Nimo: »Ich werde nicht vergessen, was war und wo ich herkomme« // Feature

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Scheißkalt ist es. Wir haben Mitte November, die Außentemperatur liegt knapp über Null. Nimo sitzt auf einer rostigen Bank, den Blick auf die Dahme gerichtet, einen Nebenfluss der Spree. Er haucht sich warme Luft in die Hände, zieht sich seinen Trademark-Bucket-Hat ein wenig tiefer ins Gesicht und den Kragen seiner Jacke ein wenig höher. »Lass anfangen, Diggi!« JUICE-Interview. Titelstory. Deutschraps Zukunft.

Ziemlich genau ein Jahr ist es her, Nimos gefeiertes Debütmixtape »Habeebee« war noch nicht mal draußen, da haben wir den heute 21-Jährigen zum HipHope erklärt; zu einem Rapper, dessen Buzz so viel realer war als von den meisten hiesigen MCs vor ihm. Wer Nimo gesehen, gehört, erlebt hatte, dem war unumwunden klar: Auf die Szene kommt etwas Großes zu. Wie dieser Typ aus der Nähe von Stuttgart da ins Mic spuckt, diese Wortwahl, diese Bilder, mit was für einer (größen-)wahnsinnigen Delivery er seine Hoodtales filigran in den Takt meißelt – das wird einen Impact haben. Schon damals ist Nimo längst kein Geheimtipp mehr.

Eigentlich war er das eh nie. Denn als vermeintliche Bescheidwisser Nimo gerade als Artist to watch labeln wollten, wurden sie (wie der Rest Rapdeutschlands) von den immensen Klickzahlen seiner Videos, seinem unnachahmlichen Hype schlichtweg überrollt. Die normalen Stationen eines herkömmlichen Newcomers? Nimo hat sie übersprungen. Auch das ein Beleg seiner binnen kürzester Zeit erkämpften Ausnahmestellung im hiesigen Game – und Grund dafür, warum er es innerhalb eines Jahres geschafft hat, vom HipHop-Hoffnungsträger zur Speerspitze dessen zu werden, was wir als die Zukunft von Deutschrap erachten. »Gestern Freestyle auf Hofgang, heute Deutschlandtournee.« Aber spulen wir noch mal kurz zwei Dekaden zurück.

Nimos Wurzeln liegen in Bandar Anzali – ­einer kleinen Großstadt am kaspischen Meer. Sein Vater engagiert sich politisch, kämpft für einen freien Iran – sehr zum Unwillen der Obrigkeit, die ihn in der Folge zur Flucht zwingt. Das erste Zuhause von Nimos Vater außerhalb der persischen Heimat wird ein Asylantenheim in Karlsruhe – Startpunkt für ein neues Leben. Kurze Zeit später, es ist 1995, kommt sein Sohn Nima [Nimos bürgerlicher Name; Anm. d. Verf.] auf die Welt.

Lange hält es sie dort jedoch nicht. Sie ziehen eine Autostunde südöstlich von Karlsruhe in die 20.000-Seelengemeinde Korntal-Münchingen; die Art Ort, für deren Beschreibung das Wort »beschaulich« erfunden wurde. Fragt man Nimo nach seiner Zeit dort, legt sich Zufriedenheit über sein Gesicht. »Da bin ich aufgewachsen. Kindheit. Schöne Erinnerungen.« Er hält kurz inne, sucht nach erzählenswerten Anekdoten und sagt: »In Korntal habe ich zum ersten Mal geklaut, mein Vater hat das mitbekommen. Da habe ich Schläge kassiert. In meinem Kinderzimmer.« Er grinst.

Damals besucht Nimo gerade die Teichwiesenschule, so erste, zweite Klasse. Großes Interesse am Unterricht zeigt er nicht. »Ich war intelligent, aber faul. Hatte keinen Bock«, sagt er. Statt Fleißpunkte für emsige Mitarbeit sammelt er Klassenbucheinträge, lässt seine offenkundige Kreativität schon damals nicht in streberhafte Unterrichtsbeteiligung, sondern in Streiche und Scheiße-bauen münden. So weit, so normal.

Als er in die dritte Klasse geht, steht der nächste Umzug an: Nach Leonberg, 13 Kilometer westlich von Stuttgart und zwanzig Autominuten von Korntal entfernt. Der Berg an Scheiße, die Nimo baut, wird nach und nach größer. Und damit auch die Probleme. In jungen Teenagerjahren fängt Nimo erst mit dem Rauchen, dann mit dem Kiffen an; ein teures Hobby, dessen Finanzierung mit herkömmlichen Nebenjobs wie Zeitungaustragen und Rasenmähen nur schwer zu stemmen ist. Er findet andere Einnahmequellen. In der fünften Klasse zieht er Mitschüler ab, vertickt deren Handys. Die Folge: Der nächste Umzug, diesmal Adelsheim – in die zweitgrößte Jugendstrafvollzugsanstalt Deutschlands. Vier Monate verbringt er dort. Nimo ist gerade 15.

