Kontra K: »Ich mache keine kalkulierte Popmusik. Meine Musik ist Selbsttherapie« // Feature

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Kluges Zitat gefällig? »Writing is making sense of life«, hat die südafrikanische Literatur­nobelpreisträgerin Nadine Gordimer mal gesagt. Nicht nur sprichwörtlich kann Kontra K genau davon ein Lied singen. Auf seinem zweiten Majoralbum ­»Labyrinth« kämpft er in Reimform erneut mit sich selbst, gegen seine Dämonen und falsche Freunde sowie für Aufrichtigkeit und Ehre – und wird damit die Tür in ­Richtung Superstarstatus ein enormes Stück weiter aufstoßen.

»Wir haben Schlampengold«, grinst Kontra K Mitte März. 13 Monate nach Veröffentlichung sind die Verkäufe seiner ersten Major-LP »Aus dem Schatten ins Licht« zwar noch nicht im sechsstelligen Bereich angekommen, die fehlenden Einheiten würden aber laut neuester Regularien durch sogenannte Premium-Streams im zweistelligen Millionenbereich gedeckt. Besagte Regelung tritt für die deutschen Albumcharts allerdings erst ein Jahr nach Erscheinen von »AdSiL« in Kraft. So bleibt das Edelmetall an Kontras Studiowänden vorerst imaginär. Zeichnet man den Karriereweg des Berliners über die vergangenen drei Jahre nach, scheint es fast gewiss, dass mit »Labyrinth« auch dieser Meilenstein erreicht werden wird. »Ich musste mich in meinem neuen Territorium erst zurechtfinden«, sagt Kontra rückblickend über den vor knapp zwei Jahren vollzogenen Wechsel zur Sony-Tochter Four Music. »Jetzt setze ich das durch, was ich haben will. So ist die Platte geworden.«

Geht es um das Vermarktungspotential eines Künstlers, ist industrieintern gerne die Rede vom »Druck auf einem Thema«. Dass der Kessel bei Kontra gehörig pfeift, merkt man schon im Spätsommer 2013: Das über den Indie-Vertrieb distri (damals noch Distributionz) veröffentlichte Album »12 Runden« entert mühelos die Top Ten, die steigenden Klick- und Like-Zahlen spiegeln sich in den Verkäufen wider – im Zeitalter diverser Internethypes beileibe keine Selbstverständlichkeit mehr. Ende des Jahres veranstalten Kontra und sein Team ein einzelnes Konzert in Berlin – Fans reisen aus ganz Deutschland an, die Veranstaltung ist binnen kürzester Zeit ausverkauft. Nach der Show zeigen die Fans ihrem Idol seine in ihre Haut gestochenen Textzeilen.

Keine anderthalb Jahre später will Kontra im April 2015 erneut vor ausverkauftem Haus den Tourabschluss in seiner Heimatstadt feiern. Das Huxley’s Neue Welt am Neuköllner Hermannplatz fasst gut das Doppelte wie der Ende 2013 gebuchte C-Club – doch Kontras Körper streikt. »Ich habe über Monate immer wieder Grippen ignoriert, mich mit Vitamin-B12-Spritzen einfach fit gemacht. Dadurch ist eine alte Boxverletzung am Auge wieder aufgebrochen.« Zuerst leidet er an Sehstörungen, plötzlich verschlechtert sich sein Gesundheits­zustand rapide. Die Ärzte stellen eine besorgniserregende Diagnose: Gürtelrose im Auge. »Ich bekam eine Zwangsnarkose, weil ich angefangen hatte zu krampfen. Fast hätte ich mein Augenlicht verloren«, erinnert sich Kontra. Ein kurzer Realitycheck für einen, der immer Vollgas gibt: »Danach wurde mir klar, dass ich erst mal kürzer treten muss.« Das Nachhol­konzert absolviert er trotzdem wenige Wochen später, kurz darauf spielt er beim Hurricane Festival vor mehreren zehntausend Menschen. Die Krönung des erfolgreichen Jahres auf Achse liefert jedoch der abermalige Tourabschluss vor 3.500 Leuten in der ausverkauften Berliner Columbiahalle im vergangenen Dezember. »Überall, wo ich hinkam, waren tausend oder mehr Leute. Alle konnten die Texte«, blickt er zufrieden, aber auch ein bisschen ehrfürchtig auf die auf Tour gesammelten Eindrücke zurück. »Es hat mich glücklich gemacht zu sehen, dass das nur über die Musik funktioniert, nicht über schlaues Marketing oder ein aufgebautes Image. Die Leute identifizieren sich mit mir und dem, was ich schreibe. Dafür bin ich dankbar.«

