Schoolboy Q [Feature]

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SchoolboyQ
 
Wir werden sterben
 
Schoolboy Q musste die Notbremse ziehen. Weil sich der hoch gehandelte Rapper aus Los ­Angeles in der Arbeit an seinem dritten Album »Oxymoron« zunehmend verzettelte, zwang er sich selbst zur Auszeit. Zwei Monate lang gab es nur Weed, Videospiele und Vaterpflichten, dann stellte er die Platte mit frischer Energie fertig. Die Maßnahme hat gegriffen: »Oxymoron« ist ein konzentriertes und sogar nüchternes Album über Drogenhandel und Gangkultur in Los Angeles. Kaum jemand hätte Schoolboy Q so viel Ernst und Selbstbeherrschung zugetraut. Für einen Durchbruch auf Kendrick-Lamar-Niveau könnte »Oxymoron« sogar zu ambitioniert sein.
 
Die Rollen beim Black-Hippy-Kollektiv scheinen klar verteilt: Kendrick ­Lamar ist der Wortführer by default. Mit »Good Kid, M.A.A.D City« kam er dem perfekten Rap-Album beängstigend nahe, mit seiner »Control«-Strophe formulierte er dann auch Machtansprüche. Ab-Soul ist der Weirdo und Mystiker. Die anderen ­bezeichnen ihn als wandelndes Wörterbuch, er ist zuständig für Esoterisches und »third eye shit«. Schoolboy Q ist der Partylöwe. Wahrscheinlich das Black-Hippy-Mitglied, mit dem sich am besten ein Bier trinken ­ließe. Wahrscheinlich auch der Typ, dem man ein Meisterwerk auf »M.A.A.D City«–Niveau am wenigsten zutrauen würde. Schoolboy wirkt zu schlampig und verstrahlt dafür. Seine bisher besten Stücke heißen »Druggys Wit Hoes« und »There He Go«. Und schließlich Jay Rock – ja, was ist eigentlich mit Jay Rock?
 

 
Schon an dieser Frage erkennt man, dass in Wahrheit gar nichts klar ist. Keiner der Black-Hippy-MCs hat jemals so gut in seine Rolle hineingepasst, wie Fans und Medien das der Einfachheit halber gerne hätten. Lamar und Ab-Soul haben stumpfe Party-Tracks im Repertoire, die sich mit dem jeweiligen Straßenchroniker- und Schlaumeier-Image beißen. Beide sind sich für billigen Spaß nicht zu schade, auch das gehört zu ihren Stärken. Schoolboy Q wiederum kann sich sehr wohl zusammenreißen. Seine Download-Only-Alben »Setbacks« und »Habits & Contradictions« kalkulierten immer auch den Kater nach dem Rausch mit ein. Es ging, zumindest zwischen den Zeilen, um Schuldgefühle und Verletzlichkeit, familiäre Pflichten und schwierige Spagate zwischen Daddy und Sugar Daddy. Bevor sich Lamar mit »Good Kid, M.A.A.D City« auf ein neues Level hievte, hätte sich niemand mit der Einschätzung blamiert, Schoolboy Q sei das größere Rap-Talent.
 
»Ehrlich gesagt habe ich noch nie ­davon ­gehört, dass ich angeblich weniger ­ambitioniert und ernsthaft sei als ­Kendrick oder Ab«, sagt Schoolboy Q Ende ­Januar im Telefon-­Interview mit JUICE. Er liest offensichtlich keine Reviews, und er hatte in letzter Zeit auch wirklich keine Zeit dafür. Schoolboy Q steht kurz vor der Veröffentlichung seines Major-Label-Debüts »Oxymoron«. Es ist eine heiß erwartete und mehrmals verschobene Platte, ihre ­Entstehungsgeschichte gilt als ­problematisch. Q soll damit gerungen haben, seine eigene Stimme zu finden. Er wollte ein ähnlich komplexes Album wie Lamar aufnehmen und gleichzeitig einen »M.A.A.D City«-Abklatsch vermeiden. Die vorab veröffentlichten Tracks wurden wohlwollend, aber nicht euphorisch ­aufgenommen. Im Gespräch wirkt Schoolboy Q kämpferisch, ein bisschen gereizt auch. Das Letzte, was er hören will, sind Fragen zu seiner Rolle im Black-Hippy-Kollektiv. »Vielleicht habt ihr es in Deutschland noch nicht begriffen«, sagt er, »aber eigentlich weiß inzwischen jeder, wofür ich stehe. Wer mich nicht kennt, ist ein Idiot. Wer Schoolboy Q ignoriert, hat keine Ahnung von HipHop.«
 
