Sido – 30-11-80 // Review

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Sido 30-11-80 - CMS Source

(Universal)

Wertung: Vier Kronen

MTV Unplugged. 23. Blutzbrüdaz. #Beste. Polittalk, Castingshow, Familienglück. So richtig weg-weg war Siggi Smallz nie, seit 2009 »Aggro Berlin« erschien. Trotzdem konnte man lange nicht sicher sein, wer einem heute auf Albumlänge begegnen würde – der berufsjugendliche Hitzkopf, der auf Clubmusik über Schuhe rappt? Der reminiscende Anfangdreißiger mit Bildern im Kopf? Promi, Papa, Elder Statesman? Sekte oder Selters? Nun, Paul Würdig ist all das, und sein neues Album wäre ohne diese kontrastreiche Vita nicht denkbar. Auf der einen Seite ist da also das kleine Einmaleins, die selbstbewusste Intro-Ansage, der hinlänglich bekannte Allstartrack, die tiefdunkle »Maskerade« mit Marsi und Genetikk und der genüssliche Faulenzer-Mumpitz mit Helge »Schnizzle« Schneider. »301180« lebt aber auch davon, wie unbefangen der Geschichtenerzähler Sido mit Empathie und entwaffnend offener Reflexion umzugehen gelernt hat. Wie schwierig die Vorbildrolle sein kann, mit der er sich auf »So wie du« und »Papa, was machst du da« episodenhaft beschäftigt, nimmt man ihm ebenso ab wie ein, zwei Liebeslieder. Und wenn er kleine, liebevolle Außenseiter-Porträts in Strophen skizziert, dann gelingt ihm das so treffend wie sonst vielleicht noch Laciny oder Dilemma. Der Bulle und die Lehrerin, der Marzahner Sinti und der unattraktive Topf, der auch seinen Deckel finden wird – wir sind jetzt alle Freunde. Die Ohrwurm-Hooks dazu haben wir sowieso. Selbst zwei deutschrockige Refrains des Barden Mark Forster bleiben erfreulich okay. Weniger Geschick beweist hingegen Marius Müller-Westernhagen, dessen Stadion-Pathos über Zweiunddreißigstel-Hi-Hats einen kompletten Song ersäuft. Und über »Fühl dich frei«, eine Synthpop gewordene Anhäufung wohlmeinender Coaching-Phrasen, sprechen wir einfach nicht weiter. Trotzdem: der vielleicht letzte deutsche Rapper, für den man noch die Vokabel »spitzbübisch« braucht, hat auch dieses Erwachsenending offenkundig gemeistert. Der früher spürbare Hunger bleibt dabei ein wenig auf der Strecke. Dass Sido Lust zu erzählen hatte, merkt man dem Album trotzdem an.

Text: Ralf Theil

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