Lakmann & T9: »Kannst du dir vorstellen, 40 Jahre an einem Album zu schreiben?« // Feature

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Lakmann T9
Foto: Ziryan Karim (Lakmann) / Melanie Koravitsch (T9)

Lakmann und das Berliner Duo T9 sind Geistesverwandte. Sie eint nicht nur die Angst vor einem wacken Planeten, sondern auch ihr kompromissloser Gegenentwurf, der wie ein Ruhepol im hyperaktiven Rap-Zeitgeschehen wirkt. Im Rahmen des Videodrehs zu seinem »Royal Bunker«-Feature, besuchte Lakmann die Studio-Höhle von Torky Tork und Doz9 in Neukölln. Dort spielten sich die drei ihre neuen anstehenden Alben (»Fear Of A Wack Planet« und »Plastik aus Gold«) vor und philosophierten über ihren Arbeitsprozess.

Torky Tork: Ich hab ein Interview von dir mit Witten Untouchable beim Out4Fame-Festival gesehen. Da meintest du, dass dein neues Album sehr Oldschool-lastig geworden ist. Bei dem Titel »Fear Of A Wack Planet« dachte ich, du gehst so richtig weit zurück, in die Achtziger. Was du uns gezeigt hast, klang jetzt aber eher nach Sean P.
Lakmann: Stimmt, das Album ist echt Sean-P-beeinflusst. Auf meinem letzten Album »Aus dem Schoß der Psychose«, hatte ich viele Themensongs. Das war mein Magnum Opus, mein großes Werk. Auch wenn einige Kritiker es nicht gefeiert haben. Ich hatte danach tatsächlich noch einen Haufen Texte und eine große Wut auf die wenigen Kritiker, sodass ich schon ganz viele Texte geschrieben hatte. Für die ist das jetzt die Antwort. Ich hab noch nie so oft »Lakmann One« oder »Scheiße« wie auf diesem Album gesagt. (grinst)
Doz9: Warst du enttäuscht über die Rezeption des Albums?
Lakmann: Ja, total! Ich bin immer enttäuscht. Ich kann gar nicht glücklich sein, das würde mich kaputt machen und ich hätte keinen Antrieb mehr. Aber lass uns doch mal über das Schreiben reden? Wie läuft denn dein Prozess ab, Doz?

Doz9: Bei mir geht das relativ schnell, ich schreibe eher intuitiv. Manchmal tausche ich später auch die Reihenfolge der Reime, oder es kann sein, dass ich Texte von oben nach unten schreib und dann aber von unten nach oben rappe.
Lakmann: Das hab ich auch schon ­gehabt. Wenn du einen geilen Anfang hast und dann merkst: Das ist eigentlich eine geile Punchline für die letzte Line. Hasst du es auch so, den zweiten Part von einem Song zu schreiben?
Doz9: Ja, weil der zweite Part ja immer besser sein soll als der erste.
Lakmann: Und dann kommt es immer ganz anders.
Doz9: Manchmal nehme ich dann einfach den zweiten Part und verwende ihn als ersten. (Gelächter)
Lakmann: Bei Witten Untouchable bin ich es gewohnt, nur einen Verse zu schreiben. Bei einem Soloalbum musst du so viele Sachen beachten. Vor allem, wenn du so ein Dude wie ich bist, der versucht, sein Leben zu vertonen. Ich achte gar nicht darauf, ob das in eine gängige, zyklische Rapstruktur passt. Heutzutage sind die Strukturen von Rapsongs eh wie Nummern aus dem Popbereich: ganz wenig Lyrics, nach 30 Sekunden schon die Hook.
Doz9: Oder zuerst die Hook, dann nochmal eine Bridge, vier Bars Rap, acht Bars Hook.
Lakmann: Machst du dir eigentlich Gedanken, ob die Leute die Lyrics beim ersten Mal checken? Ich hab jetzt zum ersten Mal für mich gesagt: Scheiß drauf! Was denkst du dir beim Schreiben? Du benutzt ja sehr schwierige Worte und abstrakte Bilder.
Doz9: Das ist allgemein so ein Problem, das ich habe. (Gelächter) Ich hab halt selten Themen, von denen ich ausgehe. Bei mir entsteht das immer aus einem Gefühl heraus.
Lakmann: Wenn ich dich höre, Doz, find ich, dass meine Technik da gar nicht rankommt. Die Komplexität, die ihr habt, findet auf meinem Album eher zwischen den Zeilen statt. Wo schreibst du denn deine Texte?
Doz9: Hier im Studio.

