This Is Compton: Eine Stadt und ihre HipHop-Geschichte

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»The Streetz Of ­Compton« (The Game)

Anfang des neuen Jahrtausends erscheint plötzlich ein bis dato unbekannter Rapper aus Compton auf der Bildfläche: The Game. Ein Mitglied der Bloods, zutätowiert und vom Schmerz und Verlust seines bisherigen Lebens gezeichnet, der mit brüskem Bariton und einer unmissverständlichen Überzeugung seine Gangster-Tales ins Mic spuckt. Bereits als kleiner Steppke ist das Thug Life allgegenwärtig – sein Vater ein Blood, seine Mutter ein Crip –, dementsprechend eng ist sein eigenes Leben mit dem alltäglichen Hustle inmitten von Drogen und Gewalt verwoben. Eigentlich klar, dass das nicht lange gut geht. Als er eines Nachts im Jahr 2001 zu Hause noch einen potenziellen Drogenabnehmer empfängt, wird er angeschossen. Fünf Mal. Nach drei Tagen im Koma wacht er im Krankenhaus wieder auf.

 
Doch Game nimmt den traurigen Umstand zum Anlass, sein Leben umzukrempeln, studiert der Sage nach ein halbes Jahr lang sämtliche HipHop-Klassiker und nimmt im Anschluss ein Mixtape auf: »You Know What It Is Vol. I«. Dieses gelangt erst in die Hände von Puffy, dann in die von Dr. Dre. Letzterer signt Game daraufhin bei Aftermath und bietet ihm in der Folge sämtliche Möglichkeiten, um seinen eigenen HipHop-Klassiker aufzunehmen: »The Documentary«. Ein epochales Großwerk, das zwar am Reißbrett entsteht, aber nicht danach klingt. Oder wie Game im Schlüsseltrack »Dreams« selbst so schön formuliert: »Ready To Die«, »Reasonable Doubt« und »Doggystyle« in einem. Damit und mit dem fast ­ebenbürtigen Nachfolger »Doctor’s Advocate« (diesmal ohne Dre – aufgrund von Streitigkeiten mit 50 Cent ) bringt er nicht nur die schwächelnde Westküste allgemein, sondern auch Compton im Speziellen wieder zurück ins… nun ja… Game – auch wenn er seiner damaligen Form bis heute hinterherrennt.

»Compton Life« (Kendrick Lamar)

Und dann ist da natürlich noch dieser eine unscheinbare Typ, der heute als Retter von Rap gefeiert wird; als HipHops Erlöser, der dem alten Spiel wieder frischen Wind in die Segel pustet; und der von den ganz Großen – namentlich Game, Snoop Dogg und Dr. Dre – als »New King Of The West Coast« gefeiert wird. Sein Name: Kendrick Lamar.

Kendrick wird 1987 in Compton geboren. Seine Eltern stammen aus dem sozialen Brennpunkt der Chicagoer South Side, ziehen dort jedoch Mitte der Achtziger weg, weil ihnen (sein Vater ist Mitglied der berüchtigten Gangster Disciples) eine bessere Zukunft für ihren Sohn vorschwebt. Warum es sie dann ausgerechnet nach Compton verschlägt, bleibt ein Rätsel. Das Thug Life ist für den kleinen Kendrick in Compton jedenfalls vom Tag seiner Geburt an omnipräsent.

Ein Schlüsselerlebnis in Kendricks Leben bringt ein Tag im Jahr 1995, da ist er acht. Bei einem Spaziergang mit seinem Vater zum Compton Fashion Center wird er Zeuge, wie 2Pac inmitten einer Schar schöner Menschen ein Video zum Remix von »California Love« dreht. Und auch die HipHop-Prominenz aus Compton ist anwesend: DJ Quik, Dr. Dre – alle sind sie da. Kendrick beschließt sofort: »Das will ich auch!«

Also beginnt er, damals noch unter dem Moniker K-Dot, im stillen Kämmerlein an seinen Fertigkeiten als Rapper zu arbeiten. Das Ergebnis: »Youngest Head Nigga In Charge« (2003), sein erstes Mixtape, das ihm sogleich einen Deal mit TDE einbringt. Dort erscheint weitere Musik, erste Features werden eingetütet (unter anderem mit The Game) und Gigs werden gespielt. 2009 formt er zudem mit den TDE-Künstlern Jay Rock, Ab-Soul und Schoolboy Q das Black-Hippy-Kollektiv.

 
Als Lamar 2010 sein Mixtape »Overly Dedicated« veröffentlicht, kommt das auch Dr. Dre zu Ohren, der Lamar daraufhin direkt zu einer Session für sein Phantomalbum »Detox« einlädt. Bereits hier machen erste Gerüchte die Runde, die Compton-Ikone könnte Lamar als neues Signing bei Aftermath in Betracht ziehen – und zwei Jahre später (Kendrick hat bereits sein vielbeachtetes Debütalbum »Section.80« veröffentlicht) ist es dann soweit: Die Compton-Koryphäe Dr. Dre verkündet den Schulterschluss mit King Kendrick. Dre damals: »Ich besitze leider keine Kristallkugel, aber er hat das Potenzial, etwas richtig Großes zu schaffen.« Und was dann folgt, ist Geschichte: »good kid, m.A.A.d city« rasiert 2012 mal eben alles. Kendrick geht mit Kanye auf Tour, darf als einziges Rap-Feature auf Eminems »The Marshall Mathers LP 2« glänzen und sackt neben Platin für das Album auch noch Respektsbekundungen von jedem und seiner Mutter ein. Mehr geht eigentlich nicht, oder? Doch.

Im März dieses Jahres dann »To Pimp A Butterfly«, ein Über-Nacht-Release, das – da sind sich alle einig – ein lupenreiner Instant Classic ist. Allein am Veröffentlichungstag wird die Platte knapp zehn Millionen Mal gestreamt, sie verschafft Kendrick seinen ersten Grammy und hievt den Guten – das ist dann wohl der vielbeschworene Butterfly Effect – ein für allemal in den HipHop-Olymp und ins Blickfeld der Weltöffentlichkeit. Und Compton gleich mit. Wieder einmal.

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