»Man redet in Berlin immer von Dingen, die man sich eigentlich gar nicht erzählen würde, um sich vor wildfremden Leuten zu profilieren« // Kraftklub im Interview

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Die Autos rasen so schnell und laut über die Chemnitzer Theaterstraße, dass man nur ein dumpfes Klirren hört. Till von Kraftklub schlendert schief grinsend um die Ecke, klopft sich die Hände an der Hose ab. »Habt ihr was gehört? Ich nicht.« Wir stehen vor einem verlassenen Hochhaus, nicht weit vom Chemnitzer Zentrum. Schwere Metallgitter verriegeln die Fenster, die Wände sind mit ungelenken Schriftzügen beschmiert. »Früher war hier unten noch Kunst drin«, sagt Steffen.

Heute steht das Haus komplett leer. Umso besser für die Jungs von Kraftklub. Sie wollen rauf, in den 5. oder 6. Stock, und von dort für das Cover-Shooting der letzten Ausgabe des Magazins »Uncle Sally’s« zwei riesige Banner herunterlassen. Deswegen hat Till einen Stein durch eines der Fenster geworfen. Bis jetzt wären die Banner nur bei Rock am Ring zum Einsatz gekommen, auf andere Bühnen würden sie nicht passen, erklärt Frontmann Felix. Über diesen Satz denkt man unweigerlich zweimal nach. »Wir haben zehn Minuten, bis die Polizei kommt«, sagt er, so ein bisschen im Anführertonfall. Die Jungs hetzen schnell durchs Treppenhaus nach oben, um die Banner am Balkon zu befestigen. Sie selbst hatten die Idee zu diesem Shooting. Wo andere sich schon beim ersten Album mal eben cool ins Gegenlicht stellen lassen und später über die Köpfe hinweg entschieden wird, welche Bilder den Künstler am besten in Szene setzen, wissen Kraftklub genau, was sie wollen.

Kraftklub, das sind Felix, Till, Steffen, Karl und Max aus Chemnitz, oder wie die Jungs immer noch sagen: Karl-Marx-Stadt. Fünf Anfangzwanziger, stolz auf ihre Heimatstadt und gerade dabei, die gesamte deutsche Musikszene aufs Kreuz zu legen. Von einem Geheimtipp haben sich die Jungs innerhalb eines Jahres zu einer sehr guten Band und einem der wichtigsten Festival-Acts dieses Landes gemausert – allein das wäre für andere Nachwuchsbands schon Grund genug, mit den Knien zu schlottern. Aber selbst als Casper, Fettes Brot und die Beatsteaks zwecks Openerwunsch für ihre Touren anklopften, sagten die Chemnitzer zu.

Felix, bis 2010 noch als Bass Boy aka Bernd Bass unterwegs, unter anderem auf dem »Weißt du noch?«-Mixtape von Tefla & Jaleel vertreten und mit einem vollkommen durchgeknallten »Halt die Fresse«-Auftritt im Gedächtnis der Rap-Fiends geblieben, tat sich mit den Neon Blocks, der Band von Till, Steffen, Karl und Max, zusammen. Deren Indietronica und New Rave-Sausen wurden ein wenig um ihre Knarzigkeit beschnitten und trafen plötzlich auf Rap – und wo die Atzen mit ihrem bunten Großraumdisco­geballer eher in Richtung Balearen schielen und Casper sich melancholischem Post-Rock verschrieben hat, klingen Kraftklub in der Tradition des neuen HipHop-Eklektizismus, als habe man den Rap der neuen Schule mit dem Indie-Rock der ausgehenden nuller Jahre à la Maximo Park und The Hives gekreuzt. Anfangs nannten sie das Ganze noch etwas halbironisch Randie-Pop, mittlerweile ist es einfach nur noch der Kraftklub-Sound.

