Megaloh, Yassin, Kalusha & Kobito: »Jeder ist doch politisch« // Diskussionrunde

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Wer würde einen solchen Song denn heute machen?
MEGALOH: Einige könnten das, aber das interessiert einfach nicht so viele Leute. Die Brothers Keepers waren dafür das beste Beispiel: Die haben Rassismus angesprochen, ein Thema, das hochaktuell war und ist – trotzdem hat das keine Sau interessiert. Ich habe damals mit vielen geredet, die nicht unter die Stigmatisierung fielen und die gesagt haben: »Das ist doch alles gar nicht mehr so schlimm in Deutschland, übertreibt mal nicht.« Rassismus gegenüber Dunkelhäutigen sei in Deutschland kein Thema, sondern eine Randerscheinung – diese falsche Vorstellung ist das Problem.
KALUSHA: Ich lebe seit 1988 in Berlin und habe mich in meiner Jugend in einem Kreis bewegt, der wie eine Parallelgesellschaft war. Das kannst du dir vorstellen wie Türken, die seit dreißig Jahren hier leben und kein Deutsch sprechen, weil sie es in ihrer Situation nicht nötig haben. Damals bin ich selten mit Rassismus in Berührung gekommen und habe mich stets zugehörig gefühlt. Ich wurde zu der Zeit zwar oft festgenommen, bin aber eigentlich nie rassistisch angegangen worden. Seit ich aus diesem Kreis raus bin, mein Familienleben führe und versuche, meine Kinder vernünftig zu erziehen, habe ich aber nur Stress. Sobald ich mit meinem Sohn durch die Hasenheide gehe, werde ich angehalten, weil ich ins Profil passe. Das Gute aber ist: Sobald ich meinen Mund aufmache, werde ich in Ruhe gelassen. Ich spreche nämlich akzentfreies Deutsch. Und dann lege ich richtig los: »Hey, Meister, wat is’n jetz’ hier los? Muss ick jetz’ rassistische Anklagepunkte gegen Sie erheben, oder wat?« Und dann heißt es ganz schnell: »Ja, ist ja jut. Sie wissen ja, wat hier los ist. War ja nich’ so jemeint.«
MEGALOH: N.W.A haben so etwas in ihrer Musik angesprochen, das war aber auch die vorherrschende Stimmung in der damaligen Gesellschaft – und dann kann man als Musiker der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt. Es kommt immer auf den Zeitgeist und den Zusammenhang an, in dem Musik veröffentlicht wird.
YASSIN: N.W.A haben damals mitgeholfen, kulturelle Verschiebungen auszulösen. Die Frage ist aber: Bekäme eine Platte mit politischen Themen heute überhaupt noch so eine große Aufmerksamkeit?

Haftbefehls »Russisch Roulette« hat einige Zustände in der deutschen ­Gesellschaft thematisiert, die an einer Mehrheit vorbeigehen. Aber das Album hat auch abseits der Kernzielgruppe Wellen geschlagen, oder?
YASSIN: Bei »Chabos wissen wer der Babo ist« gab es diesen Effekt: Leute haben gemerkt, dass es einen Rand der Gesellschaft gibt, der sich artikulieren kann. Ich glaube aber, dass maximal jemand auf dem Level von Marteria einen Song machen kann, der Bild-Leser dazu bringt, zu sagen: »Krass, so habe ich noch nicht gedacht.«
KOBITO: Das ist ja die These von der steigenden Verantwortung. Wenn du an der Spitze stehst, wäre es cool, wenn du diese Relevanz nutzt und was sagst. Ich finde dieses komische Rumgedruckse um die Begriffe »Politik, Rap und politischen Rap« aber schwierig. Würde jemand wie Marteria, der eine enorme Reichweite hat, mal einen explizit politischen Song machen, hätte das einen großen Impact. Es würde alles auflockern und zeigen, dass so was erlaubt ist – sogar cool sein kann.

