Ssio: »Stell mich nicht in die Realkeeper-Ecke. Ich bin nicht in der Cypher groß geworden.« // Titelstory

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Wer über die Punchlines von Ssio nicht lacht, kann kein guter Mensch sein. Tatsächlich war sich Rapdeutschland selten so einig, wie über den dreibeinigen Kanalreiniger, der sich in den letzten Jahren subgenreübergreifend zu everybody’s darling mauserte: Die Jungs am Block feiern das Bonner Original mit dem »Spezial Material« für seinen Entertainmentfaktor, tätowierte Vollbarthipster zitieren seinen Slang und die popkulturellen Quer­verweise – und selbst die Ewiggestrigen lieben den Alles-Oder-Nix-­Adjutanten spätestens seit »BB.U.M.SS.N.« für seine mehrsilbigen Reimketten und den Beatgeschmack, der irgendwo zwischen Puffys Mittneunziger-Hochglanz-R’n’B und dem Westküsten-Bounce eines DJ Quik liegt. Der gehypteste Deutschrapper im Frühjahr 2016 ist tatsächlich Kritikerliebling, Straßenstar und Teilzeit-­Comedian in einem.

VORSPIEL

»Ssio war noch Pumpen und trifft sich kurz mit Kumpels«, erklärt Reaf die Verspätung am Telefon. Eine Stunde später sitze ich in der Lobby des Holiday Inn Express in Kreuzberg. Für das Label mit dem Gold kommen Ssio und AON-Hofproduzent Reaf recht spartanisch unter. Es sind noch drei Wochen bis zur Veröffentlichung von »0,9« – Ssios neuem Album, das über die letzten zwei Jahre mit Reaf entstand, und das, so viel steht jetzt schon fest, ein voller Erfolg werden wird. Ssio und Reaf kamen gestern mit dem Billigflieger nach Berlin gejettet und arbeiten heute die wichtigsten Rapmedien der Hauptstadt ab. Ssio – Medienprofi durch und durch – wird sein Programm charmant-höflich abspulen, immer einen guten Spruch auf Lager, aber stets um persönliche Distanz bemüht. Ein Pressetag ist in erster Linie anstrengend, vor allem für einen Künstler, der neben seiner musikalischen Agenda (Burger, Frauen, Autos), nicht viel von seinem Privat­leben preisgeben will. Auf leeren Magen steigen wir ins Auto. Ein spaßiger Streit entbrennt: Döner zum Frühstück oder doch lieber Pasta, so wie Ssio es wünscht? Eine Stunde Zeit bleibt, bis zum Fotoshooting mit EASYdoesit-Fotograf Maxim Rosenbauer, der einen urigen Thai-Massage-Salon in Berlin-Mitte als Setting vorgeschlagen hat.

Fahrt durchs Regierungsviertel, vorbei am Brandenburger Tor und schwerbewaffneten Securitys, die das Ministerium für wirtschaft­liche Zusammenarbeit beschützen. Reaf staunt über die akkumulierte Macht in Bauwerken. Wir unterhalten uns darüber, ob die sich nicht eher in Frankfurt manifestiert, und ob die Skyline der Bankenmetropole nicht sowieso eindrucksvoller ist. Ssio sitzt am Steuer des etwas zu kleingeratenen Mietwagens und hat vor allem Hunger. Während Reaf die späteren Pressetermine koordiniert, stecken wir im Stau. »Verrückt, dass Bonn mal die Bundeshauptstadt war«, wird Ssio später bemerken. Erinnerungen an die Zeit, in der seine Geburtsstadt die westdeutsche Machtzentrale war, hat er nicht. Wie auch? Dafür ist Ssio mit seinen 27 Jahren einfach zu jung.

Blick zurück: Ssiawosch Sadat, Sohn afghanischer Flüchtlinge, wird 1989 geboren, das Jahr, in dem die Mauer fällt und vom Regierungssitz in Bonn nur ein paar prunkvolle Villen, internationale Beziehungen und Diplomaten zurückbleiben. Im Bonn der Neunzigerjahre schlägt sich der Halbstarke auf der Straße rum. Ein Zeitalter, das bei ihm bis heute tiefe Spuren hinterlässt: Seine Lieblingsserien, der Musikgeschmack und sein Humor – alles entstammt besagtem Jahrzehnt. Die Kultartikel seiner Jugend, wie Pombären und Koala-Kekse, glorifiziert er, indem er sie bei Konzerten ins Publikum schmeißt. Sozialisiert mit Horace Brown, Blackstreet, 2Pac und Biggie, versucht er sich in den frühen Zweitausendern erstmals als Rapper KanaKonda – zwar noch etwas holprig, aber technisch schon damals eine Nasenlänge voraus. Giwar Hajabi, der in der Bonner Unterwelt sein Unwesen treibt und dessen Idee eines Deutschrap-Labels dort auf wenig Zuspruch stößt, erkennt das Talent früh. Ssio – was im afghanischen für »der Schwarze« steht – benennt sich um und wird zum zweiten Mann bei AON; seine Vision von schelmischen Schlüpfer-Späßen, mehr­silbigem Hochtechnik-Rap und zeitgemäßem Neo-Boombap wird erst zur Alles-Oder-Nix-Blaupause und später zum allgemeinen Trend für hiesige Straßenrapper.

