Marsimoto: »Ich bin viel weiter als HipHop gerade ist.«

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Nach welchen Kriterien pickst du Beats?
Wenn ich einen Beat anmache und binnen drei Sekunden etwas dabei fühle, landet er auf dem Album. Sonst nicht. Ganz einfach.

Wie sind die Jungs mit der Enttäuschung umgegangen, wenn es einer ihrer Beats nicht aufs Album geschafft hat?
Manch einen hat das schon frustriert. Es sind jetzt 14 Songs auf der Platte, es ist also viel auf der Strecke geblieben, und da war die Enttäuschung manchmal groß. Die Jungs haben sich deshalb auch schon mal angekeift, sodass ich dazwischengehen, auf den Tisch hauen und in Orgi-Manier sagen musste: »Jeder wie er will, aber so nicht!« (lacht) Das war ein bisschen wie im Trainingslager, wo man erst mit der Zeit versteht, dass man im Team am stärksten ist. Am Ende wurde dann aber viel zusammengearbeitet, wie man in den Credits nachlesen kann.

 
Wie groß war der musikalische Einfluss von Jamaika selbst auf die Platte?
Man hört Jamaika auf jeden Fall heraus, und das finde ich wichtig – sonst hätten wir da nicht hinfahren müssen. Aber »Ring der ­Nebelungen« ist keine Reggae-Platte geworden, auch wenn es Reggae-Elemente gibt. Oder vielmehr: Dub-Elemente. Es ist eine typische Marsi-Beatdown-Platte geworden, die sehr quer ist, sehr nach hinten geschoben, mit großer Tüftlerfinesse inmitten einer riesigen Hallwelt.

Auf dem Album geht es viel um andere Orte und ums Reisen. Ist dir Green ­Berlin mittlerweile zu klein geworden?
Ja, das ist ein bisschen so. »Ring der Nebelungen« beschreibt daher auch den Weg von Green Berlin zu Green Pangea – den einen großen Kontinent. Ich rappe zwar auf Deutsch, sehe mich aber als Welt­musiker und verstehe Menschen nicht, deren Horizont nur von Passau bis Kiel reicht. Marsimoto repräsentiert alles: ein deutsches Dorf genauso wie eine asiatische Megametropole. Ich bin Mexikaner, Kolumbianer, Chinese, Jamaikaner, Berliner – alles! So wie die Leute, die auf unsere Konzerte kommen. Die Marsimoto-Crew ist sozusagen die Anti-AfD. (lacht)

Druck kenne ich nicht. Selbst wenn ich mit dem neuen Album auf Platz eins gehe, dann ist mir das egal.

»Ring der Nebelungen« ist in Marsi-­typischer Art von Widersprüchen durchsetzt, deren Angreifbarkeit du selbst mit den Worten aushebelst: »Wenn du dich fragst, ‚Worum geht’s in diesem Song?‘, dann hast du HipHop nicht verstanden.« Ist es wichtig, eine Figur wie Marsimoto nicht greifbar werden zu lassen?
Absolut. Deshalb kann ich auch keine ­Hände schütteln oder Autogramme geben. Ich bin kein Star zum Anfassen und spiele auch keine kleinen Gigs mehr. Mein erster Auftritt zum neuen Album ist beim Rock am Ring: Urban-Bereich, Dunkelheit, Hauptact. Das ist die Marsi-Attitude. Da fängt es gleich groß an. Weil es groß ist.

Musstest du für den Slot lange mit dem Veranstalter verhandeln?
Nein, da gab es nichts zu verhandeln. Hätte es diesen Slot nicht gegeben, hätte ich das Festival nicht gespielt. Mit Marteria hätte man darüber vielleicht diskutieren können, mit Marsi nicht.

