Pusha T: »Trump ist der schlechteste Präsidentschaftskandidat aller Zeiten.«

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Kann sich ein Rapper im Jahr 2016 überhaupt noch erlauben, keine Meinung zu politischen und gesellschaftlichen -Themen zu haben? Wird man ohne Haltung automatisch irrelevant?
Ich sehe das so, ja. Der Rapper, den ich 2016 hören will, kann sich eloquent zu allem äußern. Es gibt für ihn keine Tabuthemen, und er kreist nicht nur um sich selbst. So wird man dann übrigens auch zu einem Rapper, den sich die Leute über das Jahr 2016 hinaus anhören werden.

Wie bewertest du denn die Obama-Präsidentschaft, nun, wo sie fast vorbei ist?
Ich bin sehr zufrieden mit ihm.

Hat er nicht manchmal erschreckend machtlos gewirkt? Gerade wenn man noch mal an die vorhin angesprochene Polizeigewalt der letzten Jahre denkt, die sich immer wieder gegen Afroamerikaner gewendet und zahlreiche Opfer gefordert hat. Hättest du dir kein stärkeres Zeichen von ihm dagegen gewünscht?
Ich hatte das Gefühl, dass er an unserer Seite stand. Er hat mit uns gelitten, die richtigen Worte gefunden und einen gewissen Konsens vertreten, der in der Bevölkerung zu erkennen war.

HipHop regiert die ganze Welt. HipHop gibt die Energie vor, nach der sich alles richtet.

Aber das reicht doch nicht!
Nun, er ist eben der Präsident. Er muss ein bestimmtes Level an Unvoreingenommenheit aufrechterhalten – oder zumindest so tun. Ich denke, seine Präsidentschaft hat ein wenig unter den übertriebenen Erwartungen vieler Wähler gelitten. Man kann doch nicht von ihm erwarten, dass er einerseits der Präsident der USA ist, und sich andererseits aufführt wie ein Mitglied der Black Militia. (lacht)

Du hast eben Gefühle wie Empathie und Trost angesprochen, von denen mir immer wieder auffällt, wie wenig Platz du ihnen in deiner Musik einräumst. »Darkest Before Dawn« wird gerade gefeiert für sein Selbstbewusstsein und seine Kaltblütigkeit, und ich finde das völlig in Ordnung. Aber wenn du selbst so ein kompletter Rapper sein willst, wie du ihn vorhin beschrieben hast, müsstet du diesen Gemütslagen dann nicht auch mehr Platz auf deinen Platten einräumen?
Ich denke schon, dass ich das tue. Bei The Clipse ging es immer auch um Zweifel an den eigenen Entscheidungen, um Verwundbarkeit. Und auf meinem ersten Soloalbum »My Name Is My Name« drehte sich vieles um meine Familiengeschichte. Aber ich muss sagen, dass ich mich um bestimmte Gefühlslagen immer erst dann kümmere, wenn sie auch wirklich etwas mit meiner aktuellen Verfassung zu tun haben. Ich gebe den Leuten Momentaufnahmen aus meinem Leben. Deshalb bin ich ja so real. Würde ich nun damit anfangen, Gefühle heraufzubeschwören, die ich gar nicht fühle, würde das meine Botschaft verwässern. Das wird mit meinem Rap nicht passieren.

Könnte es so etwas wie ein Trennungsalbum von Pusha T geben?
Natürlich! Aber es würde nicht klingen wie das, was du dir wahrscheinlich unter einem Trennungsalbum vorstellst. Ich würde aus einer realistischen Perspektive rappen. Ich könnte dir zeigen, wie ich mit Liebeskummer und gebrochenem Herzen umgehe. Aber das wäre schwer verdaulich. Ich werde nicht darüber singen, wie sehr ich jemanden vermisse. Ich werde nicht weinen. (lacht)

 
Wenn es früher bei The Clipse um Verwundbarkeit und Zweifel an eurem Lebenswandel ging – und wir reden immerhin über einen Lebenswandel, von dem sich dein Bruder Malice so weit abgewandt hat, dass die Gruppe nicht mehr existiert, welche Ziele habt ihr dann verfolgt? Seid ihr Moralisten, die den Leuten erklären wollen, was gut und was böse ist?
Nein. Ich wollte den Leuten immer zeigen, dass zu jeder Geschichte zwei Seiten gehören. Menschen treffen Entscheidungen auf Grundlage ihrer unmittelbaren Bedürfnisse. Aber diese Entscheidungen haben Konsequenzen – für sie selbst und mehr noch für andere. Das zu zeigen war und ist mein Ziel. Ich bin kein Moralist. Ich bin nicht euer Erziehungsberechtigter. Ich will mich nicht hinstellen und sagen: »Das hier ist richtig, und das hier ist falsch.«

Abschließend würde ich gern noch eine Frage zu deinem neuen Job als Präsident von Kanye Wests Label G.O.O.D. Music stellen. Du hast dich in den letzten Wochen häufiger kritisch über junge Rapper geäußert und angemerkt, dass es dir zu nett und kollegial zugehe, dass niemand mehr zu harten Aussagen bereit sei. Wenn dem so ist, warum willst du dann überhaupt diesen Job machen, der sich zu einem erheblichen Teil darum dreht, junge Rapper zu fördern?
(überlegt) Ich weiß nicht, war ich wirklich so kritisch? Es geht mir eher darum, dass ich in den letzten Jahren durchaus positive Entwicklungen bei jungen Rappern beobachtet habe, aber dass daraus nicht die richtigen Konsequenzen gezogen werden. Neue Künstler sind heute wahrscheinlich so eigenständig und unabhängig wie nie zuvor: Sie drehen ihre eigenen Videos, machen ihre eigene Aufbauarbeit. Das ist gut. Seid kreativ, bleibt kreativ, schützt eure Kreativität! Aber viele Leute vergeuden ihr Talent, weil sie keine Ahnung von der geschäftlichen Seite haben. Irgendwann muss man sich damit auseinandersetzen, um den nächsten Schritt zu machen. Es heißt schließlich nicht ohne Grund Musikgeschäft. All diese Leute, die sich von der Industrie über den Tisch gezogen fühlen und daran kaputt gehen – das sind im Prinzip Leute, die es nicht schaffen, ihre Geschäfte vernünftig zu führen. Wer daran scheitert, ist selbst schuld. ◘

Text: Daniel Gerhardt
Fotos: Universal Music

Dieses Interview ist erschienen in JUICE #173 – jetzt am Kiosk oder hier versandkostenfrei bestellen.JUICE 173

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