Zugezogen Maskulin – Alle gegen Alle // Review

-

Zugezogen Maskulin, Alle gegen Alle

(Four Music / Sony)

Wertung: Viereinhalb Kronen

Dunkeldeutschland im Naturzustand: NSU-Akten werden geschreddert, Rassisten ziehen in den Bundestag ein, Stacheldrahtzaun und Maschinengewehre schützen wieder die EU-Außengrenzen – »was für eine Zeit, um am Leben zu sein!« Das Yolo-Manifest von Future und Drake flippen Zugezogen Maskulin ins Gegenteil und killen die Nation mit einem Groove. Make Schlandrap subversiv again. »Alle gegen alle« stellt die fundamentalen Fragen unserer Zeit: Was unterscheidet den mündigen Bürger vom Schimpansen? Wofür gingen unsere Eltern überhaupt auf die Straße, und wieso kriegt unsere entpolitisierte Generation den verdammten Arsch nicht hoch? Das schwierige zweite Album von grim104 und Testo gleicht einer biblischen Erzählung, die die Menschheitsgeschichte als ewigen Krieg aufrollt. Der Garten Eden der Digitalisierung verkommt zur »Diktatur der Follower«. Die Liebe liegt begraben unter Instagram-Fassaden. Die zwei Wendekinder zeichnen ein post-apokalyptisches Setting, preachen über Konsumkritik, die Widersprüchlichkeit zwischen ostdeutscher Sekte-Sozialisation und Berliner Szeneblase und kommentieren das neoliberale Survival of the Fittest mit zynischer Fratze. Das wird man ja wohl sagen müssen, wenn die Gesellschaft radikal nach rechts rückt und Pop-Yuppies und Biedermeier-Rapper den Soundtrack zur wiedererstarkenden nationalen Identität liefern. ZM nennen Scheiße beim Namen (Craft-Beer, Twitter-Lingo, Sneaker Freaker, Deutschrap-Partys), beziehen Stellung ohne linkes Phrasengedresche und einfachen Populismus und mutieren (unfreiwillig) zum Sprachrohr einer Generation, der es, zum ersten Mal in Nachkriegsdeutschland, schlechter gehen wird als ihren Eltern: »Das hier ist kein Dada, das hier ist kein Spaß/Zugezogen Maskulin, die Wolken bleiben schwarz«, heißt es pessimistisch auf »Steffi Graf«, in Abgrenzung zu ihren vernebelten Rap-Kollegen. Die verzerrt-übersteuerten Industrial-Maschinen von Silkersoft dampfen, fauchen und vertonen den Untergang dieser gottlosen Welt im Post-Trap-Gewand mit Footwork-Fetzen. War Caspers »Lang lebe der Tod« die manische Reaktion auf unser postfaktisches Zeitalter, ist »Alle gegen alle« die ernstgemeinte Backpfeife, die die deutsche Musiklandschaft und mindestens 12,6 % der wahlberechtigten Bundesbürger so bitter verdient haben.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein