Migos: Für die Kultur // Feature

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Drei goldbehangene Vorstadtjungs stottern ansteckende Fashion-Statements über Trap-Beats, so kalt wie ein Eiswagen – die Atlanta-Renaissance ward geboren. Vier Jahre später sind die vom Internet gekürten »Beatles des Rap« endlich ganz oben angekommen.

Es war eine Folge von Schicksalsschlägen, die die Migos bereits im Kindesalter eng verbinden sollte. Sein Vater verstarb kurz nach Quavos viertem Geburtstag, einige Jahre später übernahm die Mutter auch das Sorgerecht für seinen Neffen Takeoff und seinen Cousin Offset, deren Väter ihre Familien verlassen hatten. Ihre gemeinsame Jugend in Gwinnett County, Georgia, widmeten sie vorerst dem Straßen-Hustle. Kleinere Rauschgiftdelikte führten zu regelmäßigen Konflikten mit derStaatsgewalt, Migos-Drittel Offset brachte sich auch mit dem einen oder anderen unerlaubten Waffenbesitz in Probleme.

Als Gucci Mane und Waka Flocka zu Beginn der 2010er die heimischen Charts in ATL dominierten, nahmen auch die drei Teens ihre Musikkarriere in Angriff und saßen mit Hochdruck im Studio. Den ursprünglichen Namen »Polo Club« tauschte man gegen »Migos« – abgeleitet vom spanischen »amigos« – gleichzeitig aber auch ein Verweis auf die mexikanischen Kartelle, die im Norden Atlantas den Narkotikamarkt regierten. Ihr Fachwissen in diesem Berufszweig brachte den Migos 2011 mit »Bando« ihren ersten lokalen Hit ein. Ein tanzbarer Beat, eine einprägsame Hook, Cross-Referenzen zwischen Kokain und weißen Popstars (hier noch »Lindsay Lohan«) und jede Menge Star-Appeal offenbarten schon früh ein großes Pop-Potenzial. »Bando« zeigte außerdem den sprachlichen Einfallsreichtum des Trios, das aus dem abandoned house, einer verlassenen und zum Drogenlager umfunktionierten Immobilie, eine zweisilbige Catchphrase zauberte.

Doch Atlantas Szene war umkämpft. In einer Stadt, die wie keine andere von ihrer Club-Szene bestimmt wird, reichte vor sechs Jahren kein erster Internethype. Die Schlussfolgerung: Guerilla marketing. Die meisten Abende der Woche verbrachten die Migos in den Diskotheken und Strip-Schuppen der Metropole, wo sie den DJs die Drinks ausgaben, um ihre neuesten Tracks präsentieren zu können. Zwei Jahre Promo und hochfrequenter Output sollten vergehen, bis ein gewisser Zaytoven auf einer Party auf Quavo zugeht. Zay, seines Zeichens Orgelvirtuose und Macher unzähliger Gucci-Mane-Klassiker, schickte einige Beats und Kontaktdaten, viel mehr brauchte es für die Migos auch nicht. Das Mixtape »Young Rich Niggas«, veröffentlicht im Juni 2013, wurde mit Zays Hilfe zum ersten großen Ausrufezeichen des Trios.

Auf zwanzig unermüdlichen Synthesizer-Feuerwerken kreierten Migos einen Sound, der es trotz schonungslosen Drogenküchen-Raps in die Dauerrotation auf zahllosen Partys schaffte. Allein auf Basis der energiegeladenen und juvenilen Atmosphäre wurde »YRN« zum Selbstläufer. Gucci Manes Schulterklopfer auf »Dennis Rodman« war ein Hit. »Jumping Out The Gym« mit Riff Raff & Trinidad James war ein Hit. »China Town« war ein Hit. Dazu die Neuauflage von »Bando«, und fertig war das Durchbruchs-Tape, richtig? Nicht ganz. Track Nummer drei, eine Hommage an das italienische Modehaus »Versace«, war nicht einmal als Single vorgesehen, wurde aber über Nacht zum internationalen Phänomen.

»Versace« sollte nicht weniger werden als ein Wegweiser für den HipHop-Mainstream der nächsten Jahre. In den anderen Himmelsrichtungen der Staaten machten Chief Keef und Lil B grade Nuschel- und Off-Beat-Raps salonfähig. Migos sollten mit »Versace« die Ein-Wort-Hook und den Triplet-Flow in die Neuzeit katapultieren. Grundgerüst war ein hypnotisierendes Zaytoven-Instrumental, das zwar schon von Soulja Boy und Plies benutzt wurde, jedoch (auch deshalb) der breiten Öffentlichkeit unbekannt geblieben war. Dann die puristische Hook: »Versace« – 18-mal. T.I. und Lil Wayne hatten schon ein Jahr zuvor mit »Ball« aus einem Wort einen Hit fabriziert, die Version der Migos war dank wechselnder Intonation und frenetischem Adlibbing aber wesentlich bewegender. Hinzu kam der berüchtigte Triplet-Flow, der einen Großteil der Textzeilen in einer durch drei teilbaren Silbenanzahl, häufig 9 oder 12, vorsieht. Schon Chuck D und Lord Infamous wussten mit diesem Mittel zu spielen. Die Migos aber vollzogen den Feinschliff in Sachen Betonung – und konnten in der Folge den viel kopierten »Migos Flow«, der gewissermaßen als Testament eines Generationenwechsels herhält, für sich beanspruchen.

