Zugezogen Maskulin: »Wir sind authentisch in unserer Krampfigkeit.« // Interview

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»Sägeblatt-Shirt, alle Spießer empört/Heute schleppst du mich zum Ku’damm und willst zu ihn’ gehör’n«, rappt Testo auf dem neuen Zugezogen-Maskulin-Album »Alle gegen alle«. Wir sind auf dem Kurfürstendamm in Berlin. Grim104 und Testo sitzen auf Hockern im vierten Stock eines ehemaligen Versicherungsgebäudes. Im Hinterhof ist es dreckig, doch die in Richtung Straße gewandten Fassaden sind herausgeputzt. Davor: Alle sehen gleich aus. Die Schuhe sind rot oder weiß. Die Leggings schwarz. Es wird gekauft und gekauft.

Am Abend wird in diesen Räumen gefeiert, ein Magazin hat geladen. Etwas überspitzt könnte man sogar sagen: Zugezogen Maskulin befinden sich im Feindesland. Auf der Konsumstraße Nummer eins in einem Raum, in dem bald eine Party-Crowd voller Kreativmenschen tanzen wird. In Retro-Sportkleidung. Mit etwas Glück wird auch gekokst. Wow, this is so Berlin!

Zwei Jahre nach »Alles brennt«, dem ersten richtigen Album von Zugezogen Maskulin, folgt »Alle gegen alle«. Darauf arbeiten sie sich an »This is so Berlin« ab. Sie haben sich Bässe besorgt: viele, tiefe, grollende Bässe, die jetzt gemeinsam mit ihren Stimmen nach vorne preschen, sich alle Chiasamen-Smoothies aus dem Regal schnappen und sie gegen die Wand pfeffern. Das Smartphone gleich hinterher.

Während »Alles brennt« durch Songs wie »Oranienplatz« noch eher darauf bedacht war, sich mit größeren politischen Prozessen auseinanderzusetzen, besteht »Alle gegen alle« vor allem aus Mikrobeobachtungen aus dem Lebensraum von Testo und Grim. Es ist ein Aufbegehren gegen die Arroganz einer Berliner Szeneblase, und natürlich positionieren sich Zugezogen Maskulin auch gegen rechts und ungesunde Gruppendynamik. Zum Glück ist das Album aber kein theoretisches Pamphlet geworden. Stattdessen: Wut und Witz verschwimmen. Und am Ende wird zu Footwork getanzt.

»Was für eine Zeit« heißt die erste Single zum Album. In was für einer Zeit leben wir denn eurer Meinung nach?
Testo: Wir sind beide 88er-Baujahr, wie man so schön sagt. (grinst) Wir sind in einer Zeit des Friedens, des relativen Wohlstands aufgewachsen. Es fühlt sich, wenn man nichts anderes kennt, natürlich so an, als wäre das normal. Aber als das Album im letzten Jahr entstanden ist, gab es eine gefühlte Zeitenwende. Es hat sich etwas im Ton geändert.

Ihr sprecht auch über eure Großeltern und Eltern, über den Zweiten Weltkrieg und die DDR. Vor zwanzig Jahren waren gewaltbereite Neonazis präsenter. Kriege werden weniger. Eigentlich verbessert sich unsere Situation stetig, auch wenn es sich anders anfühlt, oder?
Grim: Natürlich stimmt das. Aber was zugenommen hat, sind die Vereinzelung und der Rückzug in Gruppen. Durch diese Atomisierung von allem, egal in welcher Gesellschaftsschicht, nimmt auch die Spannung zu. Natürlich gab es Anfang der Neunziger Brandanschläge auf Flüchtlingsheime. Aber es gab auch zwanzig Jahre dazwischen, in denen es gefühlt besser lief. Egal auf welches Festival wir dann 2016 gefahren sind – sobald wir das Radio angeschaltet haben, wurde über Brandanschläge berichtet.
Testo: Es gibt diese Progression in der Menschheit. Wenn man die Wiedervereinigung als Startpunkt nimmt, wurden es immer weniger Nazis, vieles wurde besser. Aber gleichzeitig trifft das nicht alle. Es gibt viele Abgehängte, die davon nichts haben. Die wählen dann vielleicht die AfD, Trump oder die AKP in der Türkei. Vielleicht geht der Graph der Progression nicht nur nach oben, sondern es gibt auch mal wieder eine Schwingung.

Ihr seid ja auch Teil einer kleinen Gruppe …
Testo: … einer Blase.

