Trettmann: »Ich bin noch nie stehengeblieben.« // Interview

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Deine neue EP »Kitschkrieg« hat ein trappiges Soundbild, das sich sehr am aktuellen Zeitgeschehen im US-Rap orientiert.
Ja, ich bin noch nie stehengeblieben. Das ist doch das Schöne an der Musik: Ich kann mir heute noch ein Fu-Schnickens-Album anhören, habe aber schon immer den aktuellen amerikanischen Sound verfolgt. Irgendwann hat halt der 808-Sound übernommen. Wenn du meine »Zentralgestirn«-EP von 2012 hörst, sind da schon ähnliche Produktionen drauf. Damals nannte man das halt noch nicht so. Es gab jedenfalls nie die Überlegung, einen aktuellen Hype aufzugreifen, mit dem wir sonst nichts zu tun haben. Ich mag diese melodiösen Raps von Future und Post Malone einfach total. Ihre Herangehensweise erinnert mich sehr an Reggae. Ich lege sowieso mehr Wert auf Melodien als auf verschachtelte Textstrukturen und zweite Ebenen. Auch wenn meine Musik langsam ist: Sie ist immer für den Dancefloor angelegt! Da komme ich her.

Im letzten Sommer hast du »Hotline Bling« ins Deutsche übersetzt.
Ich hab schon früher gerne den angesagtesten HipHop-Track des Jahres gecovert – von Kanye West über Snoop Doggs »Sexual Eruption« (grinst). Das ist auch so ein jamaikanisches Ding und zeigt wieder diese Artverwandtschaft zwischen den beiden Stilen.

Man könnte sagen, als deutschsprachiger Reggaekünstler mit sächsischem Akzent trägst du eine Doppelbelastung. Hat dir die Sprache eher Türen versperrt oder geöffnet?
Ich hab damals die Szene gespalten, weil ich mich darüber lustig machte, dass die jamaikanische Kultur hier eins zu eins übernommen und imitiert wurde. Ich war Selektor bei einem Soundsystem und musste mir das ja immer reinfahren. Trettmann war von Anfang an ein Spaßprojekt. Ich hatte nie Ambitionen, in die Charts zu gehen oder bei Stefan Raab zu sitzen. Klar, das ist kryptische Scheiße, wenn ich mich auf Sächsisch über die hiesige Reggae-Szene auslasse. (grinst)

 

Die deutsche Reggae- und Dancehall-Szene war schon immer sehr klein, ist in den letzten Jahr aber nochmal geschrumpft, oder?

Lass es mal höchstens noch 10.000 feste Konsumenten sein. Während die Rapszene gewachsen ist, ist im Reggae alles weiter auseinander gedriftet. Die Szene ist klein und abgeschottet, lässt nichts von außen zu, und dreht sich dadurch im Kreis. Viele deutsche Reggae-Künstler haben es einfach nicht geschafft – wie es im HipHop der Fall war –, die Sprache aufs nächste Level zu hieven und eine eigene Identität zu finden. Das ist lyrisch teilweise noch auf Kinderliederniveau. Dabei zeigen Marteria oder Peter Fox doch, was sprachlich möglich ist.

Im letzten Jahr ging dein »No PEGIDA«-Track viral. Ist die allgemein schlechte Stimmung in Leipzig und im Osten noch verhärteter als in Restdeutschland?
Man kann schon sagen, dass die sächsische Landesregierung eine Mitverantwortung trägt, dass Dresden der Ursprungsort dieser, nennen wir es mal Bürgerbewegung, ist. Seit der Wende regiert dort die CDU, die immer am rechten Rand Stimmen gefischt hat. Diese Woche erst kam es zu einer pogromähnlichen Jagd in Leipzig-Connewitz, bei der 250 Hardcore-Hooligans einmarschiert sind. Das ist schon ein neues Level an Hässlichkeit. Ich wollte eigentlich nie ein politischer Künstler sein, aber das brannte mir auf der Seele, sodass ich mich zu einem Schnellschuss hinreißen ließ. Ich hatte die Hoffnung, dadurch Leute zu erreichen. Ich war ja 16, als die Mauer fiel und in den Neunzigern waren Überfälle auf Jugendclubs ein großes Thema. Wenn man mit dem letzten Zug gefahren ist, hat man als HipHopper aufs Maul bekommen. Die momentane Stimmung macht mir wieder Angst. Es desillusioniert die Menschen, zu sehen, wie normal es schon wieder geworden ist, rassistische Scheiße von sich zu geben. PEGIDA ist eine faschistoide Bewegung. Und dann legt die Polizei das Hauptaugenmerk noch immer auf die linke Szene. Obwohl es jeden Tag zu Überfällen auf Flüchtlingsheime kommt. Als hätten wir aus der verdammten Geschichte nichts gelernt. ◘

Foto: °awhodat°

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