Der Wind fegt durch das Gerippe des Hochhauses in Chemnitz. Im Inneren werden noch ein paar Porträtaufnahmen gemacht. »Warum ist dein Shirt eigentlich so weiß?«, fragt Felix Steffen. Für die Fotos haben sich Kraftklub in ihre Bühnenuniform geworfen: weiße Sneakers von Primark, graue Cheap Monday-Röhrenjeans, weiße Poloshirts, auf die das Logo gestickt ist, rote Hosenträger und Bomberjacken mit den beiden Händen, deren Finger die Initialen des Bandnamens bilden. Es ist ein Style-Code, der sich bei der Oi-Punk-Szene genauso bedient wie bei den neuesten Lookbooks und Throwback-Collegemode. »Das haben wir uns deshalb überlegt, weil wir Bandfotos von Leuten in normalen Outfits einfach langweilig fanden«, sagt Felix, bevor er durch das Fenster wieder aus dem Gebäude klettert. Eine Gruppe von Schulkindern kommt vorbei und ruft: »Hallo, Kraftklub!« Die Jungs grinsen und gucken dann für die Gruppenfotos wieder ernst in die Kamera. »Eigentlich erkennt man uns hier nicht«, sagt Steffen. »Vielleicht mal abends auf Partys oder in Berlin in der S-Bahn. Die Leute sind hier einfach nicht so.«

Wir schlendern über eine Brücke, die über die Chemnitz führt. Steffen und Felix erzählen, wie sie bei der diesjährigen Rheinkultur den Trouble um den abgesagten Auftritt von Haftbefehl aus nächster Nähe mitbekommen haben. »Sogar Celo & Abdi waren da«, erinnert sich Steffen. Beide beschäftigen sich überdurchschnittlich viel mit deutschem Rap. Felix erzählt, wie er durch Sidos »Maske« zum deutschen HipHop kam: »Mir waren immer Leute lieber, die was zu erzählen hatten – vielleicht auch auf Kosten des Flows.« Ihm ging es immer mehr um gute Popmelodien. Dem Debütalbum »Mit K« hört man das an. Statt sich allzu stark auf Punchlines und den nächsten Abiturparty-Smasher zu konzentrieren, sind die Texte etwas schlanker, dafür aber ausdrucksstärker geworden, selbiges gilt für die Musik. »Ich bin froh, dass wir uns selbst davor bewahrt haben, die Klassenclowns zu werden«, so Felix.

Till erzählt derweil vom Kletterausflug auf einer Esse vor der Stadt. Irgendwann ist er mit einem Kumpel mal da raufgeklettert, 90 Meter hoch. Man hatte einen wunderbaren Blick über die Stadt. Im Keller des Gemäuers haben sie auch Partys gefeiert. Irgendwo gab es Strom, also auch Musik, dann haben sie mit zehn Leuten zwei Kästen Bier plattgemacht – das hat damals gereicht. Es ist nur eine kleine Anekdote, aber sie steht als Synonym für diese Macher-Mentalität der Chemnitzer. Wir stehen vor einer unscheinbaren Glastür, auf der ein einfaches Atommodell prangt, einige der Jungs schlecken noch am laut Steffen »besten Softeis der Welt«. Hier, am Johannisplatz, befindet sich der wichtigste Club der Stadt, das Atomino. Hier hat das DIY-Ding der Stadt seinen Ursprung. Der Club, der nach einer DDR-Comicfigur aus den sechziger Jahren benannt ist, besteht schon seit zwölf Jahren, sieben Jahre an anderer Stelle. Er ist die Schaltzentrale, das Auffangbecken für alle Musiker aus Chemnitz. Eine »Chemnitzer Klüngelei«, wie Felix sagt. Über 200 Bands gibt es in der Stadt, von Drum’n’Bass, Dubstep über Kuttenmusik bis Rap – bei einer Einwohnerzahl von rund 240.000 ist das schon enorm. Durch das splash!-Festival sowie Phlatline Records hatte Chemnitz in der HipHop-Szene stets ein besonderes Standing.

Kein Wunder, dass auch die Kraftklub-Jungs hier seit Jahren spielen, egal ob als Neon Blocks, Bass Boy, Hit Le Mare oder unter unzähligen anderen Fantasienamen und Pseudonymen, wie zum Beispiel Till als »Mann mit der goldenen Gitarre« – da hatte er einen Motorradhelm auf und spielte zwei Stunden am Stück Akustiksongs mit improvisierten Texten. Besonders für die »Mania«-Partyreihe ist das Atomino bekannt. Schon im Frühsommer hatte Till mir in der WG am Schlesischen Tor, welche die Jungs kurzzeitig für die Albumaufnahmen bezogen hatten, einige Auftritte vorgespielt. Jede »Mania« wird einem Künstler – von den Beastie Boys über David Bowie bis Madonna – gewidmet und von den teilnehmenden Bands recht frei neu interpretiert. Diese kleinen Videoschnipsel demonstrierten auf beeindruckende Weise, was da an Hunger, Potenzial und Kreativität in all diesen jungen Musikern aus Chemnitz schlummert. Allen voran Felix, Till, Steffen, Karl und Max.