»Ich musste wegen Kleinigkeiten rein, die sich gehäuft haben. Beschaffungskriminalität. Geld machen, Ott holen.« Was er sich genau hat zuschulden kommen lassen, davon erzählt er in Songs wie »Flouz kommt Flouz geht« und »Nie wieder«, aber auch in »Tret’ in die Pedale« von der aktuellen JUICE-EP, in denen er ein sehr anschauliches Bild von den Umständen zeichnet, die ihn nach Adelsheim gebracht haben; und die erklären, warum er ein halbes Jahr nach seiner Entlassung erneut einsitzen muss. Diesmal in Stammheim.

»Adelsheim war nicht so schlimm. Das ist wie ein kleines Dorf, umringt von Mauern. Aber Stammheim …« Nimo macht eine Pause, schüttelt kaum merklich den Kopf und pustet seine kondensierte Atemluft in den Winternachmittag. »… Stammheim ist ekelhaft. Da siehst du nur deine Zelle. Alles alt, alles Drrrrrreck.« Das R rollt er so lange durch den Rachen, als könne er dadurch die Erinnerung an den bitteren Nachgeschmack des Knastessens von seiner Zunge tilgen.

»Heute mache ich nichts Kriminelles mehr. Für was auch? Ich kriege meine Klamotten von Adidas, habe Geld, habe Essen. Scheiß mal auf Knast, Bruder!« Über seine Zeit hinter Gittern zu reden, ist Nimo unangenehm. Man merkt, dass er mit diesem Teil seines Lebens abgeschlossen hat, damit abschließen will. Warum wir trotzdem noch darüber reden müssen, will er wissen. Ganz einfach: Weil das der Ausgangspunkt dessen ist, warum Nimo dieser Tage wie kaum jemand sonst im Scheinwerferlicht der HipHop-Öffentlichkeit steht. Weil er dort, inspiriert von Leuten wie Azad, Xatar und den Azzlackz, mit dem Rappen angefangen hat. Weil die Umstände, die ihn dort reingebracht haben, heute den inhaltlichen Nährboden für seine Tracks liefern. Und weil ihm das Leben erst dort die wichtige Weiche gestellt hat, die ihn von der schiefen Bahn auf den geraden Weg geführt hat – ins Musikstudio, auf die Bühne, aufs JUICE-Cover. Und der wichtigste Baustein dabei: Sein Label 385idéal.

2014. Celo & Abdi sowie ihr Geschäftspartner/Manager Syn werden durch Facebook auf Nimo aufmerksam, der seine ersten Bars nach seiner Gefängniszeit regelmäßig auf verwackelten Handyvideos ins Social Network schiebt. Die Folge: Ein Anruf von Abdi, ein erstes Treffen in Mainhattan und das Angebot, das Frankfurter Duo Numero Uno auf Tour zu begleiten. Syn, der Nimo zum Covershoot in Berlin begleitet, erinnert sich: »Wir würden nie jemanden signen, mit dem wir menschlich nicht klarkommen. Deshalb haben wir ihn mitgenommen und uns erst mal richtig kennengelernt.« Nimo nickt und sagt: »Celo, Abdi, Syn – das ist Familie.« Er hält kurz inne, schaut zu seinem Freund und Manager, dann fügt er an: »Ich habe Syn noch kein einziges Mal nach einer Abrechnung gefragt. Da herrscht blindes Vertrauen, Dicker.« – »Normal«, sagt Syn.

Und seit besagtem ersten Kennenlernen ist viel passiert: Nimo ist nach Offenbach gezogen, um näher an seinen Jungs zu sein; hat von seinem ersten Mixtape »Habeebee« Anfang des Jahres aus dem Stand 20.000 Einheiten verkauft – ohne Promo, ohne Interviews, ohne Box – und es damit bis in die Top Ten geschafft – mit einem reinen Digital-Release! Er hat mittlerweile massenhaft Liveauftritte vor bis zu 1.500 Leuten absolviert, was vor allem daran liegt, dass auch viele Mädchen seine Konzerte besuchen. Snapchattet er aus einem Restaurant, rufen die Mädels dort auf dem Haustelefon an und legen die Leitung lahm. Normal? Nein, das ist es längst nicht mehr. Und die Erwartungen an das, was noch folgen wird, sind entsprechend hoch. Der Druck steigt. Aber wie geht man als 21-Jähriger damit um?