Ssio ist in erster Linie ein Meister der Inszenierung. Ein Sprücheklopfer, der es versteht, Claims für Generationen zu kreieren (»Nein, leider niemals«, »Nuttöö«) und dessen ­trockene Punchlines in allen Alters- und Gesellschaftsschichten für Nacken- und Schenkelklatscher sorgen. Wo die Azzlackz mit ihren serbokroatischen, arabischen und nordafrikanischen Einflüssen Vokabel-Roulette spielen, macht der rheinländische Jung den Bonner Bi-Slang zu seinem ureigenen Trademark und fasziniert damit Sprachwissenschaftler und Straßenhustler gleicher­maßen. Sein Humor – weiter unter der Gürtellinie und über dem Niveau deutschsprachiger Stand-Up-Comedy – wird uns den gesamten Nachmittag über unterhalten. Wer Ssio aber einzig auf den »Kanaken mit Grips« runterbrechen will, hat den Joke nicht verstanden. Die vermeintliche Inhaltslosigkeit seiner Texte überspitzt der »einzige Mann mit lockigem Brusthaar« schon seit seinem AON-Debüt »Spezial Material« und Songtiteln wie »Es geht nur um Sex« und »Schon wieder geht es nur um Sex«. Aber wie unpolitisch kann ein Rapper schon sein, dessen größter Hit von rassistischer Türpolitik in Bonner Edeldiskotheken handelt?

Wir parken den Mietwagen, ignorieren den Parkscheinautomaten und landen nach kurzer Suche in einem Asia-Schnellrestaurant. Ssio spendiert eine Runde Bratreis und kippt sich eine große Ladung scharfer Soße auf sein Essen. Neben uns pausiert die Arbeitsmarktelite der Hauptstadt, unbeeindruckt davon, dass einer der spannendsten Rapper des Landes gerade den Laden betritt.

 

Gibt es in Bonn denn noch Clubs, in die du nicht reinkommst?
(lacht) Das habe ich schon länger nicht mehr auf die Probe gestellt, aber gute Frage. Ich bin generell nicht so der Party-Typ. Was wahrscheinlich auch daran liegt, dass für mich das Risiko zu groß ist, nicht in die Diskothek reinzukommen. Ich bin ja selber ehrenamtlich als Türsteher tätig, und wenn mich einer nicht reinlässt, empfinde ich das als harte Beleidigung.

Bei »Bonn 17« ging es aber doch auch um rassistische Türsteher.
Was heißt rassistisch? Die Türsteher sind ja selbst Kanaken. Aber klar, die Türpolitik des Ladens hat einen rassistischen Ursprung. Es war aber nicht meine Intention, damit Rassismus anzuprangern.

Du bist in Bonn-Tannenbusch aufgewachsen. Wie ist es da so?
Tannenbusch ist ein sehr schönes Viertel, in dem die Oberschicht lebt und Evian aus dem Wasserhahn fließt.

Also wahrscheinlich eher das, was ­medienwirksam gerne als Sozialer Brennpunkt bezeichnet wird?
Das Wort gefällt mir nicht, da krieg ich ­Herpes von. Aber ja, das trifft es wahrscheinlich besser. (grinst)

Wurdest du musikalisch erzogen?
Ja, vor allem von meine Mutter. Sie schickte mich mit zehn Jahren auf die Musikschule, wo ich ein Instrument erlernen sollte. Das wissen aber nur drei, vier Leute, was für eins. Ist kein schlimmes Instrument, eher unkon­ventionell, aber nicht schlimm.

Hast du denn in dem Alter schon Rap gehört?
Da hat das gerade angefangen, mit »All Eyez On Me« von 2Pac – das Album, durch das ich mit Rap in Berührung kam. Ich wurde früh von meinem großen Bruder geprägt. Viele denken ja, ich sei zu jung für Biggie und Blackstreet, und verstehen konnte ich das auch nicht. Aber ich wusste schon früh, ob etwas musikalisch gut oder schlecht ist. ­Dieses Argument des Alters spielt für mich eh keine Rolle. Es gibt 17-Jährige, die Mucke aus den Siebzigern hören, einfach, weil sie die cool finden.

