Kings of HipHop: Jay-Z // Features

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Waiting To Excel

Jay-Z hat HipHop auf seinem ganzen Weg begleitet, mehr Nummer-eins-Alben veröffentlicht als Elvis Presley und die ewige Suche nach dem GOAT ein für alle mal beendet. Größer, und darin sind sich ausnahmsweise alle einig, geht nicht. Es ist der Jordan des Rap, der JFK der Straße, der schwarze Steve Jobs – wenn einem keine besseren Vergleiche einfallen, dann liegt das einzig und allein daran, dass er sie alle selbst schon gemacht hat. Seit 20 Jahren redet Shawn Carter nun über sich selbst. Zu greifen bekommen hat die Welt ihn trotzdem nicht. Eine Näherung.

Vor einiger Zeit erschien im Internet ein Mitschnitt einer Radiosendung von Stretch Armstrong und Bobbito aus dem Jahr 1995. Die beiden New Yorker hatten mit ihrer Show auf dem Unisender WKCR fast die gesamten neunziger Jahre über definiert, wie Rap aus ihrer Heimatstadt – und damit ganz allgemein: Rap – zu klingen habe: hart aber herzlich, wie der Stahl der Queensboro Bridge. Woche für Woche, Donnerstagnacht von eins bis fünf, fand sich im Studio auf dem Campus der Columbia University die Hautevolee der Szene im Studio zum Freestyle ein: Biggie, Nas, Big Pun, aber auch längst vergessene Lokalhelden wie Kurious Jorge, Prince Po oder Supernatural. Dazu gab es rare 12”s, in letzter Sekunde geschnittene Acetate aus Sugar Minotts Dubplate-Studio in Brooklyn und die neuesten Testpressungen aus den damals noch essenziellen Promo-Verteilern der Majors. In jener Februarnacht gab es außerdem: Big L und Jay-Z. Big L war zuerst dran. Er killte, wie üblich, mit seinem streitlustigen, smarten Straßenköter-Flow und Zeilen wie »I got the looks that make your hottie stare/I keep a shotty near/It’s the nigga with knotty hair who Gotti fear«. Als er fertig war, übergab er zufrieden an den Kollegen aus Brooklyn. »Back to my man Jay-Z.«

»My man Jay-Z«: Man muss heute ein bisschen schmunzeln über diesen Anflug von kollegialem Großmut. 1995 aber hatte diese Anrede jede Berechtigung. Big L war der King, Jay-Z der Kumpel von Jaz-O im Hawaiihemd, der jetzt auch einen Joint draußen hatte. Entsprechend motiviert war Jay, als er endlich ans Mic durfte. Er verglich sich mit Zorro und Jesse Owens, streute Comic-Onomatopöie ein und wollte – »boo boo boo bam« – ganz allgemein mehr Opponenten zur Strecke bringen als jemals ein Rapper vor ihm auf 80 Bars. Wer in jener Nacht zuhörte, sah ihn förmlich vor sich, wie er vor der Brust mit den Händen ruderte, todernsten Blickes, auf ein Zeichen der Anerkennung wartend. Er gab alles, mehr noch, preschte nach vorne, überholte sich immer wieder selbst, bis er zum Ende seiner Darbietung kaum noch Verständliches stotterte – das aber immerhin in so etwas wie Doubletime. Es war fast ein bisschen süß.

Als der Freestyle im Netz auftauchte, sagte Bobbito in einem Interview, er habe diese Nacht gar nicht in besonderer Erinnerung. Es gebe Sessions, etwa mit einem 16-jährigen Nas, da könne er jedes Detail bis hin zum Outfit seines Partners noch heute haargenau rekonstruieren. Jene mit L und Jay dagegen sei letztlich nur eine unter vielen gewesen. Lehrreich sind diese 21,56 Megabytes jedoch allemal. Schließlich zeigen sie, dass der God MC seine Karriere auf sehr irdische Weise auf den Weg brachte. Die traumwandlerische ­Sicherheit, mit der Hova seine Reime heute auf den Beat haucht, fehlt in dieser Aufnahme trotz allen Talents noch komplett. Er arbeitet auf diesen sieben Minuten. Er ist nicht Er, er ist er selbst. Man könnte auch sagen: Im Februar 1995 war Jay-Z ein ganz normaler Rapper.

Im Februar 2012 ist Jay-Z alles andere als ein normaler Rapper. Er ist der Größte, den dieses Spiel je gesehen hat.

Da Real World

Shawn Carter hat im HipHop alles erreicht, was man erreichen kann, und noch viel mehr als das. Er war auf dem Cover von gefühlt allen Magazinen, darunter »Forbes«, »Esquire« und »Vanity Fair«. Er hat gut 50 Millionen Alben verkauft und als mittelständischer Unternehmer Milliarden verdient. Er hat auf persönliche Einladung von Barack Obama gerappt und auf persönliche Ausladung von Noel Gallagher, eine NBA-Mannschaft gekauft sowie ein paar wirklich gut sitzende Anzüge, die er mittlerweile, und das ist die ­eigentliche Sensation, einfach so tragen kann, ohne dabei wie ein neureicher Schnösel mit Schauzigarre rüberzukommen. Er ist verheiratet mit Beyoncé, BFF mit Gwyneth Paltrow, per du mit Bill Clinton und überhaupt ganz unbestritten der Frank Sinatra seiner Generation. Alles in allem nicht schlecht für einen ehemaligen Drogendealer aus den Marcy Houses in Brooklyn.

