Trettmann – #diy // Review

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(SoulForce Records / Finetunes)

Wertung: Sechs Kronen

»Nichts ging mehr, denn ich war schon tot«, heißt es gleich zu Beginn. Es ist gut, dass Trettmann diese Worte singt. Denn sie bezeugen, dass der Worst Case erfolgreich vermieden wurde. Nicht nur das: Tatsächlich ist »#diy« (Spoiler Alert!) die größte Cinderella-Story der deutschen Rap-Geschichte. Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen: ein Typ aus dem zweitgrößten Plattenbaugebiet der ehemaligen DDR, alt genug, um seine HipHop-Sozialisation hinter der Mauer als B-Boy zu beginnen, rollt das Feld seit nunmehr zwei Jahren von hinten auf. Dabei ist es bereits eine Dekade her, dass sich Ronny Trettmann ironisch als »Sachsens neuer Reggae Star« (sic!) betitelte. Allen Achtungserfolgen zum Trotz war nach etlichen Veröffentlichungen selbst 2013 beim richtigen Albumdebüt »Tanz auf dem Vulkan« unklar, wie ernst es der gebürtige Karl-Marx-Städter nun tatsächlich meinte. Doch mit dem Klischeevornamen Ronny verschwanden auch die Bedenken, Trettmann könne ein Blödelkünstler sein – einer, der zwar in Sachen Melodiefindung, Catchphrases und Songwriting gesegnet war, dieses Talent jedoch allzu gern hinter der Maske des Humors versteckte. Dass ihm das Traurige besser steht, bewies »Skyline« Anfang 2016 eindrucksvoll. »Ich seh Vorboten einer neuen Eiszeit«, tropften die Autotune-getränkten Vocals damals auf zuckerwattige Synthies. Der Knoten war geplatzt, auf einmal ging alles: Selbstzweifel, Aufbruchstimmung, Ohrwurmhook und Analyse der weltpolitischen Lage (ohne Aluhut oder Alman-Pathos) verdichtete der Song auf nur drei Minuten Lauflänge. Um Schluss mit lustig zu machen, hatte Tretti sie alle studiert: Die Autotune-Weiterdenker Future, Thugger und Travis, den Weltstar-Sadboy Drake, den nigerianischen Superstar Wizkid, die Londoner Grime-Fraktion, und natürlich auch Dancehall-Revoluzzer wie Popcaan, Alkaline und Vybz Kartel. KitschKrieg, der damals frisch formierte Squad, in Wirklichkeit eine Ansammlung alter Bekannter aus der Reggae- und Dancehall-Szene, verstand Trettis Vision auf Anhieb. Drei gemeinsame EPs, sieben »Palmen aus Plastik«-Tracks und die Megaloh-Kollabo »Herb & Mango« später ist diese Vision zur Bewegung gereift, die im Herbst 2017 ihre volle Wucht entfaltet. Die Vorgabe »do it yourself«, die Trettmann im Verbund mit den Produzenten Fizzle und Fiji Kris sowie der Fotografin und Kreativdirektorin awhodat umsetzt, wird auf »#diy« durch die Maxime »all killer, no filler« ergänzt. Zehn Tracks beweisen, dass man die eigene Erfolgsformel innerhalb zweier intensiver Jahre perfektioniert hat. In einer Tradition mit Jan Delays »Searching For …« und Peter Fox’ »Stadtaffe« gelingt hier ein überlebensgroßer Rap-Moment ohne Rap. Trettmann singt bittersüße Balladen (»Billie Holiday«, »New York«), Oden an den endlich überwundenen Struggle (»Knöcheltief« mit Gzuz und »Gott sei dank« mit RAF & Bonez), einen intimen Sommerhit (»Dumplin & Callaloo«), einen rabiaten Turn-up-Tune (»Nur noch einen« mit Joey Bargeld und Haiyti) und einen nostalgischen Rückblick auf die adoleszente Nichtsnutzigkeit (»Fast Forward« mit Marteria). Am zwingendsten entfalten sich seine Qualitäten als Songwriter auf »Geh ran« und »Grauer Beton«. In Ersterem verarbeitet er den Selbstmord eines Freundes, in Letzterem die Hoffnungslosigkeit eines vergessenen Teils der Bevölkerung. Beide Songs sind geprägt von einer einnehmenden Schwere, die den Hörer unweigerlich in ein emotionales Chaos stürzt. Wer da nichts fühlt, dessen Herz ist auch nicht mehr als eine beschissene Blutpumpe.

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