Schoolboy Q sagt das mit branchen­üblicher, letztlich gar nicht ­unsympathischer Großkotzigkeit. Das Interessante an seinem Selbstbewusstsein ist aber, dass er immer auch sich selbst anzusprechen und einzuschwören scheint. Schoolboy Q ist der Beste, und wenn er es selbst glaubt, werden es irgendwann auch die anderen glauben. Immer wieder rechnet er im Interview ­seine bisherigen Erfolge vor, spricht von den zigtausend verkauften Alben und ­ausverkauften Touren, die er ohne ­Rückendeckung einer großen Plattenfirma auf die Reihe gebracht hat. Dass so eine Firma nun für die Veröffent­lichung von »Oxymoron« verantwortlich ist, ändert aus Sicht des Rappers ­überhaupt nichts. »Ich ­brauche kein Label, und ich brauche kein Radio. Ich brauche niemanden. Mir ist vollkommen egal, ob ich mit ­’Oxymoron‘ auch nur einen neuen Fan dazu gewinne. Ich habe schon genug Fans. Auf meinem aktuellen Level kann ich alles tun, was ich will.«
 

 
Es ist vermutlich nicht ganz so einfach. Es wird Leute geben, die Schoolboy Q Geschichten über Wachstum und Expansion einflüstern, von Fashion-Linien, Grammys und Millionenverkäufen reden, weil das bei Kendrick eben auch so gelaufen ist. Q bezeichnet diese Leute als »Märchenonkel«. Für »Oxymoron« seien sie nicht relevant. Tatsächlich sind auf der Platte, verglichen mit seinen Indie-Alben, keine ­Zugeständnisse an vermeintliche Mainstream-Erwartungen zu erkennen. Dass die vorab ­veröffentlichten Tracks nicht auf überwältigende Resonanz stießen, wird auch daran liegen, dass es keine ­herausragenden Hits gibt. Stattdessen ­bestimmten ­längere, ­mitunter mehrteilige Stücke den Verlauf von ­»Oxymoron«. Schoolboy Q bringt die ­erwartbare Selbstbeweihräucherung, er verbessert aber auch sein Story­telling. Der Werdegang als Gangbanger aus Los Angeles und die Befreiung als Rapper schimmern an allen Ecken und Enden durch, seine Tochter tritt als Kollateralschaden des ausführlich ­vorgestellten Lebenswandels in mehreren ­Stücken auf. Wenn es nicht den ­unverkennbaren Schoolboy-Anstrich der Stücke überschatten würde, könnte man »Oxymoron« auch »Bad Kid, M.A.A.D City« nennen.
 
Die bisherigen 27 Lebensjahre von ­Schoolboy Q geben mehr als genug Stoff für eine solche Erzählung her. Q wird als Quincy Matthew Hanley in eine US-Army-Familie hineingeboren. Sein Vater ist in Wiesbaden stationiert, der Sohn hat daran allerdings nicht viele Erinnerungen. Die Eltern trennen sich früh, Quincy geht mit seiner Mutter ­zurück in die USA und wächst in South ­Central Los Angeles auf – in den Neunzigerjahren ein Hauptschauplatz der Bandenkriege ­zwischen Crips und Bloods. Schoolboy Q dreht schon als 12-Jähriger erste Drogendeals, hält sich aber lange vergleichsweise schadlos. Sein früherer Spitz- und heutiger Künstlername geht auf die Brille und den soliden ­Notenschnitt zurück, die seine Highschool-Jahre prägen. Erst im ­Abschlussjahr kommen sich Ausbildung und Nebenjob in die Quere. Dabei geht auch ein potenzielles College-­Stipendium als Football-Spieler flöten.
 

 
Schoolboy Q dealt mit Crack und Marihuana, verdient aber vor allem an ­Oxycodon, einem Schmerzmittel mit starker Suchtwirkung, das in den USA als Heroin der Hillbillys gilt. Mit 21 handelt er sich jeweils drei Monate Knast und Hausarrest ein. Die Gründe für seine Verurteilung hält Q bis heute unter Verschluss. Etwa zur gleichen Zeit wird es dem Gelgenheits-Rapper auch mit der Musik ernster. So unbedarft, wie Schoolboy Q auf die schiefe Bahn geraten war, scheint er sie auch wieder zu verlassen. Bei seinem ersten Besuch in einem Tonstudio lernt er Ab-Soul und Jay Rock kennen, wenig später nimmt ihn Top Dawg Entertainment unter ­Vertrag. Seine ersten Mixtapes »Schoolboy Turned Hustla« (2008) und »Gangsta & Soul« (2009) verhandeln Schoolboys Lebensgeschichte noch, ohne großes Aufsehen zu erregen. Erst mit den Download-Alben ­»Setbacks« (2011) und »Habits & Contradictions« (2012) gelingt es ihm, zum eigenen Werdegang auch einen eigenen Stil zu entwickeln.
 