Im HipHop, wo Veränderung meist der Teufel ist, glauben manche, Jay-Z hätte sich für dieses neue Leben verkauft. Tatsächlich ist nicht viel übrig geblieben von dem, was den jungen Shawn Carter einst auf die Rap-Landkarte brachte: Der »reasonable doubt«, der berechtigte Zweifel über die Implikationen des Kleinkriminellendaseins, ist einem unverfrorenen Chefnarrativ gewichen, einem niemals enden wollenden Loblied auf sein Haus und Boot, seine Frau (selbstredend: »the hottest chick in the game«) und seine Privatinsel in irgendeinem Ozean, von dem man noch nie gehört hat. In kurz: Der rappt halt über sein Leben. Und wenn er dann zur Abwechslung mal den Pro-Black-Aktivisten raushängen lässt wie kürzlich etwas überraschend auf »Watch The Throne« oder gar echte Gefühle zulässt wie nach der Geburt seiner Tochter Blue Ivy, macht ihn das nur noch glaubwürdiger. Eher schwer kann man sich dagegen vorstellen, wie 50 Cent mit umgeschnallter Beretta in Atlanta zum Aktionärstermin bei Coca Cola einläuft oder Pusha T direkt nach seiner Ankunft aus Abu Dhabi ein bisschen Crack aufkocht, während er auf dem BlackBerry Feature-Anfragen abarbeitet. Man könnte also auch sagen: Jay-Z ist als einer der wenigen Superstars im HipHop real geblieben. Und dazu muss er sich noch nicht mal wie T.I. alle naslang einbuchten lassen. Er muss einfach nur mit seiner wirklich sehr schönen Ehefrau in einem vermutlich ebenfalls sehr schönen New Yorker Luxusapartment wohnen und ab und an Geschichte schreiben.

Es gibt diese Meinung über Jay-Z: dass er ­überschätzt sei, weil er letztlich nur ein, maximal zwei Klassikeralben im Katalog habe und das bei insgesamt 15 Versuchen nun wahrlich kein besonders vertrauenerweckender Schnitt sei. A one hot album every fifteen years average, sozusagen. Und das wäre tatsächlich: laaaaame. So weit, so gut. Leider unterschlägt diese Theorie jedoch mindestens das monströse »The Black Album«, auf dem sogar die Interludes kleine Klassiker sind. Und vor allem unterschlägt sie die Tatsache, dass diese Kategorie bei Jay-Z überhaupt nicht greift. Das Thema hat er direkt mit seinem Debüt abgehakt: »Reasonable Doubt« ist alles, was man sich von einem Klassiker, dieser heiligen Kuh aller Kritiker, wünschen könnte: pur, persönlich, Premo, prägend für eine ganze Ära. Danach wollte er etwas Neues machen.

Die späten Neunziger waren die Zeit, in denen HipHop weltweit zum Massenphänomen, Rapper endgültig zu Superhelden wurden. Jay-Z ist, auch wenn er seine ersten Beats und Reime bereits Ende der Siebziger aufsog und große Teile der Achtziger cyphernd am Straßeneck verbrachte, vor allem ein Kind dieser Ära. Er ist ein Meister im Spiel mit der Medienklaviatur, gesegnet mit einem todsicheren Gespür für Erwartungen und Wahrnehmungen und dem minutiösen Timing jener Topsportler, die er so bewundert. So ist aus dem autodidaktischen Radikalkapitalisten über die Jahre ein Genie der Gesten geworden, der die Doppelrolle als HipHops Messias und Deus ex machina mit einer fast beängstigenden Lässigkeit ausfüllt. Wann immer dem Genre mal wieder Symptome des nahenden Ablebens angedichtet werden, ist er zur Stelle, um die Gemeinde zurechtzuweisen – und im Gegensatz zu anderen Gurus und Ex-Gurus wie KRS-One oder Chuck D auch gleich noch die passende Musik mitzuliefern. Ein Release-Date ist für ihn längst kein Liefertermin mehr, sondern die beste Gelegenheit für ein Wort zum (verkaufsoffenen) Sonntag. Genauso geht er seine Alben an. Ist »Blueprint 3« ein Meisterwerk, kohärent, durchdacht und fesselnd von der ersten bis zur letzten Sekunde? Sicher nicht. Aber es war ein Statement, und weil es von Jay-Z kam, wurde es auch gehört.

