»Meine Musik bin ich, mit ­meinen Stärken und Schwächen, und keiner kann allen gefallen.« // Left Boy im Interview

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Left Boy, bürgerlich Ferdinand Sarnitz, ist jemand, dem mit ­steigendem Ruhm stetig größerer Neid und sogar Hass entgegenschwappen wird. ­Warum? Ganz einfach: Bei oberflächlicher Betrachtung erscheint sein ganzer ­Werdegang wie ein ständiges Wandern auf Zuckerwatte. Als Ferdinand 1989 in Wien zur Welt kommt, gilt sein Vater, der Chansonnier, Aktionskünstler, Autor und Schauspieler André Heller, als avantgardistische Instanz in der österreichischen Kulturwelt. Klar, dass dem Sohnemann da keine allzu großen Steine in den Weg gelegt werden, so er sich für einen künstlerischen ­Werdegang entscheidet. Kein typischer Werdegang für einen Rap-Star in spe – so viel steht fest. Aber irgendetwas hat dieser Left Boy. Ist es das unbestreitbare Charisma, das er auch in unserem exklusiven Interview mit Wiener Akzent selbstbewusst zur Schau stellt? Ist es die spitzbübische Dreistigkeit, mit der er sich an Schmalz-Pop von Carly Rae Jepsen (»Call Me Maybe«) genauso wie bei Klaus Badelts und Hans Zimmers »Fluch der Karibik«-Score bedient? Oder ist es einfach das ausgeprägte Gespür für melodische Flows, unruhig flirrende Beats und klebrige Refrains, die die Menschen bereits in Scharen zu Left Boy treibt, obwohl er zum Zeitpunkt der Drucklegung noch gar keinen Deal unterschrieben hat?

 

HipHop ist bekanntlich eine Kultur, die in erster Linie sozial Benachteiligte und andere Außenseiter jeder Couleur für sich vereinnahmen. Auf den ersten Blick passt Left Boy nicht in die Riege der kreativen Outkasts [sic], die HipHop dominieren. Bei ihm lief bisher scheinbar alles genau so, wie er es sich gewünscht hat. Tonmeisterstudium in New York? Kein Ding. Erste Auftritte auf großen Festivals? Sind eingetütet. Vermutlich jeder von uns würde sich freuen, hätte er nur halb so viel Erfolg im Leben. Aber bei genauerem Hinsehen passt Left Boy doch erstaunlich gut ins heute ganz und gar nicht mehr harmonische Gefüge der deutschen HipHop-Szene. Ein krasserer Außenseiter als Ferdinand Sarnitz hätte in der hiesigen Landschaft kaum aufschlagen können. Er macht keinen Hehl aus seiner privilegierten Jugend (»a HipHop king with a rich boy swag«), er scheißt auf Paradigmen und genauso auf die Gesetze des Genres. Er ist innerhalb der Szene nicht wirklich connectet, es grämt ihn jedoch nicht. Man kann sogar vermuten, dass er nicht allzu viel Wert darauf legt, mit den Vertretern einer nach außen abgeriegelten Kleinkunstvereinigung abzuhängen. Left Boy sucht ganz offen den Erfolg in der großen, weiten Pop-Welt. Wenn er zum jetzigen Zeitpunkt die richtigen geschäftlichen Entscheidungen trifft, dann wird ihm dies auch gelingen – vermutlich genauso spielend leicht wie alles, was er in seinem Leben bisher angepackt hat. Die großen Erwartungen mögen auf dem Papier eine Bürde sein, aber Left Boy scheint davon unbeeindruckt, als er mich am Eingang zu seinem Backstage-Kabuff beim HipHop Open begrüßt.

 

Das Video zu »Jack Sparrow«, deinem bisher größten Erfolg, hast du im Juni 2011 online gestellt. Zu diesem Zeitpunkt warst du für viele ein noch komplett unbeschriebenes Blatt. Kommt dein Erfolg aus dem Nichts?
Nein, überhaupt nicht. Das hat sich über die letzten fünf Jahre aufgebaut. Dadurch, dass ich in Wien auf eine amerikanische Schule ging, haben sich meine Lieder anfangs über Freunde in verschiedenen internationalen Schulen verbreitet. Nach meinem Schulabschluss konnte ich mich immer mehr darauf konzentrieren, mit unterschiedlichen Ideen meinen Hype zu vergrößern. Anfang dieses Jahres habe ich als Teil einer Promo­kampag­ne vier Tracks in einer Woche veröffentlicht, seitdem ist die Fanbase enorm gewachsen.

Wann bist du das erste Mal künstlerisch aktiv geworden?
Ich habe mit 16 Jahren das erste Mal Texte aufgenommen, angefangen habe ich mit GarageBand. Knapp ein Jahr später habe ich mir dann Ableton Live gekauft, das bis heute mein wichtigstes Hilfsmittel ist. An meiner Schule in Wien hatte ich das Problem, dass es niemanden gab, mit dem ich musikalisch harmonierte. Ich musste mich also zwangsläufig in allen Belangen, die mit meiner Musik in Verbindung stehen, allein weiterbilden. Dafür bin auch sehr dankbar, denn dadurch kann ich jetzt meine Ideen jederzeit selbst umsetzen. Ich produziere meine eigenen Beats, schreibe die Texte, entwickle die Konzepte, schneide die Videos. Mittlerweile konnte ich auch gute Verbündete gewinnen, die mir in New York und Wien bei meinen Projekten helfen.

Wie hast du denn anfangs gearbeitet?
Eigentlich gar nicht so anders als heute. Ich habe damit angefangen, Lieder, die ich mochte, auseinanderzunehmen, neu zu arrangieren und Drums darunterzulegen. Generell kommt bei mir der Beat immer an erster Stelle. Wenn der fertig ist, fange ich an, im Kreis herumzugehen und schaue, wie er auf mich einwirkt. Sobald mich der Beat überzeugt, bekomme ich die ersten Textideen und singe stundenlang vor mich hin, bis der Text fertig ist. Mittlerweile komponiere ich auch immer mehr Songs, die keine Samples beinhalten. Die meisten Nummern, die komplett in meinem Kopf entstanden sind, hebe ich mir bisher für mein Album auf.

Nach der Schule bist du nach New York gegangen. War der Hauptgrund das Studium?
Na ja, eigentlich nicht wirklich. Hauptsächlich bin ich 2008 nach New York gegangen, weil ich die Stadt liebe und gehofft hatte, dort endlich Leute kennen zu lernen, die schwingen wie ich. Ich habe mich dort bei der ersten Tontechnikschule der Welt angemeldet, dem Institute Of Audio Research. Die habe ich mir mal bei einem Tag der offenen Tür angesehen und war komplett begeistert. In den Gängen hingen hunderte Gold- und Platin-Scheiben von Lehrern, die unter anderem mit Bob Dylan, Jimi Hendrix und Method Man gearbeitet haben, im Studio saßen zehn Leute, die gerade einen fetten Track aufgenommen haben – es war einfach beeindruckend. Aber ich hatte da leider nur einen guten Tag erwischt.

Hat dir das Studium denn auch als ­Musiker geholfen?
Um ehrlich zu sein, habe ich 90 Prozent von dem, was ich dort gelernt habe, bereits wieder vergessen. Diese Schule legt den Fokus stark auf technische Aspekte und lässt einem eher wenig Zeit für kreative Entfaltung. Davon waren viele Studenten enttäuscht, die ­eigentlich Musiker werden wollten, dort aber erst mal erklärt bekamen, wie man einen Mac bedient. Als ich dort anfing, waren wir noch 80 Leute in meinem Jahrgang, wenige Wochen später nur noch knapp 20.

Nach dem Studium bist du aber trotzdem in New York geblieben. Kannst du dir gar nicht vorstellen, nach Europa zurückzuziehen?
Nein, momentan gar nicht. Ich pendle jeden Monat zwischen New York und Europa, meine zwei Heimaten haben ihre Vor- und Nachteile. Es hört sich komisch an, aber in Brooklyn kann ich am besten arbeiten, weil ich mich dort einfach wirklich zurückziehen kann, dort bin ich von der Außenwelt abgeschottet. Wir sind gerade nach Fort Greene umgezogen. Dort lebe ich in einer Künstlerkommune in einem Haus mit zwei Regisseuren, einem Fotografen, einem Produzenten und einer Schauspielerin. Ich bin in meinem Kokon und verlasse zweimal die Woche das Haus, um auszugehen oder mir Shows anzusehen. Den Rest der Zeit sitze ich am Computer und bastle an meiner Musik, schreibe Konzepte für Videos und arbeite an meiner Zukunft.

Obwohl du selbst in Amerika lebst, scheint deine Musik mir eher ­europäisch und britisch beeinflusst zu sein. Ist da was dran?
Ich weiß nicht, meine Einflüsse kommen wirklich aus allen Richtungen. Das hängt immer davon ab, welche Musik ich gerade feiere. Ich hatte schon eine Zeit, in der ich sehr viel The Kooks und Dizzee Rascal gehört habe. Seitdem ich nach New York gezogen bin, beeinflusst mich aber elektronische Musik immer mehr. Das wird sich auch stark auf meinen kommenden Veröffentlichungen widerspiegeln. Generell gibt es viele Künstler und Stile, die mich inspirieren und beeinflussen. Ein ganz großer Bezugspunkt im HipHop war für mich Atmosphere, aber ich beziehe mich letzten Endes auf alles, was ich irgendwann mal irgendwo aufgeschnappt habe – völlig egal, ob nun De La Soul oder Edith Piaf.