 
Der Kunst­handwerker

Allen Erfolgen der vergangenen Jahre zum Trotz: Die Bezeichnung des Berufsmusikers scheint für Kontra weiterhin unangemessen. Die sprichwörtliche Bodenhaftung beschert ihm ausgerechnet die Arbeit am Seil. Gemeinsam mit seinem zehn Jahre älteren Bruder führt er eine Industriekletterfirma, erledigt Auftragsarbeiten an Brücken, Häuserfassaden, Fabrikgebäuden und Kirchtürmen. »Ich lass das nicht los. Es läuft einfach zu gut«, resümiert er. Das Handwerk ermögliche ihm außerdem, seinem bald zweijährigen Sohn etwas Bodenständiges zu vermitteln. »Das mit der Mucke könnte alles morgen vorbei sein«, gibt er sich ein wenig schwarzmalerisch. Dass das Handwerk einen Kontrast zur Schnelllebigkeit des Musikbusiness darstellt, ist nicht abzustreiten. Eine Tatsache, von der nicht nur der eigene Nachwuchs profitiert. Seinem langjährigen musikalischen Weggefährten Rico, der auch auf »Labyrinth« wieder mehrfach zu hören ist, bezahlt er im vergangenen Jahr einen Lehrgang, nachdem ein anderer Freund und Geschäftspartner abspringt. »Mitgefangen, mitgehangen« scheint im übertragenen Sinne das Motto im Hause DePeKa. »Du kannst dein Leben nicht für jemand anderen opfern. Aber du kannst versuchen, ihn in die richtige Richtung zu schubsen«, sagt er bezüglich der Loyalität zu seinen Jungs.

Es wäre heut nicht wie es ist, wär es damals nicht gewesen, wie es war

Besagte »Richtung«, weg von der Versuchung des schnellen Geldes, hin zum Erfolg durch harte Arbeit, ist für Kontra K zur selbsterfüllenden Prophezeiung geworden. Schon als wir 2013 zum ersten Mal sprechen, lässt er deutlich erkennen, dass er mit seiner Straßenvergangenheit abgeschlossen hat. Sein großes Ziel ist ein an Spießigkeit kaum zu überbietendes Leben: Kinder, Haustier, Eigenheim mit Garten, Ferienhaus in der Toskana. Peinlich ist ihm das nicht, schließlich kennt er ein anderes, vermeintlich cooleres Leben und weiß, wie wenig erstrebenswert die schiefe Bahn doch ist. Auf der ersten »Labyrinth«-Single »Wie könnt ich« erinnert er sich an seine Anfänge: »Majoran, Ku’damm, Touris blenden, Ticker überfallen/Tausende von unterirdischen Songs aufnehmen, Hauptsache, der Beat ist geil.« Ende 2014 spazieren wir über den Olivaer Platz, nur einen Steinwurf von den edlen Boutiquen der Einkaufsstraße Kurfürstendamm entfernt. Mitte der Nullerjahre verpackt der gerade volljährige Kontra hier mit seinen Jungs Gartenkräuter in Plastiktütchen. »Das haben wir damals gemacht, um Geld für was zu essen und nen Zehner richtiges Gras zu haben«, erinnert er sich. »Paar räuberische Sachen waren auch dabei. Wir waren keine schlechten Menschen. Nur ein Produkt unserer Lebensumstände.«

Diese offensichtlichen Gemeinsamkeiten lassen später auch die Connection zu Bonez MC und Gzuz von der 187 Strassen­bande entstehen. Schon davor verkehrt Kontra, zuerst als Teil des Kollektivs ­Perspektivflows, dann zusammen mit KiezSpezial als Vollkontakt und später schließlich als Teil von DePeKa Records, in den entsprechenden Berliner Kreisen, releast über das Label von Horrorcore-Legende Kaisaschnitt und pflegt enge Kontakte zu Hirntot-Records-Chef Blokkmonsta. Die musikalische Nähe zu Memphis, Atlanta, New Orleans und Houston, die man in Berlin vielerorts pflegt, färbt auch auf Kontra ab. Stimmeinsatz, Flow-Variation und ein Talent für eingängige Hooks lernt er durch das akribische Studium der Musik aus dem dreckigen Süden. Auf »Labyrinth« manifestiert sich dieses Talent vor allem im Song »Ikarus«. Angesprochen auf Radiotauglichkeit und Hitpotenzial des Songs bleibt Kontra nüchtern: »Ich mache keine kalkulierte Popmusik. In erster Linie dient meine Musik der Selbsttherapie. Ich wäre sonst ein extrem unausgeglichener Mensch.«