 

Change The Game

Es heißt, Jay-Z-Texte funktionierten stets auf drei Ebenen. An der Oberfläche für Otto Normalverbraucher. Zwischen den Zeilen für Rap-Nerds wie dich und mich. Und in ihrem Innersten für seine engsten Freunde und Vertrauten, die alleine in der Lage seien, all die eingebauten Insiderwitze und Referenzen vollständig zu durchschauen. In Wahrheit gibt es noch eine vierte Ebene: die Ebene des Warum und Warum-gerade-jetzt. »D.O.A. (Death Of Auto-Tune)« vom »BP3«-Album zum Beispiel war nicht nur ein dickes Rap-Ding, sondern die definitive Durchsage zur Lage der Nation. Thema, Texte, Tonart und der Farbfilter im Video ergeben hier eine im wahrsten Sinne beindruckende Einheit: Wer kein Englisch kann oder gar nicht weiß, was Auto-Tune ist (wie vermutlich eine überwältigende Mehrheit von Jay-Zs Kundschaft), der hört die Botschaft auch in der bewusst übersteuerten Bassline.

Ein Song ist auch im HipHop mehr als eine Einheit aus Beat und Text, und im HipHop hat das kaum jemand so gut verstanden wie Jay-Z. Alleine »Run This Town«: Bei oberflächlicher Betrachtung nicht mehr als die Pflichtaufgabe fürs Radio, das glatte Gegenstück zu »D.O.A.« in der Simpel-Dichotomie aus »Street-« und »richtiger« Single. In Wirklichkeit der größte Posse-Track der letzten Jahre, bei dem sich die hauseigenen Weltstars Kanye West und Rihanna in einer meisterhaft herbeigemixten Mad-Max-Endschlacht-Atmo zum Fackellauf ­trafen. Warte, bis die Sonne untergeht. We gon’ make this bitch light up. Ganz nebenbei übrigens war auf dem Album noch ein gigantischer Single-Hit, die einzige gültige Währung des iTunes-Zeitalters. »Empire State Of Mind« ist laut »Time Out« der beste Song, der je über New York geschrieben wurde, und es wurden weiß Gott viele Songs über New York geschrieben. Über Wochen hinweg sprach niemand über etwas anderes, Funkmaster Flex nicht und deine kleine Schwester auch nicht. Jetzt mal ehrlich: Wen interessiert da, dass sich an das Lied »Reminder« tatsächlich keiner mehr erinnern kann?

Jay-Z-Alben sind selten Klassiker, aber fast immer mehr als das: Meta-Klassiker, mit ihren eigenen kommunikativen Regeln und einer wohl­durchdachten dramaturgischen Dynamik. Was die Bürohengste der Musikindustrie üblicherweise als Kampagne bezeichnen, war für den Vollblütler Shawn Carter stets integraler Bestandteil der Kunst selbst. Zumindest ab 1998: Damals brachte »Vol. 2… Hard Knock Life« nicht nur den gleichnamigen Radioschlager mit dem Musical-Sample, sondern auch den kommerziellen Größenwahn jener Ära auf den Punkt. Im selben Sinne war »The Dynasty« der demonstrative Startschuss für Roc-A-Fella als Crew, »The Blueprint« die Rückkehr zu den Wurzeln, »Unplugged« der symbolische Schulterschluss mit dem Underground, »Watch The Throne« der erste echte digitale Blockbuster des Internetzeitalters. Und so weiter und so fort. Nach erfüllter Mission wendete sich Jay-Z meist neuen Aufgaben zu. Keine Zeit für Nostalgie, on to the next one.

Parallel entwickelte die Konkurrenz über die Jahre eine erstaunliche Geschwindigkeit im Aufgreifen von Jay-Z-Trends. Am Dienstag trug Jigga ein Jersey, am Mittwoch trugen alle ein Jersey. Am Donnerstag trug Hova ein Hemd, am Freitag trugen alle ein Hemd. Und wenn er sich mit seinen Partnern Damon Dash und Kareem »Biggs« Burke übers Wochenende eine neue Geschäftsidee auskasperte, dann saßen spätestens am Montag alle mit rauchenden Köpfen am Konferenztisch, um die Geheimpläne des vermeintlichen Midas-Trios passgenau zu kopieren. Tatsächlich prägt die unternehmerische Angriffslust jener Zeit die Industrie und ihre Regeln bis heute. Als Jay und Dame einst begannen, mit Rocawear die großen Kaufhausketten zu erobern, fand sich bald kein Provinzrapper mehr, der nach den ersten paar Bars nicht umgehend von der kurz bevorstehenden Übernahme der Textilindustrie fabulierte. Heute, da Jay-Z längst das Interesse an dick bedruckten Trainingsjacken verloren hat und seine Gewinnbeteiligungen lediglich noch als stiller Teilhaber einschiebt, ist der Traum von »my own clothing line« weitestgehend ausgeträumt: Rapper gingen mittlerweile eher mit einer Vergangenheit als Nacktputzer hausieren als mit ihrer Klamottenmarke. Auf Profi-Ebene aber existiert das Geschäftsmodell weiter und ist nach wie vor höchst lukrativ. Gleiches gilt für »my own label«. Als Jay um die Jahrtausendwende seinen Status als Entertainer und Entrepreneur endgültig gefestigt hatte, nutzte er die Aufmerksamkeit, um seine leitenden Angestellten Beanie Sigel und Memphis Bleek mit einer Quasi-Compilation beim Massenpublikum einzuführen. Das Modell Roc-A-Fella ist bis heute die beliebteste Roll-out-Strategie für Rapper-geführte Plattenfirmen von Optik bis MMG – und das, obwohl sie eigentlich so gut wie nie aufgeht. Wenig überraschend: Seit Jay-Z mit dem Live-Entertainment-Giganten Live Nation gemeinsame Sache macht, schielen auch solche Patienten auf den internationalen Konzertmarkt, die einen Promoter aus Übersee früher nicht mit dem Arsch angeschaut hätten. Willkommen in der Mehrzweckhalle Paradise.

