery von Snoop reicht das aus, um »Deep Cover« unter dem Radar fliegen zu lassen.

Snoop wird mit diesem Auftritt zum meistbeachteten Gangstarap-Newcomer der Ära – kein Wunder, denn sein Mentor Dr. Dre ist gerade dabei, sein Soloalbum »The Chronic« fertigzustellen, mit Suge Knight das Label Death Row Records aus der Taufe zu heben und auch sonst das Erbe der gefährlichsten Gruppe der Welt anzutreten, deren musikalisches Mastermind er war. »Dr. Dre introducing Snoop Doggy Dogg« auf das eigene Solodebüt zu schreiben, wenn die halbe Welt zuschaut, ist keine kleine Geste. Was folgt, ist aber noch viel größer, denn Snoops Rolle auf »The Chronic« hätte kaum prominenter ausfallen können. Er schreibt (neben The D.O.C.) einen beachtlichen Teil der Texte, taucht auf elf von 16 Songs auf und ist auf allen drei Singles gefeaturet: »Nuthin’ But A G Thang«, »Dre Day« und »Let Me Ride« zementieren Dre und Snoop als Tag Team ins popkulturelle Bewusstsein. »The Chronic« geht Dreifachplatin, wuppt G-Funk in den Mainstream und stellt die Rapwelt erstmals unter die Dominanz der Westküste.

Für Snoop Doggy Dogg hätte es auch anders kommen können. Calvin Broadus, wie er bürgerlich heißt, kommt im Oktober 1971 zur Welt und folgt lange einem für seine Umgebung recht gesitteten Weg. Mit der Familie alten Soul und R’n’B hören, im Kirchenchor singen, anständige Noten, Ferienjobs und Football. Als Teenager vereinnahmt ihn HipHop und er rappt endlos auf dem Schulflur, bevor er mit zwei Homies die Band 213 gründet – Snoops Cousin Nate Dogg und Warren G, seinerseits Dr. Dres Halbbruder. Blöderweise bleibt nicht aus, dass Snoop in seiner von den Rollin 20 Crips dominierten Nachbarschaft auf dumme Gedanken kommt und mit Tickerei sein Taschengeld ­aufbessert, ohne jedoch offiziell den Crips beizutreten. Kurz nach dem Highschool-Abschluss wird er 1990 wegen Besitzes von Kokain zu vier Jahren Haft verurteilt, von denen er ein halbes Jahr im Wayside County Jail absitzt. Die älteren Gangmitglieder dort raten Snoop eindringlich, sein Raptalent zu nutzen, anstatt weiter Unfug zu machen.

Zurück in der Hood tut Snoop genau das. Warren G muss zwar erstaunlich lange nerven, bis sein N.W.A-prominenter Halbbruder dem 213-Demotape endlich eine Chance gibt, als er Snoop dann aber über ein En-Vogue-Instrumental slicke Geschichten erzählen hört, wird er neugierig und will den frisch geläuterten Jungen treffen. 1991 lernen Dre und Snoop sich kennen, gerade mal ein paar Monate später ist »Deep Cover« aufgenommen. In dem Kreativcamp, das Dre um sich schart, tummeln sich außerdem Snoops Cousins RBX und Daz Dillinger, Kurupt, The Lady Of Rage sowie Nate Dogg und Warren G, die alle zu »The Chronic« beitragen.

Das ist jetzt 26 Jahre her. 26 Jahre, in denen wir nie ohne Snoop waren, der als Rapper das gleiche Kunststück vollbringt wie Dr. Dre als Produzent. Wo G-Funk die einschüchternden Sample-Ungetüme von »Niggaz4­Life« gegen zahme Melodien und vertraute Hooks eintauscht, ist Snoop so etwas wie der Kreide fressende böse Wolf, der schroffe Geschichten von Gewalt und Misogynie irritierend anschmiegsam und nett klingen lässt. Kein lautes Wort, keine ­Stimme, die den Schall bricht. Der junge Snoop ist die ideale Besetzung für diesen neuen Ghettostreifen; ein nonchalanter, charmanter Gangster als Gegenstück zum sechseinhalb Jahre älteren, grimmigen Dre. Wenn N.W.A die geballte Faust war, war Snoop die ausgestreckte Hand des Gangstarap.