Lakmann: Du hast den Luxus, im Studio zu schreiben? Ich mach das ja zu Hause, nachts, wenn alle schlafen.
Doz9: Ich kann zu Hause nicht schreiben, da komm ich nicht in den Vibe.
Lakmann: Ich muss mir den Vibe holen, das macht es so schwer manchmal. Aber so um ein, zwei Uhr nachts zieh ich die Kopfhörer auf, pumpe den Beat und dann lass ich den Frust vom ganzen Tag ab. Das sind die besten Songs. Wir haben kein eigenes Studio, wir müssen immer dafür bezahlen. Wenn Kareem, Yassin und ich ins Studio kommen und dann erst schreiben würden, wäre der Tag vergeudet. Dafür sind diese Dudes zu perfektionistisch. Die wollen zwanzig Mal aufnehmen. Guck mal, da sitzt noch eine Minisilbe nicht perfekt, die machen wir noch mal. (grinst)
Torky Tork: Ich setz mir immer eine Art Druck. Wenn ich hier herkomme und nicht mit nem Track oder Beat nach Hause gehe, bin ich enttäuscht.
Lakmann: Das geht mir genauso, aber wir kommen schon vorbereitet ins Studio. Wir wissen schon, wie die Hook wird, wie der Song wird, und müssen nur recorden. Schreibst du immer auf den Beat, Doz, oder entstehen bei dir auch Bars acapella?
Doz9: Also ich hab manchmal schon einen groben Text, von dem ich sage: Das könnte ein Song werden, aber dann kommt halt der Beat und der dupliziert das alles noch.
Lakmann: Ich find die Momente am geilsten, in denen du einen Beat hast, ansetzt und es wie automatisch fließt. Ansonsten ist vieles auch abgleichen, viele Leute haben Texte, Blöcke, Vierer, Punchlines und gucken dann, auf welche Geschwindigkeit die passen. Das ist auch ein cooles Ding, aber viel Schnipselarbeit. Machmal finde ich den Reim wie auf Knopfdruck. Manchmal benutz ich aber auch den gleichen, den ich schon tausendmal gemacht hab, aber er kriegt dann in einem neuen Kontext eine neue Bedeutung.
Doz9: Gibt es Tracks, die du selbst erst mal verstehen musst, die sich für dich erst nach dem Schreiben erschließen?
Lakmann: Klar, dann nehme ich Zeilen interpretationsmäßig auseinander und erkenne erst, dass sich manche auf Rap und auf mein Leben beziehen. Und dass sich erste Assoziationen ganz neu erschließen. Diese tiefere, persönlichere Ebene, erschließt sich dann nur mir. Daraus ergibt sich letztlich die Dreifaltigkeit von Lyrics – das ist das höchste Level, das du haben kannst. Wenn du Lines hast, die hinterher die Gegenprobe bestehen: Hier wird dieses Wortspiel benutzt, diese vier Lines sind Anaphern, hier wird die Aufzählung als grammatikalisches Stilmittel benutzt, hier machst du eine Enumeration, hier eine Parabel.

Doz9: Ich wollte jetzt gar nicht unbedingt auf bestimmte Stilmittel hinaus. (grinst) Habt ihr das in der Schule früher bei Gedichtinterpretationen nicht auch gehasst? Als würde der Verfasser sich hinsetzen und sagen: Jetzt setze ich hier genau dieses Stilmittel ein.
Lakmann: Ich hab das auch schon probiert, ich habe diese stilistischen Mittel genommen und versucht, zuerst so zu denken.
Doz9: Häh? Das geht doch gar nicht.
Lakmann: Nimm zum Beispiel Martin Luther Kings »I have a dream«-Rede: Er fängt immer wieder an mit »I have a dream…« Das sind Enumerationen, Aufzählungen. Große Schriftsteller wie Kafka, die haben das total bewusst gemacht.
Doz9: Das würde ich Kafka nie unterstellen, dass der sagt: Ok, ich mach das zuerst theoretisch, bevor es sich praktisch gut anhört.
Lakmann: Du musst diesen Geistesblitz haben, den genialen Einfall und dann kommt der Trick: Wenn du viel Routine und Erfahrung mit Rap hast, und vor allem, wenn du viel liest, dann fließen die Wörter von alleine. Dann kannst du nach 16 Bars die Gegenprobe machen. Das ist wie so ne Matherechnung mit Proberechnung: diese grammatikalische Überprüfung, die immer nur im Nachhinein möglich ist. Die ganz großen Literaten haben diese Stilelemente vielleicht schon wissentlich eingesetzt. Das dauert ja auch. Ich hab gelesen, dass Goethe »Faust« erst mit 60 oder 70 fertig geschrieben hat. Der hat da vierzig Jahre dran gearbeitet. Kannst du dir vorstellen, 40 Jahre an einen Album zu schreiben? (Gelächter)

Protokoll: Felix Englert

Dieses Feature erschien erstmals in JUICE #183 (hier versandkostenfrei nachbestellen).

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