Channel: Live

Rap-Konzerte sind im Grunde Oxymora: Zwei bis viel zu viele Leute versuchen unter widrigen Bedingungen eine Studioaufnahme möglichst akkurat zu reproduzieren, was freilich schon im Ansatz zum Scheitern verurteilt ist. Wenn es gut läuft, antworten auf »Hip« immerhin genügend Leute ausreichend überzeugt mit »Haaap«, so dass sich niemand schämen muss. Manchmal wird noch gefreestylet. Was aber, wenn Rakim oder Nas nicht freestylen können, nicht freestylen wollen, weil sie Poeten sind, keine Alleinunterhalter? Jay-Z, der auf der Bühne lange selbst eine lausige Figur abgab, hat seine Lehren aus diesem ewig schmerzhaften Dilemma gezogen. Er wollte Shows spielen, nicht nur vor Publikum rappen. Aber anstatt einfach ohne erkennbaren Kontext eine »Live-Band« anzuheuern, wie so viele von Sinnkrisen geplagte Rapper seines Alters, machte er sich an eine konsequente Neudefinition des Berufsbildes: Er begann, Musik für die Bühne zu schreiben.

Diese Entwicklung begann mit dem »Black Album«, das ursprünglich ein Schlussstrich sein sollte und so klangheimlich zum wichtigsten Neuanfang seiner Karriere wurde. Die Fanfaren von Just Blaze, der Fankurven-Chor auf »Encore«, die Gitarren auf »99 Problems« – das alles klingt nicht nur wie gemacht für die Stadionsituation, sondern ist es tatsächlich. Die Intros und Drops auf Nummern wie »PSA« oder »Dirt Off Your Shoulders« haben fast Großrave-Qualität. Vor allem aber führte Jay-Z auf dieser Platte zur vorläufigen Vollendung, was er immer schon besser drauf hatte als jeder andere Rapper vor oder nach ihm: die Kunst der Zwischenhook, jener Zeilen also, bei denen er nur das Mikro weghalten muss und das Publikum automatisch den Rest erledigt. »It’s. About. To go. Down.« »One million, two million, three million, four.« »Ah-huh.« »The Black Album« ist voll von diesen Dingern (und über die Jahre entsprechend erschöpfend gesamplet worden). Dabei galt es Kritikern, als es erschien, als leise Enttäuschung, als reichlich zerfahrene Angelegenheit und tendenziell unterambitioniert in Anbetracht der historischen Tragweite. Heute spielt Jay-Z von keinem Album so viele Stücke wie von diesem.

Das dazugehörige Abschiedskonzert im ausverkauften Madison Square Garden war entsprechend epochal. Diddy nannte es einmal »the greatest night in hip hop«. Und wenn einer etwas von Inszenierung und Superlativen versteht, dann der alte Unternehmerfuchs aus Mount Vernon. Eine wahrhaft geschichtsträchtige Show hatte Jay-Z schon zwei Jahre zuvor geliefert. Beim Hot 97 Summer Jam zeigte er unter anderem kompromittierendes Bildmaterial von Prodigy beim Balletttanz und holte als Überraschungsgast einen gewissen Michael Jackson auf die Bühne. Diesmal setzte er noch einen drauf. Er lud sie alle ein – Mary J. Blige in Hochform, Foxy Brown im Pelzmantel – und schaffte dennoch, dass es in keiner Sekunde um etwas anderes ging als um ihn selbst. Mehr noch als all die Duettpartner und die Würde, mit der Jay den potenziell hochnotpeinlichen Moment heimschaukelte, erstaunte aber etwas ganz Banales: seine Performance selbst. In Anbetracht der nahenden Altersteilzeit schien alle Anstrengung aus dem manchmal etwas steifen Distanzmenschen Shawn Carter gewichen. Er rappte gelöst, mit entwaffnendem Charme, großer Geste und noch größerer Selbstverständlichkeit, so als hätte man diesen kolossalen Betonzylinder einzig und alleine seinetwegen zwischen die Wolkenkratzer von Midtown Manhattan gezwängt. In dieser magischen Nacht begann die Transforma­tion Jay-Zs. »Für uns und unser ganzes Denken war das ein echter Wendepunkt«, gestand einmal Jays rechte Hand im Studio, Young Guru. »Mit ‘Vol. 2’ wurde er damals zum Superstar in der HipHop-Welt. Seit ‘The Black Album’ ist er ein Superstar auf der ganzen Welt.«

