Miss Platnum // Feature

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Oh, Schreck, Popmusik! In der JUICE! Nun, zugegeben, vielleicht würden wir über diese Platte tatsächlich gar nicht schreiben, wäre sie nicht von den Krauts produziert, würde Miss Platnum nicht mit ­Taktlo$$ und Marteria hängen und allgemein eine ziemlich coole Sau sein. Das wären doch nun aber auch genug gute Argumente für eine Daseinsberechtigung in unserer schönen HipHop-Postille, oder? Wenn ihr dennoch bisher nicht überzeugt seid, nun, vielleicht solltet ihr dann erst recht nachfolgenden Text lesen. Denn: Die Miss Platnum, die ist nicht nur ziemlich super, nein, die hat auch noch ein hervorragendes Album aufgenommen. Es heißt: »Glück und Benzin«.

Freunde, ihr müsst jetzt stark sein. Denn die folgenden zwei Seiten erzählen von einem Album, das fast ausschließlich von Männern und Frauen handelt, die einsam am Abgrund stehen, zusammenfinden, zusammenleben, es gemeinsam verkacken und sich in einem seltenen Glücksfall doch noch wieder zusammenraufen. Schwierig, mag so mancher stöhnen. Wurde zur Liebe nicht bereits mehr als genug gesagt? Mag sein, aber ist es nicht so, dass sich der Pop von Natur aus meist auf die ganz grundlegenden Bedürfnisse des Menschen stürzt? Und ist nicht die Liebe, in all ihren Ausprägungen, selbst heute, wo wir eigentlich niemanden mehr außer uns selbst zum Überleben brauchen, das Allerwichtigste? Die eine Sache, die uns so viel Glück und Kummer wie keine andere beschert? Wir HipHop-Nasen mögen noch immer überwiegend Songs hören, die ein vornehmlich hedonistisches oder materialistisches Leben nach Kapitalismus-konformer Bauart propagieren. Sie kommt jedoch von Künstlern, die auch Menschen sind, die auch, sogar im promiskuitiven US-HipHop, häufig in monogamen Beziehungen leben. Aber genug theoretisiert, kommen wir zum Zentrum des Artikels.

Zu Miss Platnum also. Oder, anders gesagt: zu Ruth Maria Renner. Geboren in Rumänien, als Angehörige einer kleinen deutschsprachigen Minderheit, die man wundervoll teutonisch als die Banater Schwaben bezeichnet, landete sie mit ihrer Familie im Alter von acht Jahren in Berlin. Sie ist sozusagen eine waschechte Hauptstädterin, seit ihrer Kindheit hat sie nirgendwo anders gelebt. Im grauen Lichterfelde ging sie zur Schule, danach zog sie ins nach Neukölln. Sie fing ein Romanistik-Studium an, ging aber nur selten in die Uni, da sie ungefähr zur selben Zeit ihr gesangliches Talent entdeckte. Schließlich begab sie sich in die Hände der US-amerikanischen Jazz-Sängerin Jocelyn B. Smith (bekannt u.a. für die Titelmelodie des Disney-Films »König der Löwen«) und landete schnell in diversen Berliner Tonstudios, zunächst allerdings nur als Background-Sängerin. Bis sie eines Tages Monk, Malo, Yasha und DJ Illvibe von Moabeat kennenlernte. Sie tauchte auf diversen Songs der Crew auf, die erst viel zu spät als Vorreiter für modernen Deutschrap anerkannt wurde, und fand in ihr das Umfeld, aus dem sie bis heute ihre künstlerische Energie zieht. Moabeat existierten in dieser Form nicht lange, dennoch nehmen sie noch heute entscheidenden Einfluss auf die deutsche Musik – als The Krauts. Auch an den ersten Alben von Miss Platnum, die damals noch auf Englisch sang, waren sie maßgeblich beteiligt. »Rock Me«, »Chefa« und »The Sweetest Hangover« hießen die Platten, mit denen sich Miss Platnum zwischen 2005 und 2009 eine eigene Nische zwischen R’n’B, HipHop, Dancehall und Balkanpop schuf. Doch nach Album Nr. 3 reichte ihr das nicht mehr. Miss Platnum hatte das Gefühl, sich selbst durch die englische Sprache zu limitieren, und wagte einen Neubeginn.

Die Wiedererfindung der selbstbewussten, lauten Figur der Miss Platnum dauerte seine Zeit und benötigte mehr als einen Anlauf. Als erstes, größeres Ergebnis des Neustarts erschien erst im September 2012 »Lila Wolken«, eine massentaugliche Status Quo-Beschreibung des Berliner Szene-Tums, die sie gemeinsam mit den Krauts, Marteria und Yasha aufgenommen hatte. Nach dem so gelandeten Nummer-1-Hit vergingen noch einmal anderthalb Jahre, bis »Glück und Benzin«, das Debütalbum der neuen Miss Platnum, nun im Januar 2014 fertig ist. Und wir mit ihr in einem schicken Restaurant verabredet sind.