Es gibt wohl zwei Themen, über die du in der Zukunft in jedem Interview reden wirst. Das erste begründet dein Vater, der Künstler André Heller. Hast du von ihm als Musiker profitiert und unterstützt er dich bei dem, was du machst?
Auf jeden Fall. Es ist natürlich etwas Wunderbares, wenn du in einer Familie aufwächst, die dich bei allem, was du machen willst, unterstützt und in der künstlerische Werdegänge nicht als perspektiv- und sinnlos abgestempelt werden. Ich verstecke nicht, dass mir das vieles erleichtert hat. Außerdem haben meine Eltern schon immer viel Musik aus allen Ecken der Welt gehört, wodurch ich ganz unterschiedliche Geschmäcker kennen lernen durfte. Der treibende Faktor in meiner musikalischen Sozialisation war trotzdem mein Bruder Toni. Der ist immer schon ein HipHop-Head gewesen, hat Schallplatten gesammelt und mir ständig neue Musik gezeigt. Erst er hat mich an den Punkt gebracht, an dem ich dann auch selbst Musik machen wollte.

 

Kannst du dich an eine spezielle Platte erinnern, bei der in deinem Kopf ein Schalter umgelegt wurde?
Der Auslöser für meine ersten musikalischen Ambitionen war »If Your Mother Only Knew« von Rahzel. Als ich das hörte, wollte ich Beatboxer werden. Ich bin dann voll in die Szene eingetaucht, war bei der ersten Human Beatbox Convention und habe auch die erste Beatbox-Weltmeisterschaft in Stuttgart mitorganisiert. Irgendwann hat mir das nicht mehr gereicht und ich habe angefangen zu rappen und zu singen.

Du scheinst definitiv ein Familienmensch zu sein. In einem deiner Videos taucht auch deine Großmutter auf, oder?
Ja, da hast du recht. Meine Omi hat in dem Video zu »Healthy Ego« ­mitgespielt. Das war schon länger geplant und endlich konnte ich es umsetzen. Sie ist 98 Jahre alt und ich wollte einen gemeinsamen Moment von uns in einer absurden Situation festhalten. Wir haben ihr nicht mal gesagt, was um sie herum passiert, damit sie stärker auf das ­Geschehen reagiert, aber sie hat alles total lässig hingenommen. Meine Oma ist es durch meinen Vater schon gewohnt, vor der Kamera zu stehen. Außerdem hat sie bereits beinahe ein komplettes Jahrhundert erlebt, da nimmt man einen Mann, der als übergewichtige Ballerina verkleidet ist, wohl auch gelassener hin.

Die zweite unvermeidbare Frage zielt auf den Song »Du« von Cro ab, der nach Meinung vieler mehr als nur ­inspiriert von deinem Titel »Your Song« ist, der wiederum auf einem Daft-Punk-Beat basiert. Möchtest du erklären, was da vorgefallen ist?
Was da vorgefallen sein muss, ist wohl, dass Cro meinen Track mag und ein deutsches Lied geschrieben hat, das viele ähnliche Elemente hat. Als mir die ersten paar Fans »Du« geschickt haben, war ich anfangs ziemlich verärgert. Dass man einen ähnlichen Beat baut, hat mich nicht gestört, aber dass er in der zweiten Strophe auch noch meinen Flow bitet – das fand ich krass. Ich habe dadurch zum ersten Mal einen Einblick bekommen, wie das für Musiker sein muss, wenn man ihre Stücke samplet, ohne sie zu berücksichtigen. Das Ganze war für mich eine wichtige Gelassenheitsübung. Gute kreative Arbeit besteht grundsätzlich aus zahlreichen Ideen, die man nicht selbst hatte und zahlreichen anderen Ideen, die man selbst hatte. Jeder Künstler steht auch auf den Schultern anderer.

Cro wird häufig zum Vorwurf gemacht, dass er gar keine echten Probleme habe und seine Texte zu oberflächlich seien. Dir hängt natürlich auch das ­Attribut an, dass du einer sehr gut situierten Familie entstammst. Was antwortest du, wenn man dir Ähnliches vorwirft?
Meine Lieder schreibe ich für mich, weil ich will, dass sie existieren, damit ich sie hören kann, sie sind wie ein Tagebuch. Nach dem Release eines Songs kann jeder damit tun, was er will – darauf habe ich keinen Einfluss mehr. Ich veröffentliche nur das, was meinem Geschmack entspricht, da bin ich unmanipulierbar. Manche Lieder wie »Jack Sparrow« schreibe ich zum Spaß, andere schreibe ich, um ­Erlebnisse zu ­dokumentieren oder Gefühle zu ­verarbeiten. Meine Musik bin ich, mit ­meinen Stärken und Schwächen, und keiner kann allen gefallen.

 

Text: Sascha Ehlert

 

 

 

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