Heute ist Jay-Z in seinem Modus Operandi endgültig mehr Rockband als Rapper. Er denkt in Alben, Tourneen, Merchandise, nicht in Mixtapes und MediaFire. Während andere noch immer die halbe Nachbarschaft mit auf Reisen nehmen und Verspätungen als Statussymbole kultivieren, beschäftigt er einen umfangreichen Stab an Vollprofis und nimmt Soundchecks mindestens so ernst wie Paychecks. Was ohnehin aufs Gleiche hinausläuft: Mit CDs und Cloud-Diensten verdient keiner mehr Geld, auch nicht Jay-Z, da sind halt die Maßstäbe andere. Warum also nicht das gemeine Geheul über gemeine 360°-Deals zum eigenen 360°-Business ausbauen? Konsequent wendet Jay-Z das, was er in der alten Musikindustrie gelernt hat, auf die neue Marktrealität an. Seinen Shows im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit weiß er stets den Ruch des Historischen anzuhängen, ob im Garden, in Glastonbury, im Yankee Stadium oder bei »South By«, wie die New Yorker Musikmenschen ihre jährliche Klassenfahrt zum SXSW-Festival nach Austin, Texas nennen. Und dazwischen spielt er unermüdlich in den Multi­funktionsarenen Europas, Australiens, Asiens, Afrikas. Das zahlende Publikum dankt es ihm mit einer Nibelungentreue, wie sie sonst nur Altrocker der Kategorie Bruce Springsteen genießen. Wenn Wu-Tang die Grateful Dead des Rap sind, ist Jay-Z eine Mischung aus Coldplay, Radiohead und U2. Weltklasse-Unterhaltung für die ganze Familie, den 19-jährigen Hipstersohn ganz ausdrücklich eingeschlossen. Das kann man fad finden und sich fragen, wo der Rock im Star geblieben ist. Aber sind die, die über Chris Martin lästern, nicht eigentlich nur neidisch und mit sich selbst im Unreinen? Und ist die große Frage nicht ohnehin, wie oft sich jemand bei Spotify einen Song anhören muss, damit sich das auch lohnt? Die Antwort jedenfalls lautet: U2 können an einem Abend locker fünf Millionen Dollar alleine mit Ticketverkäufen umsetzen, Merchandise nicht eingerechnet. Um da nachzurechnen, braucht man noch nicht mal den Geschäftssinn eines ehemaligen Street-Hustlers aus Bed-Stuy, Brooklyn.

Man weiß ja nicht, was man erstaunlicher finden soll: wie riesenbabyhaft jung der Typ mit seinen 42 Jahren noch immer aussieht, oder wie er es schafft, mit der Jugend der Jetztzeit Schritt zu halten, ohne sich dabei auch nur im Ansatz zum Affen zu machen. Bei »Watch The Throne« gab es eine mysteriöse Facebook-Kampagne, eine exklusive Vorabveröffentlichung bei iTunes und einen Twitter-Tumult der ersten Güteklasse – ausgelöst wohlgemerkt von einem Industrie-Veteranen, der schon Präsident von Def Jam war, als das noch etwas bedeutete. So, und jetzt stellen wir uns mal alle gemeinsam vor, wie sich das angefühlt hat, als Papa zum ersten Mal am Mittagstisch »geil« gesagt hat… Eben. Der Mann ist anders als wir Normaltrottel. Selbst die Rückkehr aus dem zwischenzeitlichen Rap-Ruhestand, dieser eher unseligen Episode einer ansonsten weitgehend makellosen Musterkarriere, gestaltete sich noch vergleichsweise ruhmreich. Das Album war nicht das beste, weiß er selber, sagt er selber. Aber das mit dem MC-Hammer-Ding war ein echter Coup, und auch sonst gab es durchaus ein paar anständige Nummern auf »Kingdom Come«, wie auf allen vermeintlich schwächeren Jay-Z-Alben. »You Must Love Me«, »Snoopy Track«, »Poppin’ Tags«, »Ignorant Shit«, »Beach Chair« – anderen winkte man solche Sachen ungeniert als Opera magna durch.