Dieser Stil zeichnet sich vor allem durch Schoolboy Qs kratzige Stimme aus, die wie gemacht ist für dreckige Lacher und ­animierende Ad-Libs. Fast jedes seiner Stücke wird davon mitbestimmt: Schoolboy-Q-Tracks klingen immer in Bewegung und ­unberechenbar, oft wird dadurch von düsteren und reflektierten Texten abgelenkt. Der MC hat außerdem ein exzellentes Ohr für Beats. Alle bisherigen Schoolboy-Alben standen in der musikalischen Tradition des Westcoast-Gangsta-Rap, überraschten aber auch mit Indie-Rock-, Dream-Pop- und TripHop-Samples. Schoolboy Q hat keinen so extravaganten Musikgeschmack wie etwa Danny Brown, er ist ein Rapper, der sich vor allem mit Rap beschäftigt. Er sucht sich aber zuverlässig die richtigen Sachen aus – oder hört zumindest auf die Vorschläge der ­richtigen Leute.
 
Auf »Oxymoron« wird die Palette noch breiter. Die Pharrell-Produktion »Los Awesome« zeigt mit Großraum-Dubstep-Anleihen, dass ­Schoolboy Q auch auf einem Skrillex-Track klarkäme. »Collard Greens« steht am anderen Ende des Spektrums und bringt minimalistische Plinker-Elektronik mit ein paar ­spanischen Zeilen von Kendrick Lamar zusammen. »What They Want« wurde von Mike Will Made It produziert und lässt erahnen, wie sich Schoolboy Q im aktuellen Atlanta zurechtfände. »The ­Purge« wiederum ist ein Rückblick auf die ersten Odd-Future-Schocker, für den Tyler, The Creator noch mal Todesröcheln und Billig-­Synths auspackt. Selbst ein Kurupt-Feature fügt sich sinnvoll in diesen L.A.-Generationengipfel ein – das Erstaunlichste an »Oxymoron« ist zunächst mal, dass es nicht zusammengestückelt klingt. Weder hört man der Platte ihre bewegte Entstehungszeit an, noch die vielen Männer, die ihre Finger hier mit im Spiel hatten.
 
Die beiden Herzstücke von »Oxymoron« ­werden trotzdem in-house gestemmt. ­»Hoover Street« und »Prescription/Oxymoron« gehören zu der Handvoll Tracks des Albums, die ohne Features auskommen. Die Musik dazu stammt von Mark »Sounwave« Spears, einem Mitglied des Top-Dawg-Beatmaker-Teams Digi+Phonics. Sounwave hat in der ­Vergangenheit unter anderem Schoolboys »There He Go« und Lamars »Bitch, Don’t Kill My Vibe« produziert. Diesmal konzentriert er sich auf zwei atmosphärische Stücke, die mehrmals ihre Form verändern, zusammen fast eine Viertelstunde andauern und als Inhaltsangabe für den Rest von »Oxymoron« funktionieren.
 

 
»Hoover Street« ist nach der Straße benannt, in der Schoolboy Qs Elternhaus steht. Der MC trägt darin mit immer wieder verschlepptem Flow seine verzwickte Familien­geschichte vor: Der cracksüchtige Onkel stiehlt Qs Mutter das Geld aus der Tasche, der leicht zu beeindruckende Sohn kommt zum ersten Mal mit einer Waffe in Kontakt und schließt sich am Ende des Stücks den 52 Hoover Crips an. Dichte und Detailfülle sind schon hier auf dem Level der besten Gangsta-Geschichten von Ghostface Killah. Noch besser ist aber »Prescription/Oxymoron«, der bisher düsterste Schoolboy-Track. Über vier Strophen wandelt sich Q hier vom Konsumenten zum Verkäufer diverser verschreibungspflichtiger Medikamente. Zweifel an den eigenen Entscheidungen schwingen immer mit, Mailbox-Nachrichten von Schoolboys Tochter werden eingespielt, die finale Läuterung bleibt aus. Man lebt nur um zu sterben, stellt Schoolboy Q ernüchtert fest. Es ist der größte Widerspruch von allen, das Oxymoron des Lebens.
 