Im Inneren des Atomino sieht eigentlich alles aus wie in einem Berliner In-Club, der künstlich auf Wohnzimmer getrimmt wurde: Vintage-Tapete, Campingtische und knöchelhohe Sofas, an der Wand hängt eine Schallplatte mit der Aufschrift »Die 60 schönsten Trinklieder«. Draußen werden von Kränen graue Betonklötze mit Glaswänden hochgezogen. »Aufbau Ost«, hatte Steffen vorhin gelacht, als wir über das Kopfsteinpflaster in Richtung des Clubs gingen. Ende des Jahres wird das Atomino nach fünf Jahren am Johannisplatz umziehen. In den Brühl, wohl die schönste Wohngegend in Chemnitz, in der trotzdem ganze Häuserblöcke ­leerstehen. Neben einer Schule wird der neue Proberaum eingerichtet. »Wir sind diesem Club sehr verbunden«, sagt Felix. »Ich habe mir sogar das Logo stechen lassen.« Er zeigt sein Handgelenk. »Das war für uns alle ein Segen: In einer Stadt, die mega­beschissen ist, hat man plötzlich etwas, womit man sich identifizieren kann.« Als Kraftklub beim »Bundesvision Songcontest« in diesem Jahr für Sachsen antraten, rief Felix in die letzte Bridge hinein: »Schöne Grüße ins Atomino!« Dort saßen sie alle, haben angefeuert und angerufen.

Beim Essen in der Pizzeria am Johannisplatz, keine 150 Meter vom Atomino entfernt, checken Felix, Till und Karl die Verkäufe für die erste Tour, die wenige Tage später beginnen soll. Viele Gigs der »Autobahn zur Hölle«-Tour sind bereits ausverkauft. Wir wollen noch in den Proberaum, um dort ein wenig über das Album zu sprechen. Gemeinsam mit der Kollegin von »Uncle Sally’s« plaudern wir wild drauflos. Sofort wird viel geflachst, gelacht und rumgesponnen. Wir wollen vor allem über Musik reden. Es geht um Lana Del Rey, Noel Gallagher’s High Flying Birds, Rihanna und Kinderchöre. Dann gesteht Felix lachend: »Wir reden in Interviews nicht so viel über Musik. Das finden wir immer ein bisschen blöd, weil wir dann offenlegen müssten, von wem wir geklaut haben. Wir sind ja nur der dritte Aufguss.«

Wenn Kraftklub in Songs sagen, dass sie nur von schwedischen Bands klauen würden, ist das natürlich eine ironische Auseinandersetzung mit den hin und wieder offensichtlichen Indie-Anleihen, die so gleichzeitig auch die Argumente der Kritiker entkräftet. Für Felix ist das Ironie-Ding aber nicht ganz so einfach: »Mit Ironie kann man irgendwie alles erklären, aber auch nichts. Die Texte sind, wie wenn man sich unterhält. Da sagt man Ernstes und auch Quatsch. Und da gibt es auch immer Leute, die deinen Humor überhaupt nicht verstehen. Klar ist da Ironie drin, aber manche Sachen sind dann auch genau so gemeint, wie sie gesagt sind.«

Das Cover der Single – gespickt mit Hipster-Utensilien wie Jutebeutel, Club Mate, analoger Spiegelreflex und einem Karohemd – verurteilt allerdings auch wieder herrlich halbironisch den Hype um Berlin. Schaut man sich die Jungs, besonders Steffen und Karl, etwas genauer an, findet man diese Ironie-Insignien aber auch an ihnen – Steffen könnte statt der Brille seines Opas ja auch ein anderes Modell tragen. »Ich weiß, was du meinst«, nickt er auf die Nachfrage. Felix zuckt mit den Schultern: »Die ‘Intro’ gibt es halt auch in Chemnitz.« Es geht gar nicht so sehr um die Uniformierung, sondern die Einstellung der Hauptstädter.