Der Skifahrer Markus Wasmeier hat einmal über den Skigott Alberto Tomba gesagt: Der säuft, raucht, hat Weiber und gewinnt – wir fressen Müsli und verlieren. Über den Rapgott ließe sich in leichter Abwandlung dieses bajuwarischen Bonmots sagen: Der trägt Damensandalen, macht Lieder mit Panjabi MC und gewinnt – und alle anderen sparen sich ihr Kraftfutter schon längst, weil sie die Extraklasse des Seriensiegers zwar nicht neidlos, aber dennoch einvernehmlich anerkennen. Wieso ist das so? Wieso erinnern wir uns nicht an seine Zeit als leicht suspekter Kommerzvogel, der plötzlich immer auch den einen oder anderen Ekelsong im Programm hatte? Mal ehrlich: In Deutschland rangierte Jay-Z 1997 im Ansehen knapp über Pappa Bear, und auch daheim in Brooklyn wäre niemand auf die Idee gekommen, ihn in einem Atemzug mit etwa Biggie zu nennen. Heute ist alles andere als bedingungslose Bewunderung irgendwie Majestätsbeleidung, zumindest aber wahnsinnig kindisch. Wieso ist das so? Wieso lieben wir »U Don’t Know« immer noch und blenden »Ghetto Techno« einfach aus? Wieso wünschen wir uns aus tiefstem Herzen, dass »Watch The Throne 2« gut wird, und sagen dem David in uns, dass er sich seine Goliath-Fantasien bitteschön sonst wo hinschieben soll? Weil insgeheim jeder Typ ab 25 gerne wie Jay-Z wäre: gelassen, aber nicht gesetzt, immun gegen alle Peinlichkeiten der Generation Berufsjugend und auf eine sehr erhabene Weise erfolgreich? Oder weil wir uns in Zeiten der Hyperindividualisierung schlicht nach einem bisschen Konsens sehnen, einem klitzekleinen Stück von diesem großen Beatles-Gefühl, doch irgendwie einer Generation anzugehören, die sich ihr Zusammengehörigkeitsgefühl nicht täglich aufs Neue zusammenbloggen muss?

 

City Is Mine

Vielleicht muss man, um das alles zu verstehen, zurückgehen ins Jahr 2001. Ein Star war Jay-Z längst, hatte Millionen von Platten verkauft, mit »Hard Knock Life« eine der größten HipHop-Touren aller Zeiten absolviert und sich nebenbei eine ansehnliche Zweitexistenz als Kaufmann aufgebaut. In ihrem Herzen aber berührte Young H-O die Menschen erst mit seinem sechsten Solo­album »The Blueprint«, entstanden in ein paar magischen Tagen in den Baseline Studios, wo der musikalische Arm der Roc-A-Fella-Clique rund um die Uhr an Beats und Texten feilte, bis sie was taugten. Damon Dash hatte damals die »Keep It Real Wednesdays« eingeführt: Alle Beteiligten mussten sich ihre ehrliche Meinung direkt ins Gesicht sagen; untaugliche Song-Skizzen wanderten massenhaft in den Papierkorb, gleichzeitig bekamen unbekannte Produzenten den Vorzug vor arrivierten Hitmakern, wenn sie besseres Material anlieferten, denn Beats gab es für die Rapper grundsätzlich nur auf unbeschrifteten CDs. Aus dieser Geisteshaltung heraus entstand »The Blueprint«. Weil Jay und Guru alles weg­strichen, was keiner brauchte – die schlechten Ideen, das schlechte Artwork, die schlechte Laune – und einfach »good music« machten. Das Resultat waren eine beispiellose Reihe an ewigen Lieblingsliedern sowie ein völlig neues Soundbild, das sich am besten wohl als »brand new retro« beschrieben ließe. Just als alle ihren Triton ritten, holte Hovi den Soul von Al Green und David Ruffin aus der Versenkung: ein Puristen­-Album zum Mitsingen, Hardcore für Mädchen. Das alles offenbarte sich der Welt am 11. September, jenem Tag also, als New York nicht nur die Türme verlor, sondern auch die Illusion der Unantastbarkeit. Ohne es zu wollen, gab Shawn Carter seiner Stadt das Gefühl der Geborgenheit, als sie es zum ersten Mal wirklich brauchte. Der schwelende Streit mit Nas und die damit einhergehenden Grundsatzfragen erübrigten sich darunter, trotz nicht allzu klarer Faktenlage, von alleine. Jay-Z war der Bürgermeister der Herzen, Nas ein talentierter Rapper mit Image- und Beat-Problem. Es ist eine feine Randnotiz dieser heillos überzogenen Erfolgsgeschichte: Oft hatte Jay-Z auch einfach wahnsinnig viel Glück, selbst im größten anzunehmenden Unglück.