Einer Blase, über die ihr euch auch lustig macht. Von außen betrachtet seid ihr trotzdem linke Berliner Kulturschaffende und ein Teil der Rapszene, die was zu sagen hat.
Grim: Das hast du jetzt gesagt.
Testo: Hits mit Grips! (Gelächter)
Grim: Aber wir haben die eigene Erkenntnis darüber, dass wir uns in einer Blase bewegen – dass es also auch noch eine andere Realität gibt. So ein linkes Wohlfühlmilieu wie Kreuzberg ist nicht repräsentativ für jedes deutsche Dorf.
Testo: Es macht mehr Spaß, sich über die Leute lustig zu machen, die was zu sagen haben und denen es sehr gut geht, als auf den vermeintlich Schwächeren rumzuhacken.

Ihr motzt auch gegen Sneaker-Listen oder Instagram-Influencer. Beschäftigt habt ihr euch damit aber trotzdem, oder?
Testo: Klar.
Grim: Das ist ja auch diese Verworrenheit darin: dieses Vollgeballertwerden, es dann zu konsumieren und darüber abzukotzen. Das läuft in einer Schleife. Natürlich könnte ich mich einfach bei Facebook abmelden, um dem zu entgehen.

Was stört euch an Sneaker-Listen, Craft Beer und Chiasamen?
Testo: Das sind Symptome des Drucks, dass du nur cool bist, wenn du bestimmte Sachen hast, die sich aber nicht jeder leisten kann.
Grim: Natürlich ist es mir scheißegal, ob Leute Craft Beer trinken, Detox machen oder Paleo leben. Der einzige Kritikpunkt ist die Ideologie dahinter. Es geht darum, etwas moralisch Überlegenes zu tun und auf den Pöbel zu gucken, der sich noch seine 99-Cent-Nackensteaks aus dem Discounter holt. Die Einstellung zu sagen »Ich trinke das bessere Bier und nicht deine Plörre« geht nicht klar. Der einzelne Craft-Beer-Trinker ist mir egal.
Testo: Du bist da nur willkommen, wenn du performst, so aussiehst und dich so verhältst wie alle anderen.

Was ist für euch cool?
Testo: Das nicht immer perfekt Aussehende, das Abseitige, das Vogelige.
Grim: Das finde ich jedenfalls sympathischer als ein Shindy-Imitat.
Testo: Man selbst sein ist cool – auch wenn das esoterisch klingt. Man sollte sich ausleben, auch wenn etwas vielleicht nicht angesagt ist.

Auf »Was für eine Zeit« geht’s auch um die Zukunft. Wie habt ihr euch die als Kinder vorgestellt?
Grim: Das weiß ich gar nicht mehr. »Die Zukunft bringt uns Arbeit, Brot und Frieden« bezeichnet ja eher das positive Gefühl, das man vermittelt bekommen hat.
Testo: Ich hatte immer eine dystopische Vorstellung von der Zukunft und war eher der Fantasy-Typ.

Was hast du dir da ausgemalt?
Testo: Totale Überwachung, Herrschaft der Maschinen, irgendwelche Cyborgwesen, die traurig über die verdorbene Erdkugel stolpern und noch eine letzte menschliche Träne verdrücken, bevor sie auf ihre Roboterhände schauen. (Gelächter) Es gibt eine gute »Darkwing Duck«-Folge, in der seine Tochter Kiki durch ein Zeitloch fällt und in der Zukunft landet. Dort herrscht krasse Überwachung. Ein Pärchen knutscht auf der Straße und wird deswegen von einem Scheinwerfer angestrahlt. Wahrscheinlich hat mich das geprägt.

Auf »Uwe & Heiko« thematisiert ihr eure Heimat in der Provinz. Wie nehmt ihr die heute wahr?
Grim: Ich wohne jetzt schon seit elf Jahren in Berlin und bin nicht oft in der Heimat. Dort habe ich auch etwas Alienhaftes. Ich wandle da durch und versuche immer, Spuren der neuen Generation zu finden; gucke, ob es Tags oder Sticker gibt. Aber ich finde nichts.
Testo: Ich bin auch kaum da. Wenn, dann gibt es immer noch eine Verbindung zu alten Freunden. Dementsprechend löst es in mir auch etwas aus, wenn sich, wie letztes Jahr, auf so ein Ossi-Bashing eingeschossen wird. Dann fühle ich mich irritiert. Ich würde mich dann schon gerne dagegenstellen.

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