Nehmt ihr denn eine Verantwortung wahr, Stellung zu beziehen, oder geht es in eurer Musik um die kompromisslose Umsetzung des eigenen Willens?
KALUSHA: Ich finde, Rap sollte immer kompromisslos sein. Wenn du einen Text schreibst, musst du nach außen tragen, was in dir schlummert. Verantwortung halte ich in Verbindung mit Musik für ein starkes Wort.

Megaloh, in deinem bereits ­erwähnten Track »Wohin« ­erzählst du aus der ­Perspektive eines ­Flüchtenden. Das ­Thema hat dich offensichtlich ­beschäftigt. Aus einem ­Verantwortungsgefühl heraus?
MEGALOH: Bestimmt. Ich sehe uns Rapper auch in einer Verantwortung, aber das sollte keinen Druck auslösen. Musik muss aus einer freiwilligen Intention heraus entstehen. Wenn eine gewisse Gruppe von Menschen verloren ist und ich etwas dazu sagen kann, dann ist daran nichts verkehrt. Ich habe auch ein Projekt anstehen, das mein persönliches »Made In Germany« [Album von Afrob; Anm. d. Verf.] werden könnte. Ich bin mir sicher, das wird weniger Gehör finden als meine anderen Sachen, aber mir ist es wichtig, das zu machen. Ich weiß mittlerweile, dass es junge Leute gibt, die einen ähnlichen Background haben und zu mir aufsehen. Mich hat meine eigene Identitätsfindung lange verwirrt, und in meiner jetzigen Position sehe ich mich endlich dazu bekräftigt, darüber für andere zu sprechen.
YASSIN: Es ist ja eher ein Privileg als eine Verantwortung, dass einem so viele Leute zuhören. Man sollte sich freuen, dass man wichtige Dinge äußern kann. Es spielt natürlich eine Rolle, was du sagst, wenn 300.000 Menschen deinen Song hören. Beziehungsweise: Du kannst dich dafür entscheiden, dass es eine Rolle spielt. Wenn du das Privileg hast, dann überlege dir, ob du es nutzen willst. Helene Fischer, die nach heutiger Definitionen selbst ein Wirtschaftsflüchtling ist, macht das zum Beispiel nicht [Helene Fischer kam mit vier Jahren als Jelena Petrowna Fischer aus Krasnojarsk, Sibirien, nach Deutschland. Sie entstammt einer russlanddeutschen Familie; Anm. d. Verf.]. Warum sie den Mund nicht aufmacht, kann ich nicht verstehen. Sie hat eine enorme Reichweite und könnte Leute dazu bewegen, bestimmte Einstellungen zu überdenken.
MEGALOH: Die Frage ist: Warum fehlt ihr der Antrieb dazu?
KALUSHA: Ich denke, das ist eine ­wirtschaftliche Frage: Jede Form der ­Revolution wird früher oder später vom Kapitalismus verschluckt. Helene Fischer beschäftigt und ernährt viele Menschen, und dafür muss sie gewissen Standards gerecht werden. Würde sie politische Themen ansprechen, würde sie aus ihrer Wohlfühlschublade ausbrechen und damit ein Risiko eingehen. Ich wusste ehrlich gesagt nicht, dass ihre Wurzeln in Russland liegen. Das ist perfekt inszeniert – für die Öffentlichkeit ist sie die süße kleine Deutsche.
KOBITO: Ich muss gerade an Jay Z denken, der »Spiritual« mit Bezug auf die #BlackLivesMatter-Bewegung veröffentlicht hat [ein Song aus dem Jahr 2014, der erst im Juli 2016 veröffentlicht wurde; Anm. d. Verf.]. Jay Z ist einer der Größten, steht im Rampenlicht und entscheidet sich dazu, mit dem Song ein Risiko einzugehen.
KALUSHA: Der Typ hat mittlerweile einfach genug Geld, um darauf scheißen zu können.
MEGALOH: Außerdem positioniert sich Jay Z viel zu spät.

