Marvin Game – 20:14 // Review

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(Immer.Ready)

Wertung: Zweieinhalb Kronen

Insomnia ist heute eine Tugend und kein Krankheitsbild mehr. Was CEOs seit den frühen Achtzigern predigen, hat sich spätestens mit dem FDP-Swagger von 50 Cent tief in unserer Kultur verankert: Wer chillt verliert, pump um dein Leben! Und so zählen heute junge Rapper Kalorien, planen Alben mit Projekt-Management-Apps und transformieren sich zu Bossen. Leistungsdruck und Konkurrenzdenken – Deutschraps geheimes fünftes Element – zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten; aber was, wenn Selbstoptimierung die Kreativität befällt? Marvin Game, der immer-b(e)reite, nie schlafende Moabiter Trap-Pionier wirkt dafür ganz schön aufgeweckt, bricht sowieso mit konventionellen Kiffer-Klischees, lässt sonst aber kaum Ecken und Kanten an seiner Künstlerpersona zu. Munchies vom Stress – aber auch das Phrasenschwein wird gefüttert. Das Thema Zeit, von der man nie genug hat, und wenn dann nie wieder verschwenden darf, dient als konzeptioneller Überbau. Das richtige Timing verfehlt Marvin mit »20:14« aber etwas, auch wenn es auf seinem Debütalbum hauptsächlich um verflossene Liebschaften, Fake Friends und den inneren Kreis, der natürlich klein bleibt, geht. Für den stärksten Rap-Part sorgt der Bratello im Geiste Ce$, der auf »Keine Menschen« mit süditalienischem Swah und Uzi-Flow den Rockstar mimt. Dass auch Marvin ein Star wird, bezweifelt keiner mehr in der Industrie. Der Homecoming-Hit »Gehen und Bleiben« läutet die »beste Zeit ist immer« ein. Die pathetische Kopf-hoch-Hymne »Auf mein Grab« mit Kreuzberg-Crooner BRKN und die Schuhvergleich-Single »Kleine« mit dem schwäbischen Player Bausa sind große Raop-Momente. Marvin Game hat mit morten einen der begabtesten 808-Musiker der Hauptstadt als Bruder und Produzenten, ihr Immer.Ready-Umfeld hat schon vor Flizzy Trap auf Deutsch salonfähig gemacht, und doch hinterlässt einen sein Tatendrang mit dem Gefühl, ein Taugenichts zu sein. Diesen Minderwertigkeitskomplex kann man ja beim nächsten Mc-Fit-Besuch in Muskelmasse umwandeln, oder, noch besser, einfach wegkiffen.

Text: Natascha Marcinczyk

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