»Wer reich werden will, sollte lieber was anderes machen«: Vier Deutschrap-Experten im Talk // Interview

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Ralf Kotthoff, Patrick Thiede, Marina Buzunashvilli und Götz Gottschalk (v.l.n.r.) (Foto: Laura Vanselow)

HipHop ist so vieles: Lebensstil, Einstellung, Attitüde, Liebe, Hass, Rettung, Sinn … aber eben auch Geschäft. So unromantisch das klingt, so essenziell ist es jedoch, die Früchte der Kultur für ihre Anhänger verfügbar zu machen. Und als Gestalter im besten Fall sogar davon leben zu können. Wie das geht und wie nicht, was sich im Laufe der Zeit verändert hat, wo die Geschäftsreise hingehen wird, darüber und einiges mehr haben wir mit vier Experten aus verschiedenen HipHop-Geschäftsbereichen gesprochen: mit Marina Buzunashvilli, CEO der unabhängigen Promotion-Agentur Musicism & Cinelove; mit Patrick Thiede, General Manager der Zeitgeist-Full-Service-Agentur DAS MASCHINE sowie Label Head und A&R des Indielabels AUF!KEINEN!FALL!; Ralf Kotthoff, MZEE-Mitgründer und -Chef; sowie Götz »GG« Gottschalk, Manager, Verleger und Geschäftsführer bei Nesola und Premium Blend Music Productions.

Wie seid ihr alle zu HipHop und dessen geschäftlicher Seite gekommen?
Götz: Ich habe früher Funk-Schlagzeug gespielt und Rapmusik als Weiterführung davon verstanden. Mit meiner Band Exponential Enjoyment war ich 1990 sogar auf dem Cover der Spex, das war der legendäre Artikel »Krauts With Attitude«. Damals gab es noch keine HipHop-Infrastruktur, also mussten wir alles selbst machen. So bin ich vom Musikmachen zum Musikkümmern gekommen.
Ralf: Ich komme aus dem Graffiti. 1989 habe ich Torch auf einer Jam rappen sehen – der Klassiker. Da war mir klar: Ich bin Teil dieser Kultur. Anfang der Neunziger habe ich Advanced Chemistry dann zu einer Pressemeldung verholfen, das Cover für ihre Demo-Kassette gestaltet und mit ihrem Manager Akim Walta zusammen das MZEE-Magazin gegründet. Im Laufe der Zeit habe ich mich zu einem Geschäftsmann und Firmengründer entwickelt – stets an der Größe von HipHop entlang.
Patrick: Ich habe mir Ende der Neunziger auf royalbunker.de eine Kassette bestellt und dann bei Staiger im Laden abgeholt. Da saßen dann alle und haben hinten die Cover gefaltet. Da ging für mich Deutschrap los. Später hatte ich mit Hammer & Zirkel meine eigene Band und mich direkt ums Business gekümmert. Nach deren Auflösung bin ich Manager geworden und irgendwann durch Glück an Karate Andi geraten.
Marina: Ich bin in Kreuzberg an der Hall Of Fame großgeworden und habe immer schon Rap gehört. Ich habe Buchhalterin gelernt und bin darüber irgendwann bei MC Renes ehemaligem Label Marrakesch Music gelandet. Parallel dazu habe ich mit Promo angefangen – anfangs vor allem für Pop-Mucke. Deshalb hatte ich nicht nur den üblichen Musikmedienverteiler und konnte Rappern andere mediale Türen öffnen. Dadurch wurden immer mehr Künstler auf mich aufmerksam. Wenn mir damals aber jemand gesagt hätte, wie anstrengend das sein kann, hätte ich möglicherweise was anderes gemacht. (lacht)