So selbstbewusst, cool und extravagant sie in ihren Texten und Musikvideos wirkt, so ist sie gar nicht, lernt man sie unter vier Augen kennen. Vielleicht liegt das daran, dass dann nicht Miss Platnum, sondern einfach nur Ruth Renner vor einem sitzt. Aber was heißt nur. Die freundliche und zurückhaltende Art, man könnte sie fast schüchtern nennen, mit der sie einen begrüßt, wirkt auf eine unaufdringliche Art und Weise sehr sympathisch. Ruth Renner macht es einem sehr leicht, in ein Gespräch einzusteigen, das weder vorbereiteten Fragen noch einen bohrenden Interviewer braucht. Dass sie ihre neue Platte ausschließlich mit Männern zusammen geschrieben hat (unter anderem Marteria und Nico von K.I.Z.), und das auch noch sehr bewusst, erfährt man so ganz beiläufig. »Eine Frau, die vor allem Liebeslieder singt, die sie aber mit einem männlichen Rapper geschrieben hat – das kann eigentlich nur Swag haben«, sagt sie und lächelt ein angenehmes Lächeln. Und Recht hat sie. Songs wie die erste Single »99 Probleme«, der potenzielle Riesenhit »Glück und Benzin« sowie »1000 Jahre telefonieren«, das R’n’B-artige Opus mit Marsimoto am Ende der Platte, nutzen eine Sprache, die weiblich klingt, ohne dass man sie als Typ verkitscht oder peinlich finden könnte. Das Feminine, es macht sich auf diesem Album in erster Linie bemerkbar, weil die Worte, mit denen Miss Platnum unterschiedliche Gefühlszustände beschreibt, beachtlich nuanciert gewählt sind. Mal ist ganz plakativ-positiv »alles Walt Disney«, mal steht eine verbitterte Frau auf einem Berg und »dunkler, kalter Fels umschließt ihr Herz«.

Eine Qualität, die Ruth auch ein großes Anliegen war, wie sie im Gespräch erzählt. Viel wichtiger, als alle technischen Feinheiten zu zeigen, die sie als erfahrene Sängerin auf dem Kasten hat, war ihr etwas anderes: »Ich wollte es mir zu Nutze machen, dass es im Deutschen häufig so viele, sehr schöne Möglichkeiten gibt, ein und dieselbe Sache auszudrücken.« Das und die beiden Seiten ihrer Persönlichkeit, die kantige und die weiche, die schon der Album-Titel andeutet, sind es, die »Glück und Benzin« zu einer hörenswerten Pop-Platte machen. »Ich kann sehr gut mit meinen Jungs einen trinken, bin aber dennoch eine Frau, für die zum Beispiel Liebe und Familie eine große Rolle spielen«, umreißt Ruth ihre Persönlichkeit und liefert damit vielleicht unbewusst die Blaupause der Frau, die sich der moderne Mann von Welt wünscht. Das zweite wesentliche Qualitätsmerkmal dieser Platte sind die erwartet exzellenten Instrumentale der Krauts, die einmal mehr unterschiedliche Genres miteinander verbinden, vieles zitieren und damit mal wieder einen ganz eigenen Sound erschaffen, der perfekt zur Künstlerin passt. Gleichzeitig klingen die Beats jedoch unaufdringlich genug, sodass Miss Platnum nie zu einem Ornament auf einer hervorragenden Produktion degradiert wird.

Im Gegenteil steht Miss Platnum auf »Glück und Benzin« zu jeder Zeit im Mittelpunkt. Der ursprünglich zum textlichen Vorbild der Platte erklärten Hildegard Knef reicht sie spielend leicht das Wasser. Und das, obwohl von dem ursprünglich formulierten Ziel, ein Album aufzunehmen, das James Blake und den Chanson der Knef zusammenbringt, musikalisch nicht mehr allzu viel übrig geblieben ist. Wer weiß, vielleicht wird Miss Platnum mit dieser Platte ja tatsächlich die stilvolle Königin der zur Zeit noch darbenden, weiblichen Popmusik in deutscher Sprache. Gönnen tut man es ihr jedenfalls von ganzem Herzen, nachdem man sich knapp zwei Stunden lang mit ihr unterhalten und sie schließlich in einen kalten, Kreuzberger Abend verabschiedet hat.

So oder so hat sie eine Platte geschaffen, der wir zuhören sollten. Zugegeben, sie mag keine gesellschaftlichen Umbrüche propagieren oder das Rad neu erfinden. Aber was gibt es denn bitte Schöneres in einer Zeit, in der so viele Menschen Unabhängigkeit und emotionale Bindung fälschlicherweise als unvereinbare Gegenteile verstehen, als eine Platte, auf der die Liebe ganz selbstbewusst zum zentralen Thema ausgerufen wird? Wenn es ein Album gebraucht hat, das erklärt, warum das klassische Zweier-Team im Kampf ums Glück noch immer die besten Chancen hat, dann dieses. Wer an diesen hochtrabenden Worten zweifelt, der wende sich bitte an Miss Platnum und »Glück und Benzin«. Nur keine Angst!

Foto: YouTube

Dieser Artikel ist erschienen in JUICE #157 (hier versandkostenfrei nachbestellen).

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