Kings Of HipHop: Kendrick Lamar // Feature

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Kendrick Lamar by Katharina_Poblotzki
Foto: Katharina_Poblotzki

Er ist der erste seiner Generation, bei dem die Debatte angebracht ist: Gehört Kendrick Lamar schon in die Riege der GOATs; der größten Rapper aller Zeiten? Sein viertes Album »DAMN.« ist ein weiteres Argument dafür und behauptet Lamars Rang als komplettester MC der Dekade. Straight outta Compton zum globalen Superstar, wäre er fast gebrochen an seiner Vorbildfunktion – doch er verwandelte sein Schicksal in Klassikeralben.­­ Ein Plädoyer für King Kendrick.

Das Fonda Theatre am Hollywood Boulevard. Ein Hood-Sommermärchen. Kendricks Homecoming neigt sich dem Ende zu, als plötzlich Snoop Dogg die Bühne entert und zur Laudatio ansetzt: »You ain’t good at what you do, you’re great. You got the torch, nigga! You better rock with it.« Gangzeichen fliegen durch die Luft. Kendrick-Sprechchöre ertönen. Ein Dutzend OGs erdrücken den kleinen Thronfolger im Group Hug, The Game flüstert ihm noch was ins Ohr, dann bricht Kendrick Lamar Duckworth, von Ehre überwältigt, in Tränen aus. Das Publikum reckt drei Finger in die Höhe: »The sky is falling, the wind is calling/Stand for something or die in the morning.« In dieser Nacht im August 2011 kürt die Westküste ihren neuen Anführer.

Hollywoodreifer wurde noch keine Machtübergabe gefeiert. Die Mentoren Dr. Dre und Kurupt gratulierten, Big Sean salutierte, die Black-Hippy-Brudis strahlten andächtig. Und plötzlich standen da Mos Def und Talib Kweli auf der Bühne – als hätten auch die Conscious-Götter ihre Wahlmänner geschickt. Der Auserwählte in Gestalt eines 1,65 Meter großen Komplettpakets. Eine neue Hoffnung für Rap. Lamars Quasi-Debütalbum »Section.80« setzte zwar wenige Wochen zuvor nur ein paar tausend Einheiten ab, doch so einig waren sich Kritiker und Industrie, Radiostationen und Echthalter selten: Der Knirps wird ein Riese. »Nothing less than HiiiPower!«

Die Westküste stand im Sommer 2011 am Scheideweg. Das hochgejazzte »New West«-Movement um Pac Div, Dom Kennedy und Blu versickerte im Untergrund, der Hyphy-Hype in der Bay Area war zum Lokalphänomen zurückgeschrumpft. Der Odd-Future-Aufstand und Lil Bs Based-Bewegung fand im Browser statt – und an »Detox« glaubten nur noch Esoteriker. Noch dazu war Nate Dogg gerade viel zu früh verstorben. Eine G-Funk-Renaissance schien in etwa so realistisch wie die Präsidentschaft von Donald J. Trump. Dieses Machtvakuum nutzte Anthony »Top Dawg« Tiffith mit einem Gespür für neue Medien, Quality Control und Kendricks Genius und baute mit Top Dawg Entertainment ein Indie-Imperium auf. Im Joint Venture mit den Visions-Milliardären Jimmy Iovine und Dr. Dre passte man das perfekte Timing für Kendricks Majordebüt und globalen Durchbruch ab. Aber beginnen wir ganz von vorne.

TRAINING DAY

Der stotternde Teenager, dessen frühmusikalische Erziehung aus Eazy-E und »Nuthin’ but a ‚G‘ Thang« bestand, träumt zunächst von einer Basketballerkarriere. Kendrick ist talentiert und flink, aber selbst auf der Point-Guard-Position zu klein für die NBA. Wie aus dem winzigen Baller ein MC wird, ist eine der meistzitierten Anekdoten der neueren Rap-Geschichte: Im November 1995 drehte 2Pac das Video zum »California Love Remix«. In dem Sequel erwacht Pac aus dem »Mad Max«-Alptraum, kauft sich glücklich und schmeißt eine Pool­party mit Dr. Dre, Roger Troutman und DJ Quik in Beverly Hills. Die Shopping-Szene entstand in einer Mall in Compton. Der achtjährige Lamar beobachtete den Dreh auf den Schultern von Papa Kenny. Tupac Amaru Shakur unterhielt das Publikum, spielte den Superstar, schwang revolutionäre Reden und blickte Kendrick dabei vielleicht sogar in die Augen.

In der siebten Klasse erschließt seine Englischlehrerin Mrs. Inge ihm die Welt zur Poesie, zu Metaphern, Reimen, Alliterationen. In der Drei-Bett-Zimmer-Bude in der 37. Straße zwischen Crenshaw und dem Natur­historischen Museum entsteht eine unendliche, fantastische Spielwiese. Bei Papa im Auto läuft »Doggystyle«, »Chronic«, N.W.A, die P-Funk-Originale Funkadelic und Parliament. Als Mitglied der Gangster Disciples zog Kenny Duckworth ­Mitte der Achtziger mit 500 Dollar in der Tasche für ein besseres Leben von der Chicagoer Southside nach Compton. Seine Frau Paula Oliver stellte das Gangmitglied vor die Wahl: Kalifornien oder Scheidung?

Kendrick Lamar wird als erstes von sechs Geschwistern 1987 geboren, auf dem Höhepunkt der Crack-Epidemie. Der Familie geht es kaum besser als in Chicago, sie lebt von Lebensmittelmarken und der Wohlfahrt, der Kleine für »Cartoons & Cereals«. Auf der Centennial High School, die auch Dr. Dre besuchte, und deren ethnische Zusammensetzung (64 % Latinos, 33 % Afroamerikaner) in etwa der des Bezirks entspricht, ist Kendrick ein glatter Einser­schüler und so schüchtern, dass er sein Wissen versteckt. Gutes Kind, bürgerkriegs­ähnliche Zustände. Eine seiner frühesten Erinnerungen ist eine Plünderung bei den L.A. Riots, die im April 1992 ausbrachen, nachdem vier Polizisten trotz der Misshandlung des Afroamerikaners Rodney King freigesprochen wurden: Die Familie packt alles ein, was sie tragen kann. South Central steht in Flammen.

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