Massiv: »Ich bin nicht mehr die größte Nummer im Game« // Interview

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»Ihr wollt’n Ghettolied? Auf einem Ghettobeat?« – Wenn deine liebsten Straßenrapper heute von ihren »Habibis« sprechen oder den nächsten Infotweet mit »Inshalla« bekräftigten, führt der Ursprung direkt zu Massiv. Seit über zehn Jahren besticht der womöglich berühmteste Berlin-Zugezogene im Deutschrap durch eine Langlebigkeit, die die deutsche HipHop-Szene bei seinem apokalyptischen Debüt »Blut gegen Blut« 2006 durchaus verblüfft hätte. Nein, aus Massiv wurde nicht die gescheiterte Streetrap-Karikatur mit Major-Budget, er ist ein unabhängiger Businessmann mit loyaler Fanbase und einem fast atmenlosen Output. Anlässlich des vierten Teils seiner ikonischen »Blut gegen Blut«-Reihe »BGB X« trafen wir das Urgestein in seinem Weddinger Zec.Plus-Store.

Du hast eine Rolle in »4 Blocks« , einer Mafiaserie mit Schauplatz in Neukölln. Wie vertraut ist dir diese Gegend eigentlich?

Massiv: Eigentlich bin ich auch privat jeden zweiten Tag in Neukölln, weil Freunde von mir dort leben. Ich hänge nicht nur im Wedding ab. Überhaupt ist meine Beziehung zu ganz Berlin so. Ich würde sogar sagen, dass abgesehen von Leuten aus der Party-Szene, es kaum jemanden in Berlin gibt, der mit so vielen Leuten aus so verschiedenen Ecken zu tun hat wie ich.

Bei der Serie gab es Diskussionen darüber, wie authentisch das eigentlich ist.

Massiv: Also, das ist schon etwas, das es gibt. In Berlin wird geschossen, in Berlin wird gestochen, arabische Großfamilien mit so einem Einfluss – diese Atmosphäre herrscht tatsächlich vor. Aber natürlich ist das bei Filmen ein bisschen überzogener, sonst würde die Spannung irgendwann verlorengehen. Wir wollten ja auch die Jugendlichen erreichen und das ist uns ja mehr als gelungen – gerade spricht ja kaum jemand von etwas anderem. »4 Blocks“ ist eigentlich die erste deutsche TV-Serie, die mit amerikanischen oder französischen Produktionen mithalten kann.

Wie bist du überhaupt an die Rolle gekommen?

Das war ein ganz normales Casting. Mir wurden schon vorher Rollen angeboten, aber bislang hat es mir nie richtig zugesagt. Ich sehe mich in erster Linie als Musiker, daher will ich mein Gesicht nicht nur für irgendwas hergeben. Das Drehbuch zu »4 Blocks« war genau das, worauf ich gewartet hatte. Ich sollte auch erst eine andere Rolle übernehmen, habe mich dann aber auf die Rolle des Latif beworben – wie übrigens fünf, sechs andere Rapper auch. Das habe ich aber erst hinterher erfahren. Das war schon komisch: Du bekamst da eine Puppe in die Hand, was dein Kind darstellen sollte, und dann mussten wir spielen, wie deine Serienfrau dich gerade im Knast besucht. Da guckst natürlich erst mal blöd, aber sobald du checkst, dass da drei Kameras auf dich gerichtet sind, weißt du: »Okay, das hier ist ernstgemeint.« Das war ein Sprung ins kalte Wasser, ich hatte mich nicht darauf vorbereitet und habe sogar auf dem Weg zum Casting noch einen Autounfall gebaut.

Mit der Schauspielerei hast du dir ja quasi ein zweiten Karrierewege eingerichtet. Du wirst in diesem Jahr 35 Jahre alt. Ab wann ist man zu alt für HipHop?

Massiv: Früher dachte ich, mit 30 kann ich in Rente gehen. Wenn ich mir aber einen Savas oder Azad angucke, dann wüsste ich nicht, was dagegen spricht, noch weiter Musik zu machen. Ich denke, so lange ich mich gut fühle und mir nicht irgendwie lächerlich vorkomme, ist es in Ordnung. Aber ich gehe mit manchen Dingen ja auch anders um heute. Auf den letzten drei Platten, wie auch auf der neuen, benutze ich zum Beispiel keine Schimpfwörter mehr. Das war eine bewusste Entscheidung, auch wenn es natürlich nicht einfach ist bei so einem brachialem und düsterem Album wie »BGB X«. Manchmal kommen Kids mit ihren Eltern im Laden vorbei und machen Fotos oder wollen Autogramme. Da kann es sehr unangenehm sein, wenn du weißt, dass die Mutter deine Musik nicht kennt und dich vermutlich später googlen wird, um herauszufinden, dass du nur mit Ausdrücken um dich schmeißt.