Ralf und Götz, beschreibt doch noch mal eure Anfänge im HipHop-Biz. Ihr habt die heute bestehenden Strukturen ja mitgeschaffen.
Götz: Das ging gar nicht anders. Um was über HipHop zu erfahren, musste man ein Fanzine starten. Um eine Platte zu machen, musste man ein Label gründen. Die traditionelle Musikbranche hatte kein Interesse an Rapmusik. Und einfach ins Internet stellen ging nicht. Das gab’s noch nicht.
Ralf: Akim hatte das AC-Demo damals an alle Majorlabels geschickt. Deren Reaktion: »Das ist Karnevalsmusik.« Die kannten bloß Schlager und hatten für deutsche Sprache in einer solchen musikalischen Form keine Schublade. Rap war für die ein noch nicht existierendes Genre.
Götz: Alles selbst machen zu müssen, hat innerhalb dieses Kulturraums zu einer unglaublichen Stärke geführt, künstlerisch wie geschäftlich. Deshalb ist HipHop überhaupt erst zur größten urbanen Popkultur geworden: Weil es aus sich selbst entstanden ist und autark funktioniert. HipHop hat Mainstream-Erfolg, braucht aber keinen Mainstream, um erfolgreich zu sein.

Diesen DIY-Ansatz gab es auch bei Punk oder bei der NDW. Warum hat es da nicht geklappt, bei HipHop aber schon?
Götz: Weil es beim HipHop einen kulturellen Kodex gibt, der von außen nur schwer zu durchschauen ist. Das macht ihn gegen Einflussnahme anderer sehr resistent. HipHop lässt sich im Einzelnen zwar mal verführen, aber nie im Ganzen.
Ralf: Selbstmachen ist außerdem anstrengend. Geblieben sind daher nur die, die wirklich Bock darauf hatten. Dieser harte Kern hat das DIY-Prinzip total verinnerlicht und dadurch auch Social Media schnell verstanden und optimal genutzt. Bei sämtlichen neuen Entwicklungen gehen die HipHopper immer vorneweg.

Ihr seid aus Liebe zur Sache ins HipHop-Business geraten. Braucht man die, um erfolgreich zu sein?
Ralf: Wie Marina schon sagte: Das Genre ist so anstrengend, das machst du nur aus innerer Überzeugung. In anderen Genres wie zum Beispiel Rockmusik zu arbeiten, ist viel einfacher.
Marina: Eine Rockband kann auch anstrengend sein, aber die ruft mich nicht Sonntagnacht um zwei Uhr an wie ein Rapper, dem gerade eingefallen ist, dass er das Interview am nächsten Morgen doch nicht machen will. (lacht) Das ist stressig, aber dafür liebe ich HipHop auch.

Götz Gottschalk und Marina Buzunashvilli (Foto: Laura Vanselow)