»Wir alle sind wandelnde Widersprüche«, sagt Schoolboy Q zu den Szenarien, die er auf »Oxymoron« durchspielt. »Wir beten in der Kirche, dann gehen wir nach Hause und bauen wieder Scheiße.« Sein Album lebt von solchen Kontrasten. Immer wieder geht es um Menschen, die vergeblich ­versuchen, Fehler auszubügeln, gute Vorsätze ­verwerfen, einander enttäuschen und betrügen. Manches davon ist autobiografisch geprägt, vieles hat Schoolboy zumindest selbst beobachtet. Die Frage, ob »Oxymoron« ein Versuch sei, sich mit seinen eigenen ­Schwächen und Widersprüchen zu arrangieren, blockt er allerdings ab. »Es kann nie darum gehen, seinen Frieden mit irgendetwas zu machen. Dafür müsste man den Sinn des Lebens verstehen, und wer kann das schon von sich behaupten? Ich weiß nicht, warum ich schwarz bin, ich weiß nicht, warum du Deutscher bist. Ich weiß nur, dass ich am Ende sterben werde, genau wie meine Tochter und die Kinder meiner Tochter.«
 
Was man fatalistisch finden könnte, ist für Schoolboy Q vor allem realistisch – ein ­weiteres »Oxymoron«-Schlüsselwort gibt er sich damit selbst vor. Schon als sich das Album noch in Arbeit befand, sprach ­Schoolboy in Interviews immer wieder ­darüber, dass es keine Gangsta Rapper mehr gäbe, nur noch Möchtegerns, die mit ihren Klischeegeschichten und absurden Übertreibungen das Genre aufgeweicht hätten. »Oxymoron« antwortet diesen Rappern mit ­kühler Perfektion. Nichts an Schoolboys Texten ist diesmal glamourös. Statt zu glorifizieren oder zu verurteilen, erlaubt er seinen Geschichten, sich selbst zu erzählen. Dabei entsteht nicht zuletzt ein neues Bild von South Central L.A., das man sich gleich neben Kendrick Lamars Compton-Update hängen kann.
 
»Die Leute halten L.A. noch immer für die Hauptstadt des Gangbangin’«, sagt ­Schoolboy Q. »In Wahrheit läuft hier schon lange niemand mehr mit einem roten oder blauen Tuch in der Hosentasche rum. Man sieht das noch in Videos, aber nur bei ­Leuten, die keine Ahnung haben. Farben ­haben ihre Bedeutung verloren – Crips tragen Rot und Bloods tragen Blau.« Begraben sind die Kriegsbeile deshalb noch lange nicht. Q aber sieht Veränderungen im Umgang der Gangs miteinander. Der Fokus, glaubt er, habe sich von größeren Schlachten auf persönliche Rivalitäten verschoben. »Die Straße ist noch immer im Arsch, aber es ging ihr schon sehr viel schlechter. Wir leben nicht mehr in den Achtzigern, es gibt keine Drive-Bys mehr. Aus einem fahrenden Auto zu schießen – das ist inzwischen schon eine Beleidigung der Gangkultur. Heute springt man aus dem Auto und schnappt sich den Typen, auf den man es abgesehen hat.«
 
Schoolboy Q glaubt nicht, dass ­Regierungs- oder Polizeimaßnahmen zur zaghaften ­Verbesserung des Klimas in den ­Bandenkriegen beigetragen haben. Er hält ­Entwicklungen für verantwortlich, die in höheren Gesellschaftsschichten oft mit Sorge betrachtet werden: »Das Internet holt die Kinder von der Straße«, sagt er, »und damit rettet es vielen das Leben.« Q und seine Freunde waren als Jugendliche noch mit dem Fahrrad unterwegs. Sie hingen auf der Straße ab und trafen sich im Park, um Basketball zu spielen. Heute, so Schoolboy, spielt in South Central niemand mehr im Park. Selbst auf der Straße läuft kaum noch jemand herum. »Die Kids sitzen zu Hause vorm ­Fernseher und spielen Videospiele. Wer Bock auf Football hat, muss nicht mehr vor die Tür gehen.«
 

 
Natürlich weiß Schoolboy Q, dass ­solche ­Entwicklungen mit ihren ganz eigenen ­Problemen verknüpft sind. Ausgestorbene ­Straßen sind sicher kein Königsweg zu weniger Gewalt und Kriminalität. Konflikte werden verlagert, aber dadurch noch lange nicht gelöst. »Das Internet hat zweifellos seine schlechten Seiten«, sagt Schoolboy Q. »Jede Neunjährige kann sich halbnackte Schlampen angucken. Wer wissen will, wie das aussieht, wenn man jemandem das Hirn wegpustet, der findet bestimmt ein passendes Video. Diesen ganzen Scheiß gibt es auch, also denke ich, das ­Internet macht die Leute gleichzeitig dümmer und schlauer. Ich konnte bis zur Highschool kaum mit Computern umgehen. Meine Tochter ist jetzt vier Jahre alt und weiß schon, wie unser Amazon-Account funktioniert.« ◘
 
Text: Daniel Gerhardt
Foto: Lukas Maeder
 
Dieser Artikel ist erschienen in JUICE #158 (hier versandkostenfrei nachbestellen).
 

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