Ein Kritiker hat einmal über George Clooney geschrieben, er verfüge über die seltene Fähigkeit, gute von schlechten Filmprojekten zu unterscheiden und sich stets nur den Allerbesten anzuschließen. Jay-Z hat diese Art von Selektions-Snobismus perfektioniert. Er hängt mit den Coolen. Und wenn er ganz selten doch mal so etwas wie Verpflichtung aus Freundschaft verspürt, dann findet er Lösungen, bevor jemand ein Problem ausmachen kann: Einen Album-Song seines alten Kumpels Memphis Bleek (»Dear Summer«) bestritt er einmal zur Sicherheit ganz alleine. Die Füße stillhalten jedenfalls ist seine Sache nicht. Selbst in den Monaten seines zwischenzeitlichen Ruhestands von 2005/2006 lieferte er in schöner Regelmäßigkeit Features und Freestyles, als herrlich gelassener Frühstücksdirektor des Rap. Nur verschleudert er seine Marke eben nicht ohne Not an jeden, der jemanden kennt, der jemanden kennt, der ein bisschen Kleingeld über hat. 2011 featurete er lediglich bei Rihanna, Young Jeezy und J. Cole. Alle Projekte gingen zumindest Gold. Mehr noch als ein Instinkt-Rapper ist Jay-Z ein Gelegenheitsjäger, hochsensibel für die seismischen Bewegungen im Markt. Er ist ein Meister darin, im richtigen Blitzlichtmoment neben LeBron James oder Barack Obama zu stehen. Und ebenso ist er ein Meister darin, sich von alten Weggefährten nicht mit in den Abwärtsstrudel ziehen zu lassen. Man mag das kalt nennen oder opportunistisch – Jaz-O und viele andere haben genau das getan. Vor allem aber ist es wahnsinnig geschickt. Das nämlich ist der wahre Wert der Clooney-Analogie: Jay ist nicht immer genial auf seinen Gastversen, manchmal ist er einfach nur Jay-Z. Aber er täte einen Teufel, ein Movement von nennenswerter Bedeutung ohne seine Teilhabe verstreichen zu lassen. Drake, Maybach Music, Lex Luger, früher Dipset, Dirty South, Bad Boy und Ruff Ryders, aber auch Jay Electronica, Lupe Fiasco, Mos Def, 9th Wonder, M.I.A. oder Mavado – Jay-Z war zum entscheidenden Zeitpunkt dabei.

So wie er bei Sades Comeback dabei war, bei Amy Winehouses öffentlich zelebriertem Seelenstrip, bei Coldplays Siegeszug durch Amerika oder der »Carter«-Saga, die Lil Waynes Transformation vom unterschätzten Spitter zum Superstar einleitete. Und es war mitnichten immer nur der große Jiggaman, der gnädig etwas von seinem Glanz abstrahlen ließ. Jay-Z hat von allen diesen Assoziationen genauso profitiert wie seine Gegenüber. Als gewiefter Early Adopter hat er sein sorgsam austariertes Biosystem des Zeitgeists bis zum heutigen Tag aufrechterhalten und als Mittvierziger sogar noch ausgebaut: Cool ist da, wo Jay-Z ist. Weil Jay-Z da ist, wo es gerade cool ist.

Who You Wit’

Besonders interessant ist in dieser Hinsicht Jay-Zs Beziehung zu seinem neuen Busenfreund Kanye West. Im August 2011 veröffentlichten die beiden ein gemeinsames Album unter dem Quasi-Bandnamen The Throne, aufgenommen in hermetisch abgeriegelten Hotelzimmern, gerne in Paris, gerne mit anschließender Edelbrotzeit im engeren Familienkreis.

Das Album lebte von einigen außergewöhnlichen Beats (Hit-Boy), einigen bemerkenswerten Zeilen (»I arrived on the day Fred Hampton died«) und einigen unfassbar guten Songs (»No Church In The Wild«). Vor allem aber lebte es von dem unausweichlichen Gefühl, dass hier nicht einfach irgendwelche »Welten« zwangsbeglückt wurden, sondern die zwei tatsächlich Größten ihres Faches tatsächlich zusammenarbeiten. Man wusste im Grunde nicht mal genau, ob das im iTunes jetzt unter Jay-Z & Kanye West oder Kanye West & Jay-Z abzulegen war. Denn auf dem Thron, so schien es, war tatsächlich Platz für zwei. Und zwar genau zwei.

Dabei hat das Bild der vollkommenen Männerfreundschaft durchaus seine Vorgeschichte. Die ließe sich ausführlich nacherzählen, mit Zeitleisten, Textbelegen und ausgedehnten Listen gemeinsamer Aufnahmen. Sie lässt sich aber auch recht knapp zusammenfassen: Jay-Z wollte Kanye West nicht. Vier Beats hatte Kanye West zu »The Blueprint« beigesteuert, darunter die erste Single »I.Z.Z.O.« und den heimlichen Schlüsseltrack »Takeover«, diese gut fünfminütige General­abrechnung mit Nas, Mobb Deep und »all you other niggas who take shots at Jigga«. Zwar brillierten auf jenem Album auch die Beatmaker Bink und Just Blaze sowie natürlich Hova selbst, mit seinen hittigen Hooks und überraschend persönlichen Texten. Aber es war auch Kanyes Verdienst, dass Jigga in jenem geschichtsträchtigen Sommer von 2001 endgültig in den Status einer Ikone aufrückte.

Der wusste das sehr wohl zu schätzen, aber als Rapper wollte er den emsigen Streber mit dem schon damals recht ausgeprägten Selbstbewusstsein trotzdem nicht im Stall haben. Sah er nicht. So gar nicht. Erst als Kanye im Alleingang den Song »Through The Wire« aufnahm, auf eigene Kosten ein Video abdrehte und den Chefs ein fertig geschnürtes Gesamtpaket samt amtlichem Szene-Buzz anbot, gab Jay-Z dem Drängen seiner Partner nach und nahm Kanye West für ein Soloalbum bei Roc-A-Fella Records unter Vertrag. Seine heutige Standardbegründung für die um ein Haar ausgelassene Jahrhundertchance ist der mittelständische Hintergrund des smarten Studis aus Chicago: Kanye und der Rest-Roc, das seien völlig verschiedene Welten gewesen, die er sich beim besten Willen nicht habe zusammendenken können.