Du nimmst deine Vorbildfunktion also schon wahr, aber verkaufst einer jungen Zielgruppe dennoch ein Produkt wie Zec.Plus, was den Muskelaufbau im Fitnesstraining fördern soll. Hast du einmal bedacht, dass es den Kids gar nicht nur um den Gesundheitsaspekt im Gym gehen könnte?

Massiv: Das mag sein. Aber trage nicht zur Jugendgewalt bei, nur weil ich Eiweiß verkaufe. Ich ziehe mich da aber nicht aus der Affäre, ich sage denen immer: »Dein größter Gegner bist du selbst« und versuche ihnen zu vermitteln, das sie diesen Gegner durch Sport besiegen können.

Du sagst auf »Sirenen«, dass du 12 Jahre produktiv bist. Wie hat sich deutscher Straßenrap verändert?

Massiv: Ganz ehrlich, jeder hat dazu beigetragen, dass es so vielfältig geworden ist. Aber ich hole mal ein bisschen weiter aus: Ich war damals im Studio und habe Sachen gesagt wie »Inshallah«, »Alhamdulillah« oder arabische Vornamen auf Tracks benutzt. Mir wurde davon abgeraten, weil das nicht so cool ankäme bei der deutschen Käuferschicht. Aber ich bestand darauf, weil das Ausdrücke aus meinem Leben waren. Jetzt ist es normal, arabischen Worte zu rappen – sogar für Deutsche. Das ist Slang geworden. Obwohl ich nachweislich der Erste war, habe ich das Gefühl, dafür zu wenig Respekt zu bekommen. Auch bei Themen. Es war üblich, nur über Gangstersachen zu reden. Ich habe aber davon gerappt, stolz auf sein Heimatland zu sein, Familie, Ehre oder Loyalität. Deutschland war damals nicht bereit für harten Sound. Heute schon. Aber ich bin Realist: Ich weiß, dass ich nicht mehr die größte Nummer im Game bin. Ich zähle mich trotzdem nach wie vor zu den Top-Dogs im Straßenrap. Auch wenn softe Kiffer oft erfolgreicher sind. So ist deutscher Rap einfach: du darfst nicht zu cool und auch nicht zu trainiert sein, du musst immer noch ein bisschen wie ein Hanswurst aussehen.

Du hast gerade gesagt, dass du auch Klickzahlen im Auge hast. Inwiefern hat das den Produktionsprozess beeinflusst?

Massiv: Es sollte wieder back to the roots gehen. Mein Produzent J.S. Kuster und ich haben ein kleines Konzept erarbeitet, aber auch auf unser Bauchgefühl gehört – ich habe 30 Songs aufgenommen, die besten 15 sind jetzt auf dem Album. Ich glaube, bei drei Songs haben wir sehr akribisch darauf geachtet, dass es sich wie »BGB 1« anhört. Der Rest hat sich ergeben. Ich komme meistens ins Studio, dann bauen wir die Beats zusammen – entweder er hat schon eine Skizze und ich lasse meine Ideen mit-einfließen oder wir fangen bei Null an. Ich habe zum Beispiel ihm eine Sprachnotiz gesendet, die eigentlich an Farid ging, da im Hintergrund ein cooler Klavierverlauf aus dem Fernseher zu hören war. Ich hatte gerade »Gute Zeiten, Schlechte Zeiten« angeschaltet. Daraus haben wir dann einen Beat gemacht. Wir haben aber die alten Alben nicht nach Fehlern untersucht. Das käme mir auch gar nicht in denn Sinn. Musik immer eine Momentaufnahme. Es hat seine Gründe, warum wir Sachen damals so gemacht haben.

Du guckst »Gute Zeiten, Schlechte Zeiten« ?

Massiv: Ich hatte da nur reingezappt. Aber ehy, wenn du Joe Gerner siehst, dann bleibst zu hängen. Ich mag diese Rolle einfach und höre mir dann an, was er heute wieder zu sagen hat. Der ist der Vater von GZSZ für mich.

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