Nach dem legendären Magnet-Auftritt im letzten Herbst, als der Deal mit Universal ­unterschrieben war, legte das Management den Jungs nahe, doch nach Berlin zu ziehen, um hier am Album zu arbeiten. »Andere wären bestimmt sofort gegangen‚ aber wir haben wirklich dagegen gekämpft«, erinnert sich Felix. »Man redet in Berlin immer von Dingen, die man sich eigentlich gar nicht erzählen würde, um sich vor wildfremden Leuten zu profilieren. Da waren wir wirklich überrumpelt. Hier in Chemnitz gab’s so was nicht. Da war man eher skeptisch und wurde krass ausgelacht, wenn man über ungelegte Eier gesprochen hat. Und in Berlin benutzt man diese Floskel ‘Ich will noch nicht ­darüber reden!’ auch wirklich nur dann, wenn es wirklich nichts darüber zu reden gibt, aber man trotzdem darüber reden möchte«, sagt Felix und lacht. »Irgend­jemand hat mal damit angefangen und jeder denkt, er müsse das genauso machen. Das irritiert uns.«

Den ganzen Unsinn aus Gästelisten-Hustle, Freigetränken, Tumblrismen, Weekday-Uniformen und Projektspekulationen haben die fünf im Song »Ich will nicht nach Berlin« verarbeitet. Im dazugehörigen Video spielen sie auf dem Axel-Springer-Haus in Berlin-Kreuzberg und lassen am Ende ein Banner mit dem Konterfrei von Karl Marx vom Dach des Gebäudes hinunterrollen. Beim ­»Bundesvision Songcontest« reichte der Song für den fünften Platz. »Als wir wiedergekommen sind, war das schon so ­nationalspielermäßig«, erzählt Felix. »Das war ein schönes Gefühl, auch weil wir immer stolz darauf waren, wo wir herkommen.« Und Till ergänzt: »Die Leute waren auch froh, dass endlich mal nicht die Blockflöte des Todes für Sachsen angetreten ist.« Alle lachen.

»Einen Platz in den Top 10 hätten wir cool gefunden«, sagt Felix bescheiden und gibt offen zu: »Allen war klar: Tim Bendzko gewinnt. Dann saßen wir da im Green Room und haben die ganze Zeit Punkte bekommen: von Thüringen und Berlin. Zehn Punkte!« Die Art und Weise, wie die Jungs über solche Veranstaltungen und ihre bisherigen Erfolge sprechen, ist schlicht und einfach sympathisch. Wo man sich anderswo einen Film auf den Halbpromi-Status schieben würde, sind Kraftklub skeptisch, zurückhaltend und freuen sich umso mehr, wenn es denn klappt. Man will nicht um jeden Preis berühmt werden und setzt auch nicht alles auf eine Karte. Wenn es klappt, ist das cool und man hat eine gute Zeit. »Ich will auch sagen können: Geil, wir sind mit Anfang 20 unterwegs gewesen und richtig zusammen durchgedreht. Der Zeit muss man dann auch nicht nachheulen, sondern einfach dran ­denken, dass das echt abgefahren war.«

»In unserer Elterngeneration macht kaum einer das, was er gelernt hat. Die Leute, die im Atomino an der Bar arbeiten, haben einen 1er-Diplom-Schnitt, aber machen ihren Job gern. Und deshalb haben wir auch keine Zukunftsängste. Wenn’s nicht läuft, arbeiten wir halt in zehn Jahren im Atomino an der Bar.« Eine Sichtweise, die Felix vielleicht von seinem Vater mit auf den Weg bekommen hat: »Den Zusammenhalt, diesen Charme und die Romantik, die das Leben von meinem Vater und seinen Leuten verströmt hat, das haben wir irgendwie verinnerlicht. Punk-Konzerte in der Kirche, weil man es sonst nirgendwo machen konnte. Unter ständiger Beobachtung von der Stasi. Im Untergrund herumgekrebst. Das war natürlich eine Diktatur, und heute ist es cooler. Aber das war irgendwie doch romantisch. Heute wünscht man sich ja immer Sachen, gegen die man kollektiv sein kann. Damals hatte man das System. Das erschien mir so ein bisschen romantisch.«

Draußen wird es langsam kalt. Ein Schlot pustet weißen Rauch in den Himmel über Chemnitz. Der letzte Song auf dem Album »Mit K« wird »Wieder Winter« heißen. Es ist ein romantischer Song über all die Dinge, die man den Sommer über macht: Ins Freibad einbrechen, mit geklautem Bier über den warmen Sommernachtsasphalt laufen, auf den Dächern sitzen, über die Stadt schauen und den Tag und die Nacht verschwenden. Man könnte diese Romantik ironisch abtun, kauft sie Felix und dem Rest der Band aber irgendwie ab. Hier, in Chemnitz, wo die Jungs herkommen und bleiben werden, geht das noch. Ganz sicher.

Text: Jan Wehn

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