Real Talk #1

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Staiger
 
In den letzten Tagen ist es ja wieder mal aktuell geworden: Real Talk im deutschen Rap. Die Gemüter bewegt, ob Kay One nun eine Snitch oder ein Held ist. Ich bin vehementer Verfechter der Meinungsfreiheit und würde dieses Gut auch gegen jegliche Art von Drohgebärden verteidigen. Deshalb sollte Kay One sagen dürfen, was immer er will. Für einen echten Snitch hat Kay One jedoch viel zu wenig Substanzielles von sich gegeben. Insofern muss er also ein Held sein, weil er sich getraut hat, das Maul aufzumachen – gegen Leute, bei denen sich andere gerne mal wegducken. Das ist ein Argument. Aller­dings gefällt mir daran nicht, dass Kay One bei all den Aktionen, die er jetzt angeblich so scheiße findet, immer ganz vorne mit dabei war. Immer, wenn ich ihn bei irgendwelchen offiziellen Anlässen in Berlin getroffen oder ihn im Fernsehen gesehen habe, ist er mit breiter Brust herumstolziert und ließ gerne durchblicken, mit welch krassen Typen er am Start ist. Das mag man ihm vielleicht noch nicht einmal zum Vorwurf machen. Denn seien wir doch mal ehrlich: Wir alle wären gerne größer, schneller, schlauer und geiler, als wir es in Wirklichkeit sind. Dank Yoga und Meditation mögen es einige mittlerweile geschafft haben, tatsächlich mit dem zufrieden zu sein, was sie haben und wie sie sind. Aber der kapita­listischen Wachstumsdoktrin zufolge ist eben immer noch ein wenig mehr drin. So ist es kein Wunder, dass wir alle hin und wieder übertreiben und uns größer machen, als wir sind. In diesen Übertreibungen, Lügen und Täuschungen liegt auch gar nicht so sehr das Problem. Speziell im Rap ist es ja eigentlich eine unabdingbare Grundvoraussetzung. Denn was wäre Rap ohne Übertreibungen? Nichts – oder zumindest nicht so interessant. Stellt euch vor, Rapper würden nur noch Leben beschreiben, die aussehen wie deins oder meins. Dann könnte ich mir ja gleich mein Leben angucken und bräuchte keine Musik mehr. Nein, in der Musik muss es knallen und rattern wie in einem guten Film. Da müssen die Helden davonkommen und die anderen immer danebenschießen.
 
Authentizität in der Popwelt ist definitiv für den Arsch. Was man allerdings verlangen kann, ist Aufrichtigkeit und Haltung. Nicht nur von Rappern, sondern von jedem Menschen. Wenn sich Kay One nun darüber beschwert, dass seine ehemaligen Freunde wahllos Nackenklatscher verteilt haben, dann ist das vollkommen richtig. Nackenklatscher sind schlichtweg asozial, doch was ich bei ihm vermisse, ist eine Haltung. Nackenklatscher uncool zu finden, ist eine Haltung. Eine Haltung, die man einnimmt, weil es entwürdigend ist, anderen Leuten Nackenklatscher zu geben. Ein Haltung, die man einnimmt, egal gegen wen sich diese Art der Körperverletzung richtet. Nicht erst dann, wenn sie einen selbst betrifft.
 
Ich weiß, Haltung zu bewahren ist nicht einfach in einer Welt, in der einem diese Werte nicht vorgelebt werden. Selbst Politiker verwechseln ihren Verlust an Haltung mit Flexibilität. Wenn die Grünen als einstige Friedenspartei die ersten Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland beschließen, dann ist das allerdings nicht flexibel, sondern schlichtweg fehlende Haltung. Wenn die SPD als einstige Partei der kleinen Leute diese regelmäßig verrät, dann hat das nichts mit alternativlosen Sachzwängen zu tun, dann haben sie einfach keine Haltung. Und wenn CDU und FDP immer nur denen alles recht machen, die sowieso die wirtschaftliche Macht in Händen halten, aber behaupten, sie würden das für die Bevölkerung tun, dann haben auch sie keine Haltung.
 
Haltung zu haben, ist unbequem. Haltung zu haben, hat etwas mit Aufrichtigkeit zu tun und letztendlich auch mit Mut. Einen Standpunkt zu vertreten, wenn dieser der Mehr­heitsmeinung oder auch nur einer anderen Meinung entgegensteht, ­verlangt Mut. Sich und anderen einzugestehen, dass man einen Fehler gemacht hat, verlangt ebenfalls Mut. Und jemand anderem ins Gesicht zu sagen, dass man ihn nicht leiden kann, sowieso. Ich habe Rap immer dafür geliebt, dass er diese einfachen Regeln anscheinend so perfekt beherzigt. Ich habe immer daran geglaubt, dass Rap deshalb so cool ist, weil hier nichts unter den Teppich gekehrt wird und aufgrund des großen Textvolumens alles auf den Tisch kommt. Doch die meisten Akteure, die ich kennen lernen durfte, sind genauso zögerlich und bequem wie der Rest der ­Gesellschaft.
 
Ich wünsche der JUICE in ihrer neuen Besetzung alles Gute – und möge sie eine Haltung finden, mit der sie hin und wieder aneckt, zum Denken anregt und es nicht jedem recht macht. Möge sie eine Art von journalis­tischer Aufrichtigkeit finden, die nicht in erster Linie von wirtschaftlichen Interessen geleitet ist und die auch mal die offene Konfrontation sucht. Die deutsche HipHop-Szene braucht ein Blatt, das sich kritisch mit ihr auseinandersetzt, weil man sich eben nur durch kritische Auseinandersetzung weiterentwickeln kann. Es nützt uns nichts, uns gegenseitig auf die Schulter zu klopfen. Dadurch werden wir nicht besser. Und besser wollen wir doch alle werden.
 
In diesem Sinne: Alles Gute,
Staiger
 
Diese Kolumne ist erschienen in JUICE #155 (Dezember 2013) (hier versandkostenfrei nachbestellen).
 
JUICE-155-Cover

 

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