Megaloh, warum bist du der Meinung, dass er mit dem Song zu spät kam?
MEGALOH: Jay Z ist heute nicht mehr cool. Andere haben seine frühere Position eingenommen: Kanye West, Drake oder Kendrick Lamar. Und letzterer äußert sich ja wirklich. Mit seinem Album hat er die größten Eier überhaupt gezeigt. Alle hätten von ihm Hits wie »Swimming Pools« erwartet, aber er macht ein Album, das Funk und Soul zitiert, komplett auf schwarzer Musik basiert und zugunsten einer Message komplett auf Clubhits verzichtet – damit hat er Geschichte geschrieben.

Kendrick Lamar wurde dieses Jahr trotz oder gerade wegen seiner kompromisslosen Positionierung von Barack Obama ins Weiße Haus eingeladen.
YASSIN: Aber bei Obama ist klar, dass er demnächst kein Präsident mehr sein wird. Die Frage ist, ob es dieses Zusammentreffen auch gegeben hätte, wenn er noch mal zur Wahl stehen würde.

In jedem Fall haben sich Politik und Rap damit in den USA auf einer Ebene getroffen. Allein das ist ein Statement und spricht Kendrick eine enorme Relevanz zu. Haltet ihr eine ähnliche ­Zusammenkunft in Deutschland für möglich?
MEGALOH: Ich kann mir vorstellen, dass die Politik mit solchen Aktionen versuchen würde, junge Wähler zu erreichen. Das wäre dann aber nur Ausnutzung.
YASSIN: Das funktioniert nur, wenn ein Rapper mit seinem Einfluss tatsächlich so gefährlich wird, dass sich Politiker damit auseinandersetzen müssen. Kendrick ist ja eine Gefahr für die amerikanische Status-quo-Politik: Seine Hörerschaft ist extrem groß, sehr jung und hat oft nichts zu verlieren. So eine Situation müsste gegeben sein, damit Rapper und Politiker in Deutschland auf Augenhöhe miteinander diskutieren und erstere nicht nur als Kulisse eingeladen werden. In den letzten zehn Jahren fällt mir hier kein Künstler ein, den die Politik ernstgenommen hat.
KOBITO: Ich halte solch ein Treffen hierzulande auch nicht für möglich.

Und warum nicht?
KOBITO: HipHop ist in den USA in der ­Gesellschaft ganz anders verankert. Wenn man ­Obama nach seinem Lieblingssong fragt und er mit »How Much A Dollar Cost« von Kendrick Lamar antwortet, wird das akzeptiert. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass unser nächster Kanzler oder unsere nächste Kanzlerin »Hurra die Welt geht unter« als ihren Lieblingssong nennt. Dafür ist HipHop hier nicht anerkannt genug.

Und wie sieht die politische Entwicklung innerhalb von HipHop in Deutschland aus?
KOBITO: Staiger hat in der letzten JUICE über das Interview von PA Sports geschrieben, in dem der gesagt hat, seine Nation sei Mensch. Und auch ich glaube, dass es an der Zeit ist, das Stigma hinter sich zu lassen und zu glauben, politische Meinung und Rap zusammen seien voll langweilig – inzwischen klingt das oft gut. Da strampelt sich offensichtlich etwas frei. Inhalte, die durchaus auch politisch sind, können immer größer werden und müssen nicht mehr nur innerhalb einer kleinen Randgruppe stattfinden. Diskussion tut der Kultur gut. Ich freue mich über »Schellen« von Audio88 & Yassin, ich freue mich über »Sie schnüffeln rum« von Kalusha und über »Wohin« von Megaloh. Wer da behauptet, es wäre langweilig, über Inhalte und Themen zu reden, dem kann ich nur sagen: »Hör dir das neue Savas-Album an, auf dem er dir zeigt, dass er superschnell rappen kann.« Das ist alles schön und gut, aber lässt mich total kalt. ◘

Text: Wenzel Burmeier & Johann Voigt
Foto: Laura Vanselow

Dieses Feature erschien in JUICE #176 (hier versandkostenfrei nachbestellen). juice-176

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