HipHop ist wahnsinnig erfolgreich, wird vom Mainstream aber oft noch nicht ernstgenommen. Wie sind eure Erfahrungen?
Götz: Die Diskussion darüber führe ich ständig. Dabei gewinnen wir seit zwanzig Jahren jeden Battle gegen jede andere Musikrichtung. In jeder Disziplin.
Marina: Nicht der ganze Mainstream nimmt Rapper ernst, möchte sie andererseits aber häufig vor seinen Karren spannen. So nach dem Motto: »Oh, der rappt über Drogen. Lass uns damit doch mal was Witziges machen.« Aber hast du dir das Album mal angehört? Das ist nicht witzig. Der erzählt seine Lebensgeschichte, du Spast!
Ralf: Und ganz ehrlich: Wenn in hundert Jahren ein Sprachforscher schaut, wer in den 2010er-Jahren die deutsche Sprache beeinflusst und verändert hat, wo landet er dann? Beim Rap. Wenn es um die bildenden Künste geht, sind es Streetart und Graffiti. Rückblickend wird es das HipHop-Zeitalter sein.
Götz: Das ist Fluch und Segen zugleich. HipHop ist eine verschworene Gemeinschaft, das macht sie so stark. Aber das führt auch zu einer Ausgrenzung vom Mainstream, der trotz unseres Erfolges an einem Apartheidsystem gegenüber unserer Kultur festhält, das längst keinen Boden mehr hat. Denkt nur mal an die Grammys letztes Jahr: In welcher Welt kann denn ein Album von Taylor Swift kulturell relevanter sein als »To Pimp A Butterfly«? Das geht nur aus der Ignoranz heraus. Und das hat auch Auswirkungen auf Business-Ebene, weil wir uns deshalb Geschäftspartner im inneren Kreis suchen, weil wir wissen: Alle anderen checken’s eh nicht.
Marina: Du hast schon recht, aber: Es gibt auch viele erfolgreiche Straßenrapper, die überhaupt nicht juckt, ob ihre Geschäftspartner einen HipHop-Background haben.
Patrick: Diese Straßenrapper haben aber nur eine begrenzte Halbwertszeit. Denen und ihrem Umfeld geht es auch nicht um die Kultur.
Götz: Das sehe ich auch so. Durch Mainstream-Mechanismen allein kannst du in der Regel keinen HipHop-Künstler nachhaltig erfolgreich aufbauen. Dafür brauchst du Szenekenntnis.
Ralf: Ich weiß nicht. Heutzutage ist es teilweise wichtiger, dass jemand weiß, wie man auf Facebook erfolgreich segmentiert …
Marina: … und an die richtigen Brands rankommt. Und ein paar wichtige Business-Kontakte hat.
Patrick: Das funktioniert dann vielleicht für ein, zwei Platten. Aber das wird keine Nachhaltigkeit haben.

»Die Charts hierzulande zeigen oft nur Schummelerfolge.« – Patrick Thiede

Götz, du hast eben gesagt, die HipHop-Kultur sei von innen gewachsen und das sei ein Grund für ihren nachhaltigen Erfolg. Gleichzeitig ist HipHop als Genre sehr kodiert, was den Zugang für Außenstehende verkompliziert. Erschwert das den Mainstream-Erfolg nicht?
Ralf: Kultur hat immer Eintrittsbarrieren, das macht sie ja aus. Mit ein bisschen Zeit und Internetzugang ist es heutzutage aber einfach, sich die Grundregeln anzueignen und Codes zu entschlüsseln.
Marina: HipHop ist für Außenstehende auch deshalb so attraktiv, weil es so einfach scheint, da mitmachen und Geld verdienen zu können.
Götz: Die Eintrittshürde für HipHop war immer Kreativität und setzte nicht voraus, dass man, wie in anderen Musikrichtungen, erstmal jahrelang ein Instrument erlernen musste, um überhaupt das Handwerkszeug zu haben, um sich auszudrücken. Daher kann sich das erstmal jeder leisten, HipHop zu machen und dann mit den Aufgaben zu wachsen und besser zu werden. Die Kunst zu betreiben ist anfangs vergleichsweise einfach, das Geschäft damit aber wahnsinnig schwer. Das vielbeschworene »Geld machen im Game« geht daher mit viel gefährlichem Halbwissen einher, die meisten verbuchen wohl eher Umsatz als Gewinn. Wer also reich werden will, sollte lieber was anderes machen.

Den Mythos, mit HipHop Geld zu verdienen, hat sich das Genre aber selbst erschaffen, indem es die entsprechenden Statussymbole zum elementaren Selbstdarstellungsbestandteil gemacht hat.
Götz: Ja, weil anfangs jede noch so kleine Darstellung von wirtschaftlichem Erfolg schon als Erfolg galt – und sei es bloß ein neuer Trainingsanzug oder freshe Sneaker. Rein buchhalterisch machen mit HipHop aber auch nur einige wenige richtig viel Gewinn – wie überall anders auch. Was es im HipHop im Gegensatz zu anderen Genres aber gibt, ist eine größere Menge von, ich nenne es mal, wirtschaftlicher Mittelschicht, die gut davon leben kann. Aber die wenigsten, die über fette Kohle reden, haben auch nachhaltig fette Kohle gemacht.

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