Als 1993 »Doggystyle« angekündigt wird, das Debütalbum von Snoop Doggy Dogg, stehen die Zeichen vollends auf Hype. Snoop ist dank »The Chronic« im Stundentakt auf MTV, auf dem Cover des Rolling Stone und in aller Munde sowieso. Im Frühjahr beginnen die ausufernden Sessions. Und dann geht natürlich etwas schief, und zwar gewaltig. Am 25. August 1993 – das Album ist längst noch nicht fertiggestellt – kommt es vor Snoops Haus zu Stress mit Philip Woldermarian, Mitglied einer verfeindeten Gang. Wenig später wird Woldermarian ein paar Blocks weiter erschossen, vermutlich von Snoops Body­guard Malik Lee aus einem von ­Snoop gefahrenen Jeep heraus. Snoop und Malik tauchen unter, heuern hochklassige Anwälte an und stellen sich eine Woche später der Polizei, unmittelbar nach einem spektakulären Auftritt von Snoop und Dre bei den MTV Video Music Awards. Snoop kommt innerhalb weniger Stunden wieder frei, nachdem Suge Knight eine Million Dollar Kaution hinblättert. Für Snoop beginnen so zweieinhalb qualvoll unsichere Jahre bis zur Klärung des Falls, aber wenn mehr Aufmerksamkeit für »Doggystyle« überhaupt noch möglich war – jetzt hatte er sie. Als seine Debütsingle erschien, war er schon ein Superstar – und die Frage »Who Am I? (What’s My Name?)« ganz schön überflüssig.

Das Album wird unter immensem Druck fertiggestellt, die letzten Aufnahmen finden Anfang November statt – am 23. ist Release. Die New York Times spricht vom »most anticipated hip-hop album ever«, von einem Charteinstieg auf Platz eins geht man ohnehin aus, und die Los Angeles Times orakelt, das Album könnte in der ersten Woche über 400.000 Einheiten absetzen – das sei die Liga von Metallica und Michael Jackson. Von ­wegen. Es werden tatsächlich über 800.000 Exemplare von »Doggystyle« in der ersten Woche, Rekord für ein Debütalbum. Bis heute wurde das Album weltweit über elf Millionen Mal verkauft, davon allein sieben Millionen in den USA. Aber auch in künstlerischer Hinsicht übertrifft »Doggy­style« die Erwartungen – und obwohl dem Rezept von »The Chronic« nüchtern betrachtet wenig hinzugefügt wird, wirkt letzteres plötzlich wie die (doch ganz gute) Generalprobe für eines der perfektesten Alben der Rapgeschichte.

Das sorgfältige Sounddesign inszeniert Snoops Stimme, zwischen blubberndem Bass und weit oben herumzirpenden Synth-Lines – das seit den Siebzigern bewährte, von Dre adaptierte P-Funk-Rezept – bleibt immer genug Platz für den Näseltenor des Doggy Dogg. Alles klingt weit organischer und satter als auf »The Chronic«, und mit all seinen Skits, Hits, Features und Gaststimmen bleibt »Doggystyle« eine minutiös durchkonstruierte Mischung aus Soul-Revue, Radioshow und Lieblingsmixtape. G-Funk hat Kommerz, Kunst, Style und Zeitgeist nie wieder so auf den Punkt gebracht wie in diesen 52 Minuten. Ob dafür ausschließlich Dre auf die Multimillionärsschulter zu klopfen ist, ist wiederum fraglich, denn vor allem Daz und Warren G sollen viele Beats in Rohfassungen beigesteuert haben. Aber der Doktor war eben damals schon mehr Kurator, Impresario und Produzent im traditionellen Sinne als ein einfacher Beatmaker. Als Rapper ist Dre hingegen kaum wahrnehmbar, während vor allem Daz und Kurupt als Tha Dogg Pound merklich nach vorne rücken. Die Zukunft von Death Row möchte ja mitgedacht werden.

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