»Ich habe die besten Leute um mich herum, das hält mich auf dem Boden«, sagt Nimo. »Selbst wenn ich ein richtiger Trottel wär, würden die Jungs was aus mir machen – einen halben Trottel vielleicht.« Er und Syn lachen gemeinsam, wie so oft an diesem Nachmittag. Man merkt: 385i (mittlerweile mit Universal-Deal), das ist für Nimo nicht nur Label, sondern Labelheimat. Heimat im Sinne von Identitätsstiftung und Charakterprägung; als (selbst-)vertrauenstiftendes Element, das Nimo trotz aller lebensverändernden Ereignisse der letzten Zeit Struktur und Halt gibt – und ihm eine Eigenschaft bewahrt hat, die bei aufstrebenden jungen Rappern selten ist: Demut. »Ein Kumpel von mir ist im Knast, die anderen sind jeden Tag in der Tiefgarage, cracken ab. Und ich: Fahre in einer S-Klasse zu irgendwelchen Festivals, stehe auf Bühnen, kriege Klamotten geschenkt. Bruder, was ist passiert?« Nimo wirkt aufgeregt, als er das erzählt, hebt seine Stimme – als würde er sich durch das Mehr an Lautstärke vergewissern, dass nicht alles bloß ein Traum ist, aus dem er sonst aufwachen würde. »Ich war auch mit diesen Jungs in dieser Tiefgarage. Jetzt bin ich hier. Damit muss ich klarkommen, Bruder. Aber ich werde nicht vergessen, was war und wo ich herkomme.«

Die viel wichtigere Frage, die sich Rapdeutschland derweil stellt, lautet aber: Wo geht es hin? Die szeneinternen Erwartungen an Nimo und dessen anstehendes Debütalbum sind in den letzten Monaten auf schier übermenschliche Größe angewachsen. Es dürfte schwer werden, denen gerecht zu werden. Aber Nimo gibt sich gelassen. »Ich mache einfach Lieder, picke die besten 13 raus, fertig.« Gesprochen wie ein Pragmatiker. Die Verspieltheit, die in seinen Raps und seiner Musik zum Tragen kommt, merkt man ihm im Gespräch nicht an. Und wahrscheinlich tut er gut daran, sich für den Plattenproduktionsprozess locker zu machen – und sei es mit Hilfe seiner tagtäglichen Dosis Grünem. All haze everything.

Etwa die Hälfte der Platte sei bereits fertig, sagt er. Ein Release Mitte 2017 scheint realistisch – auch wenn weder Syn noch Nimo sich darauf festnageln lassen wollen. Zu viel kann noch passieren. »Aber wir arbeiten dran. Ich habe viele Beats von Veteran, SOTT, Bazzazian.« Nimo macht eine kurze Pause, denkt nach. Dann sagt er: »’Habeebee‘ war noch ein Mix: Bisschen Trap, bisschen Oldschool – nebeneinander. Jetzt packe ich alles ineinander.« Er wirft Syn einen wissenden Blick zu.

Spannend zu verfolgen sein wird zudem, inwiefern Nimo seine Versiertheit am Mic weiter auszubauen imstande ist – seine unnachahmliche Delivery, die ihn als Rapper so unberechenbar macht. Flext er sich das eine Mal in Doubletime durch die Beats wie ein Berserker, wühlt er sich ein andermal behäbig durch die Produktionen wie durch flüssiges Blei; mal packt er gefängnismauerschweren Druck und Volumen auf die Stimme, mal presst er seine Laute mit zischelnder Aggressivität auf den Takt. Dazwischen: Tonlagen-Switches, pointierende Pausen, melodieunterfütterter Straßenslang. Kanackis 2.0.

Den Unterschied in der Arbeitsweise zwischen seinem Mixtape »Habeebee« und seinem anstehenden Debütalbum fasst Nimo kurz und knackig zusammen: »Wir reduzieren die Menge der Songs, aber verdoppeln die Qualität. Ganz einfach.« Und das sagt er im Brustton der Überzeugung sowie mit dem Selbstbewusstsein eines MCs, dessen rapstilistische Vielfalt seine anstehende Platte zum meisterwarteten Albumdebüt des neuen Jahres macht. Deutschraps Zukunft, sie hat einen Namen. ◘

Foto: HEKS Sascha Haubold

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Dieser Text erschien als Teil unserer #DeutschrapsZukunft-Titelstory in JUICE #178 (hier versandkostenfrei bestellen).

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