Tyler, The Creator – Scum Fuck Flower Boy // Review

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(Smi Col/Sony Music)

Wertung: Viereinhalb Kronen

Tyler, The Creator hatte anno dazumal zur Genüge kundgetan, dass er kein Rapper sein möchte, sondern sich zu weitaus Größe­rem berufen fühle. Daran hat sich auch heute nichts geändert: »Fuck the rap, I’m tryna own a planet«, heißt es selbstbewusst auf »Flower Boy«. Wäre Tyler aber dennoch ein Rapper und »Flower Boy« ein HipHop-Album, dann würde darin unfassbar viel Soul schlummern. Pointierte Gesangs-Arrangements von Gästen wie Kali Uchis, Estelle oder Frank Ocean und die eigene Fistel- und Gesangsstimme machen das vierte Album vom einstigen Odd-Future-Leader ungewohnt melodisch, aber vor allem harmonisch. Auf Tracks wie »See You Again« und »Garden Shed« vermischen sich ausgefeilte Klavier-, Drum- und Bassverläufe mit seichten Synths, während er mit BFF A$AP Rocky auf »Who Dat Boy« das Kontrastprogramm und seinen Hedonismus auf düsteren Bassbergen ablädt. Gleichzeitig hat Tyler trotz »Boredom« keine Zeit für Business-Bitches und tut seine Zuneigung gegenüber White Boys auf neptuneesken Clap-Patterns kund (»I Ain’t Got Time«). Gewisse Einflüsse sind also geblie­ben – weniger übersteuerter Lo-Fi-Sound, dafür klingt alles ausproduzierter. Was von den wilden Tagen der Posse-Rebellion übrig ist, ist ein 26-Jähriger, der statt Vans jetzt Converse trägt und die Selbstmordgedanken und Vergewaltigungsfantasien an den Nagel gehangen hat. ­Optimismus bis zum Anschlag wird nach »Cherry Bomb« auch auf »Flower Boy« weitergeführt. Wo vor zwei Jahren allerdings noch Flügel als Symbolbild für Selbstentfaltung, Freiheit und den ganzen positiven Scheiß standen, gedeiht Tyler dieser Tage als prachtvolle Blüte oder braust im Mercedes der Sonne entgegen. Der Fuhrpark scheint nämlich im Leben von Tyler mittlerweile eine übergeordnete Rolle eingenommen zu haben und eignet sich hier und da nicht nur als musikalisches Stilmittel, sondern auch als Lebensmetapher (»Foreword«, »Pothole«). Mit »Flower Boy« liefert Tyler das wohl kohärenteste Album seiner Karriere ab. Die Gaydars US-amerikanischer Hipster-Blogs wittern auf einmal das große Coming-Out und die Genius Annotations quellen vor vermeintlichen Homo-Hints über. Derweil greift Young T mit breitem Grinsen nach Mars, Saturn & Co. und genießt zu Recht seinen zweiten (oder dritten) Hype-Frühling – nicht als Rapper, sondern als Vollblutmusiker.

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