Apropos: Ist Marsimoto heute wichtiger denn je – in Zeiten, in denen ­Marteria mehr als Popstar denn als Rapper wahrgenommen wird?
Ja, schon. Aber Marteria wird von vielen auch falsch eingeschätzt. »Zum Glück in die Zukunft II« ist eine sehr deepe HipHop-Platte, die einerseits sehr oldschool ist, andererseits mit Songs wie »Kids (Finger an den Kopf)« aber auch ihre Platinhitmomente hat. Man tut Marteria jedoch unrecht, ihn als reines Pop-Phänomen wahrzunehmen – bloß, weil mittlerweile mehr Leute zu seinen Konzerten kommen.

 
Wie steht es um den künstlerischen Spagat zwischen Marsimoto und Marteria?
Beide sind froh über die kreative Abwechslung, für die sie untereinander sorgen, und die gegenseitige Inspiration – auch wenn sie natürlich in Konkurrenz zueinander stehen. Es gibt ja sogar Leute, die nur wegen meinem Part auf Marteria-Konzerte gehen und beim Rest der Show jointrauchend am Merch-Stand stehen. Auch meine T-Shirts verkaufen sich besser, weil mein Statement größer ist als das von Marteria. Meine Fans kommen auch gerne mal kostümiert, grün gekleidet und mit Indianerschmuck zu meinen Konzerten – die leben das regelrecht. Marsimoto hat eben nicht nur mit Kiffen zu tun; Marsimoto ist eine Lebenseinstellung, aus der man viel ziehen kann und die viele Leute weiterbringt. Es geht darum, auch mal ein bisschen verrückt zu sein, ein bisschen um die Ecke zu denken. Den Ansatz verfolgen zwar einige Künstler in Deutschland, aber keiner bekommt das so cool hin wie ich.

Im Stück »Meisterwerk« vom neuen Album heißt es: »Ich mal dir dieses Meisterwerk/Wenn alles nur so einfach wär.« Was macht »Ring der Nebelungen« zu einem Meisterwerk?
Die Kohärenz. Das ganze Album ist stimmig von vorne bis hinten. »Ring der Nebelungen« ist die kompromissloseste Platte ever – ohne Zugeständnisse und Freundschaftsdienste. Ich bin viel weiter als HipHop gerade ist.

Ich habe kein Problem damit, meine Eier auf den Tisch zu legen – weil ich weiß, dass man dann vor lauter Eiern den Tisch nicht mehr sieht.

Hast du nach dem Erfolg von »Grüner Samt« Druck verspürt?
Nein. Druck kenne ich nicht. Selbst wenn ich mit dem neuen Album auf Platz eins gehe, dann ist mir das egal. Wobei: Das stimmt nicht. Es wäre mir ein bisschen peinlich. Schon Platz drei bei »Grüner Samt« hat sich komisch angefühlt – zumal ich auf lange Sicht sowieso mehr verkaufe als viele andere Künstler, die auf die Eins gehen. Marsi-Mucke steht eben für Langlebigkeit. Das ist keine Eintagsfliege.

Woran liegt das?
Marsimoto ist ein Trademark und musikalisch so besonders, so speziell, so gut, dass es niemals aussterben kann. Meine Songs verändern etwas in Leuten; und immer, wenn Musik etwas in Leuten verändert, dann ist das wertvoll. Ich stehe einerseits für absolutes Außenseitertum, bin andererseits aber ein Superstar – das macht mich so besonders.

Bescheidenheit ist hingegen nicht so dein Ding, oder?
Warum auch? Ich habe kein Problem damit, meine Eier auf den Tisch zu legen – weil ich weiß, dass man dann vor lauter Eiern den Tisch nicht mehr sieht.

Wie wird es mit Marsimoto weitergehen?
Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht. Wie soll ich ein Album wie »Ring der Nebelungen« denn noch toppen? Ich hoffe zwar sehr, dass es noch mal eine Platte von mir geben wird, aber momentan habe ich keine Ahnung, wie ich das noch besser hinbekommen soll. ◘

Foto: Paul Ripke

Dieses Interview erschien in JUICE #168 (hier versandkostenfrei nachbestellen).
JUICE Ausgabe 168

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