Hype-Geier Drake ermächtigte sich des neuen Stils prompt auf seinem Remix von »Versace«, lieferte damit einen der besten Parts seiner Karriere ab und beförderte die Migos auf die Startseiten sämtlicher Rap-Blogs. Es war nun die Macht des Internets, die »Versace« und die Nachfolgesingle »Hannah Montana« (Kokain-Referenz!) auch außerhalb des engen HipHop-Kosmos zu Klickzahlen in den zweistelligen Millionen aufsteigen ließ: Social Media erlebte 2013 einen enormen Wachstumsschub; neben Bildern flogen nun auch vermehrt Videos durch die Timelines. Eingängige Songs mit modernen Produktionen und markanten Einzeilern wurden zum Soundtrack für Sketch-Clips und Tanzvideos. Und die Migos konnten das bedienen. Offset durfte diese frühen Erfolge wegen des Verstoßes gegen seine Bewährungsauflagen (nicht zum letzten Mal) nur aus der Gefängniszelle beobachten. Quavo und Takeoff mussten darauf auch bei jedem ihrer ersten Interviews hinweisen – ganz leicht ist es ja zugegebenermaßen nicht, die drei beim ersten Hören auseinanderzuhalten. Gleichzeitig artete ein Konflikt mit Chief Keef sogar in Schießereien und dem Raub einer Goldkette Quavos aus. Aber, wie hat uns die Geschichte doch jüngst gelehrt: Jede Promo ist gute Promo. Abgerechnet wird bei der Reichweitenanalyse. Und die fiel zunächst positiv aus. 2014 gab es für »No Label 2«, mit der erfolgreichen Lead-Single »Fight Night«, Platz 17 der US Rap-Charts. Mixtapes wie »Rich Nigga Timeline« flogen zwar etwas zu Unrecht unter dem Radar, doch kein Grund zur Sorge. Denn die nächste Euphoriewelle schwappte schon im Herbst 2015 durch die einschlägigen Web-Adressen: Der Dab, eine Geste, die die Migos in ihren Videos als Tanzbewegung verwendeten, und den NFL-Superstar Cam Newton im Fernsehen populär machte, wurde zum nächsten großen Internet-Meme. Die Migos bewiesen ihr Händchen für den Hypeund lieferten prompt die Hymnen (»Look At My Dab«, »Dab Daddy«) für private Dab-Versuche. Ein Muster zeichnete sich ab.

Einige Monate zuvor erreichte das Migos-Debüt-Album »Yung Rich Nation« etwas überraschend nur Platz drei der US-Rap-Charts, obwohl es das bisher stärkste Songwriting der Gruppe aufwies. Doch wie Quavo auf dem Rückblenden-Track »Migos Origin« richtig feststellte: »disrupted the game, the industry was shook up«. Denn wie andere ATL-Peers lernten Migos aus den verschenkten Karrieren früherer Helden und bestritten den alternativen Rap-Karriereweg: Sie blieben indie. Vorerst zumindest. Ende 2016 wurde bekannt, dass die Gruppe ab sofort bei GOOD Music im Management stehe. Vor allem Quavo arbeitete schon ausgiebig an Travis Scotts »Birds In The Trap Sing McKnight« und war auf dem Cruel-Winter-Cut »Champions« zu hören. Seine Solo-Features begannen sich derart zu häufen, dass man meinte, er würde langsam zur Beyoncé der Gruppe zu avancieren – bis Offset fast im Alleingang den Marktwert des Trios noch einmal gewaltig erhöhte. Wie? Natürlich mit Meme-Magie. »Raindrop, drop top« sind die ersten Worte aus Offsets Hook in »Bad and Boujee«, und der Stoff, aus dem unzählige Parodie-Videos, Twitter-Freestyles und 150 Millionen Youtube-Aufrufe wurden. Ein Shoutout von Donald Glover bei den Golden Globes brachte den Track bis an die Spitze der US-Charts und verdrängte dabei »Black Beatles« von Rae Sremmurd (der dort wegen der viralen »Mannequin-Challenge« gelandet war).

Was macht also die Migos aus? Zunächst einmal, dass man sich nie sicher sein kann, wie ernst sie sich gerade selbst nehmen. Das neue Album »CULTURE« transzendiert Club-Musik mit unerwartet lustigen Punchlines, cheesy Ad-libs (»MOMMA!«, wann immer Mama Quavo erwähnt wird) und DJ-Khaled-Intro. Der ständige Wechsel am Mikrofon sorgt für Abwechslung, der einander angepasste Flow für Kohärenz. Das Trio findet sich fünf Jahre nach den ersten Erfolgen an einem Punkt in ihrer Karriere, an dem jede neue Single sofort zum Mega-Hit werden könnte, denn wenige HipHop-Künstler haben das Streaming-Zeitalter so gut verstanden wie Quavo, Offset und Takeoff. Mit »CULTURE« ernten sie dafür zum ersten Mal die verdienten Lorbeeren. Denn mal ehrlich: Wer in einem Song Kokainpakete in Shirts aus reiner Baumwolle verpackt und sich im Video in Pelz und Gold hüllt, um auf Schneemobilen mit Pfeil und Bogen bewaffnet durch die Tundra zu jagen, hat sich den Erfolg redlich verdient.

Text: Max Hensch

Dieses Feature erschien in JUICE #179. Jetzt im Onlineshop versandkostenfrei bestellen.

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