Das ist eine schamlose Lüge, zumindest aber eine eitle Scheinentschuldigung von der Mein-größter-Fehler-ist-dass-ich-so-perfektionistisch-bin-Sorte. Die Wahrheit ist: Jay-Z hatte schon damals einen Horizont weit über die Grenzen seiner Projects und ein feines Gespür für die Bedürfnisse von White America. Kanye war ihm keineswegs so fremd, wie er einen glauben lassen möchte, er verkannte sein Potenzial nur einfach auf ganzer Linie. Kanye ist schlau genug, dass er das gefühlt, ja gewusst haben muss. Trotzdem nahm er sein Idol auf seine beiden ersten Alben (wobei sich das Gefallensgefälle beim zweiten bereits deutlich umgekehrt hatte) und widmete ihm auf seinem dritten gar einen ganzen Song: »My big brother who I always tried to be.« Eine mit Verlaub erstaunliche Mischung aus Devotion, Berechnung und echtem Fantum.

Heute, so scheint es, haben sich die beiden Männer angenähert. Man schätzt sich, man versteht sich. Jay-Z tritt in der Carnegie Hall auf, trinkt wochenends Weißwein und urlaubt auf Capri, und auch Kanye West sieht sich lieber auf der Mailänder Modewoche als auf der Magic in Las Vegas. Beide bewegen sich gerne ein kleines Stück links des Mainstreams, haben letztlich aber doch genau diesen im Auge. Beide zeigen zartes Interesse an der Kultur ferner, exotischer Länder (wie zum Beispiel England), sind aber – jeder auf seine Art – zutiefst amerikanisch: Kanye in seiner religiösen Zerrissenheit und seinem protestantischen Selbsthass, Jay-Z als Prototyp des Macher-Unternehmers, der sich entgegen aller Wahrscheinlichkeit ganz nach oben durchgeboxt hat, auf eigene Faust und nach eigenen Regeln. Weit mehr als bloße Fremdlinge sind die beiden mittlerweile Gegenpole, die sich privat anziehen und im Studio ergänzen. Hier der ausgeglichene, besonnene, manchmal verschlossene Veteran, dort der hyperaktive, unnachgiebige, aufbrausende Herrscher der Jetztzeit, vereint in ihrer Liebe zu den schönen Dingen und dem herrlich irrationalen Anspruch, auch mit mehr als 35 kollektiven Karrierejahren auf dem Buckel noch brillante, aufregende, im besten Fall sogar revolutionäre Musik zu machen. Tatsächlich klappt die Kombo Kanye/Jay immer: die melancholischen Bläser auf »Encore«, das lyrische Widerspiel auf »Murder To Excellence«, der blanke Hohn auf »So Appalled«. Dagegen ist ein gemeinsamer Song von Jay-Z und, sagen wir, Beanie Sigel im Jahre 2012 quasi undenkbar. Gar nicht mal, weil sich die beiden so mies verkracht hätten. Sondern weil man sich schlicht nicht vorstellen kann, worüber die so reden sollten.

40 Is The New 20

Jay-Z ist nicht mit seinen Fans gealtert, sondern immer nur mit sich selbst. Erstaunlicherweise hat ihm genau das ermöglicht, auch die Jugend mitzunehmen und nebenbei all die für sich zu gewinnen, die ihn und seinesgleichen früher fürchteten wie der Teufel das Weihwasser: die »Rolling Stone«-Leser, die Torwachen von Rockin’ ­America, die Entscheidungs- und Würdenträger in Politik, Wirtschaft und Hochkultur. Heute sitzt er wie selbstverständlich bei Letterman und in der New York Public Library, und anders als bei den meisten Rappern im Pantheon der Massenkultur hat man nie das ungute Gefühl, dass am Ende doch nur der gewinnen kann, der sich dem weißen Mann und seinen Regeln unterwirft. Er sitzt da, mit Brille und Baggy, als wäre der Schritt von »Murder« zu »Excellence« immer schon der einzig mögliche gewesen: »Power to the people, when you see me, see you.«

Es gibt diese Szene in »Fade To Black«, als Jay-Z seine alte Freundin Mary J. Blige auf die Bühne bittet. Er schlingt seinen Arm um ihre Schulter, drückt sie für ein paar Sekunden fest an sich: ganz Gentleman, aber auch ein bisschen so, als wolle er sich noch einen letzten Moment lang an dieses Leben klammern, das er mehr liebt als alles andere. »Taking out this time to give you a piece of my mind.« Seine Lippen umspielt ein breites Grinsen; er bemüht sich gar nicht erst, es zu überspielen. »One day you’ll be a star.« Er wird es für immer bleiben.

Text: Davide Bortot

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