 
Rumble, Young Man, Rumble

Aber nicht nur in der Booth wird Dampf abgelassen: zweites Ventil ist der wiederum oft in der Musik thematisierte Boxsport. Nicht nur als aktiver Boxer, der mittlerweile im Sauerland-Profilager um WBA-Weltmeister Jürgen Brähmer trainiert, sondern auch als Jugendtrainer ist Kontra immer noch aktiv. An Brähmers Seite performt er im März bei dessen Titelverteidigung seinen bisher größten Hit »Erfolg ist kein Glück« als Walk-in-Hymne, schon einen Tag später betreut er seine Nachwuchskämpfer bei der Berliner Meisterschaft. Zuletzt gibt er bis zu fünfmal pro Woche Training – eine Verpflichtung, der er aus Zeitgründen nicht mehr nachkommen kann. Dreimal pro Woche will er trotzdem weiterhin die Einheiten leiten. »Die Jungs haben wenig Perspektive, da ist es gut, wenn die sehen, dass man es schaffen kann.« Von einer Vorbildfunktion will er trotzdem nichts wissen. »’Beispiel‘ würde ich das vielleicht nennen«, relativiert Kontra, der sich die Rolle des Idols selbst nicht zugestehen möchte.

 
Dabei zeigt ein Blick auf Kontras stetig wachsende Fan-Scharen, wie sehr er mit seiner Musik als Inspirationsquelle dient. Vom über die letzten Jahre konsequent angesteuerten Kurs rückt er auch auf »Labyrinth« nicht ab. So steht der Albumtitel sinngemäß für die Suche nach den Antworten auf die großen Fragen des Lebens. Ähnlich wie Eminem, der seinerzeit noch expliziter über das katastrophale Verhältnis zu seiner Mutter, seine On/Off-Ehe mit Baby-Momma Kim und den in seiner Tochter Hailey personifizierten Lebenssinn rappte, nimmt Kontra seine Fans mit in die Gedankenschlacht und schweißt die Supporter so zu einer engen Gemeinschaft. Das danken sie ihm, lieben sie doch sowohl den starken Leitwolf und dessen Durchhalteparolen als auch den zweifelnden, manchmal auch verzweifelten Endzwanziger, der die Narben auf seiner Seele zählt. »Was hab ich denn anderes?«, fragt Kontra rhetorisch. »Ich arbeite mit den Wirrungen in meinem Kopf. ‚Labyrinth‘ habe ich geschrieben, als könnte ich jeden Moment abkratzen.« Vielleicht sei es sein letztes Album, man könne ja nie wissen.

Dass Kontra das Mic freiwillig an den Nagel hängt, scheint unwahrscheinlich, auch wenn er auf »Jetzt erst recht« aufgekratzt feststellt: »Ich bin immer unter Stress, nebenbei der Scheißrap.« Sein unbändiger, stets offensiv präsentierter Tatendrang, der damit einhergehende Workaholic-Lifestyle und der daraus resultierende Schlafmangel haben ihre Spuren hinterlassen. Er fahre ­mittlerweile schneller aus der Haut, gibt er zu. Jeden zweiten Abend frage er sich mittlerweile, ob diese Mehrfach­belastung tatsächlich noch Sinn macht. Sollte ­»Labyrinth« die Erwartungen erfüllen, könnte sich diese Frage erübrigen. Dass der Musiker Kontra die Zeit am Seil und im Ring als Inspirationsquelle benötigt, ist kaum zu leugnen. Fest steht: Einige Reime auf das Leben darf man von Kontra K somit getrost noch erwarten. ◘

Foto: Tim Bruening

Dieses Feature erschien in JUICE #174 – hier versandkostenfrei nachbestellen.
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