Was waren denn die ersten deutschen Rapper, die du hören konntest, ohne dich dafür zu schämen?
Boah, gar keiner! Ich hab mich für so ziemlich alles geniert. Aktuell sieht das etwas anders aus: Es gibt eine große Bandbreite, bei der die Fremdscham-Quote ein wenig geringer ist. Aber die Latte ist immer noch gewaltig hoch. (grinst) Zur damaligen Zeit habe ich gar keinen deutschen Rap gehört und würde das auch heute nicht privat im Auto pumpen.

Hörst du immer noch mehr R’n’B als Rap?
Privat überwiegend, ja. Da höre ich lieber Musik, die anders klingt, als die Musik, die ich selbst produziere.

 

Warum gibt es denn keine deutschen R’n’B-Stars?
Hier existiert diese Kultur einfach nicht. Wenn hier jemand anfängt zu singen, kriegt man schnell das Gefühl, das wäre homoerotisch – völlig unbegründet natürlich. Es müsste halt eine Charakterfigur geben, eine Person, die sich gesanglich gut artikuliert. Bei deutschem Gesang liegt diese Fremdschamgrenze noch viel tiefer als im Rap. Bisher hatte einfach noch keiner die Eier und die Vision, wie ich sie hätte, wenn ich singen könnte. (grinst)

Auf einem frühen Track, »Tannenbusch Song«, den du noch als KanaKonda aufgenommen hast, habt ihr schon versucht, diese R’n’B-Seite mit deutschem Gesang einzubauen.
Damals war ich noch ein kleines Kind und meine Auffassung von Gut und Schlecht nicht so weit entwickelt. Ich konnte auch meinen Freunden nicht sagen: »Pass mal auf, das ist scheiße.« Der Gesang damals war in meinen Augen grottenschlecht, peinlich und abartig.

Wie wichtig ist es denn, ein kritisches Umfeld zu haben, das ehrlich Kritik äußert?
Sehr wichtig, aber dafür muss man halt die richtigen Leute finden. 99 Prozent der Leute, die man nach ihrer Meinung fragt, geben Kritik nur, um Kritik zu geben, verstehst du? Für ehrliche Beurteilungen muss man schon sehr stark aussortieren. In meinem Freundeskreis gibt es zwei, drei Leute, deren Meinung ich einhole.

Ich frage das, weil Alles Oder Nix als Camp für eine strikte Geheimhaltungstaktik und Qualitätskontrolle bekannt ist, die von außen wenig zulässt.
Ich zeige keinen Zwischenstand, sonst könnte ein falscher Eindruck entstehen. Nicht mal Xatar bekommt Sachen zu hören, bevor sie gemischt sind. Ich mag es auch nicht, jemandem drei Songs vorzuspielen, wenn das Album noch nicht komplett ist. Ich möchte das Album in einem Moment komprimiert als Ganzes zeigen. Oft klingen Songs scheiße, wenn sie noch im Entstehungsprozess sind – und dann könnte die Vision kaputt gehen, die man hatte. Deswegen: Erst das Album fertig machen, und dann kannst du den Zuhörer auf eine Reise schicken, die funktionieren wird, wenn du dein Handwerk beherrschst. (grinst)

Es ist bisweilen negativ konnotiert, als Rapper ein Image zu haben. Ihr legt viel Wert auf die Darstellung und Außenwirkung und sprecht von Produkten, die ihr verkauft.
Meine Sozialisation lässt es gar nicht zu, dass ich sage: »Oh, ich bin ein Künstler.« Da kommen wir auch wieder auf die Fremdscham-Ebene. Man soll mich nicht in diese Realkeeper-Ecke stellen. Ich bin nicht in der Cypher groß geworden. Ich bin einfach nur ein Junge von der Straße, der früh erkannt hat, dass er raptechnisch was drauf und Ahnung von Beats hat. Das war’s, mehr mache ich nicht! Es macht mir natürlich Spaß. Das ist ein Hobby, eine Leidenschaft.

Ihr habt den Ssio-Charakter nun weitergedacht und konzipiert. Dieses Comichafte spielt im Cover-Artwork von »0,9« und den Videos eine noch größere Rolle.
Ich stelle keine Figur dar, sondern nur mich selbst. Wir haben den Charakter jetzt nicht kalkuliert weiterentwickelt. Erst die Zuhörerschaft gibt dir deine Wiedererkennungsmerkmale. Als wir zum Beispiel auf das »Nuttööö«-Ding kamen, war das reiner Zufall. Das ist einfach meine Art, mich zu artikulieren. Den Kultstatus, den das mittlerweile erreicht hat, gibt dir erst das Publikum.

Dieses Image-Denken war im US-Rap immer präsenter. Wu-Tang trieben das mit ihren verschiedenen Rollenfiguren auf die Spitze.
Wu-Tang war nie mein Fall, das war mir zu dumpf. Der Sound trifft einfach nicht meinen Geschmack. Außer Method Man und ODB war da keiner, der wirklich herausgestochen ist.

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