Lass die Pitties aus’m Käfig! [Kommentar]

-

haftbefehl
 
HipHop ist ein Genre voller Kontroversen. Allerdings haben diese selten viel mit der Kunst und öfter mit Beef, Streitereien und Lästereien zwischen unterschiedlichen Szene-Protagonisten zu tun. Das neue Haftbefehl-Video »Lass die Affen aus’m Zoo«, das gestern auf unserer Facebook-Seite eine leidenschaftlich geführte Diskussion über Gewaltverherrlichung entfachte, ist also eine krasse Ausnahme, ein Sonderfall.
 
Nun steigt der Wert von Kunst, so könnte man argumentieren, mit dem Diskussionspotential, das sie entfacht. Die Provokation ist ein wesentliches Stilmittel unterschiedlichster Künstler. Musikvideo-Regisseure, Fotografen, Schriftsteller, Rapper – alle nutzen überspitzte Darstellungen, um gesellschaftliche Konventionen zu hinterfragen oder Missstände darzustellen beziehungsweise anzuprangern. Man geht Risiken ein und pisst der Gesellschaft ans Bein, man zeigt das, was keiner sehen will. Und logisch, Aufnahmen von Überwachungskameras, auf denen am Boden liegende Menschen brutal zusammengeschlagen werden, die will man eigentlich nicht vor Augen geführt bekommen.
 
Ich selbst bin niemand, der sich auf Youtube Prügel-Videos, gefilmte Drohnenangriffe oder die Hinrichtung von Saddam Hussein anschaut – weil mich Gewalt anekelt. Dennoch besitzt der Video-Clip zu »Lass die Affen aus’m Zoo« für mich größeren künstlerischen Wert als all die ironischen, harmlosen oder einen auf Hollywood-Film machenden Straßenrap-Videos der vergangenen Monate. Warum? Weil es mich kalt erwischt und von den Socken gehauen hat. Die Regentropfen, der Hüne Haftbefehl, die gebrochenen Menschen, die marodierende Jugendbande, die dazwischengeschnittenen Prügelaufnahmen, der Affe mit der AK am Ende – was man da vorgesetzt bekommt, ist komplex und alles andere als leicht zu deuten. Beim ersten Anschauen wird man vom brutalen Bildersturm förmlich erschlagen. Und ja, wenn man es sich leicht macht, kann man dieses Video auf die plakative Darstellung von Gewalt reduzieren und verteufeln.
 
Wagt man jedoch einen zweiten Blick auf die Aufnahmen, sieht man zwar die enorme Anhäufung sinnloser Gewalt, merkt aber, wie diese an keiner Stelle glorifiziert wird. Eher ist das Gegenteil der Fall. Wenn im letzten Drittel des Videos dieselbe Jugendgang zunächst gelangweilt vorm Spielautomaten hockt, diesen dann in einem Anfall sinnloser Gewalttätigkeit zertrümmert, nur um wenig später zunächst einen mutmaßlichen Bankier zu verprügeln und schließlich wahllos einen Menschen mit einem Molotow-Cocktail anzuzünden, dann zeigt das eine Spirale der Gewalt ohne Sinn und Verstand. Eigentlich müsste schon alleine diese drastische Darstellung genügen, um klarzumachen, dass die Macher des Videos Jugendgewalt keinesfalls verherrlichen wollen.
 
Wer sagt denn, dass Musikvideos mit dem Thema Gewalt offensiv kritisch umgehen müssen, um die richtige Message zu verbreiten? Wenn der französische Regisseur Romain Gavras in seinem Video zu »Stress« von Justice kommentarlos eine Jugendbande durch die Banlieu marodieren lässt, in »Born Free« von M.I.A. brutal Rothaarige ermorden lässt oder in »No Church In The Wild« von Kanye West und Jay Z eskalierende Riots zeigt, ist das dann auch gewaltverherrlichend oder schlicht aufregende Kunst, die deswegen spannend ist, weil sie dem Zuschauer keine Meinung aufdrängen, sondern ihn selbst zu einem Schluss kommen lassen will? Und gilt selbiges nicht am Ende auch für »Lass die Affen aus’m Zoo«?
 
Romain Gavras musste sich für seine Videos übrigens die gleichen Vorwürfe anhören, die nun Haftbefehl angehängt werden. Mit solchen Darstellungen werde jungen Menschen suggeriert: Gewalt ist cool. Macht mit! Nur kamen diese Vorwürfe bei Gavras zumeist aus dem konservativen Mainstream und nicht aus der Szene selbst. Warum also haben einige unserer Leser ein so großes Problem mit diesem Video? Hat es vielleicht etwas damit zu tun, wie Haftbefehl und die anderen jungen Männer in dem Video aussehen, mit ihrer Herkunft? Ist dieses erschreckende Szenario (im Gegensatz zu amerikanischem Gangstarap) zu nah an unserer eigenen Lebensrealität dran?
 
Offensichtlich fördert »Lass die Affen aus’m Zoo« bei dem einen oder anderen Vorurteile zu Tage. Man nehme nur den (67-mal wurde auf »Gefällt mir« gedrückt) Top-Kommentar unter unserem Facebook-Post: »Aber was ist mit dem grobschlächtig strukturierten Straßenjungen der dieses Video sieht? Denkt ihr der kann so etwas einordnen?« Menschenfeindlicher geht es kaum. Die offensichtlich gemeinten (größtenteils arabisch- und türkischstämmigen) Jungs aus deutschen Sozialbausiedlungen sind also minderbemittelte Untermenschen, die für jegliche Art von Reflexion zu stumpf sind? Es ist traurig, dass sich selbst in der HipHop-Szene immer wieder so breite Gräben zwischen der sogenannten Unterschicht und der sogenannten Mittelschicht offenbaren, obwohl wir uns doch eigentlich auf die Fahnen schreiben, dass diese Kultur einen Fick auf Herkunft und Nationalität gibt.
 


 


 

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein