Kanye West – Mama’s Boyfriend

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Im vergangenen Sommer, ziemlich genau vor einem Jahr, firmierte Kanye Wests Rückkehr zur Bestform noch unter dem Namen »Good Ass Job«. Gerade kleidete er sich und seine Vasallen in teure, schwarze Anzüge von Dior und erfand das »Rosewood Movement«. Er bestieg im Facebook-Hauptquartier in Palo Alto einen Tisch und rezitierte neue Songs. Dabei fühlte er sich – beinahe ein Jahr nach dem VMA-Desaster – offensichtlich endlich wieder wohl in seiner Haut.

Mit größtmöglicher Inbrunst stellte er auch »Mama’s Boyfriend« vor. Einen Song über seine Mutter, die im November 2007 an den Komplikation nach einer Routine-Operation verstarb. Jedoch kein »Dear Mama«. Kein Liebesschwur auf ewig, sondern vielmehr ein familiensoziologischer Erklärungsversuch seiner selbst. Ein Song, der ihm sehr viel bedeute und eigentlich auch »33 years in the making« sei. Auf »MBDTF« fand sich jedoch von dem Song keine Spur.

Am vergangenen Pfingstmontag tauchte »Mama’s Boyfriend« im Internet auf. Aufregung in der Parallel-Gesellschaft namens Blogosphäre. Einen neuen Song des selbsternannten größten Pop-Stars seit Michael Jackson hört man, wenn es nicht gerade G.O.O.D. Friday ist, schließlich nicht alle Tage. Dann Verwunderung. Das hier klingt gar nicht wie erwartet. Kein Mike Oldfield, kein Aphex Twin und schon gar kein großer Orchester-Pomp. Einfach nur knackige Drums, ein Gesangs-Sample, sehr viel Soul und Kanye. Nicht der Louis Vuitton Don. Einfach nur Kanye Omari West. Der, der auch (ein bisschen) ein Mensch ist.

Obwohl er sich sonst so gerne als exzentrischer Popstar inszeniert, konnte er nie verstecken, dass es ihm doch eigentlich immer nur um die Zustimmung und das Wohl einer ganz speziellen Frau ging: seiner Mama. Lange bevor Kanye West der Größte war, war er mal fünf Jahre alt und hat es gar nicht gerne gesehen, wenn ein anderer Mann das Herz seiner Mutter erobern wollte. »Who this newer guy? I’m my mama boyfriend. I’m her little husband. I was the man of the house when there wasn’t.« Was für ein Bild. Der kleine Kanye, Einzelkind, gerade fünf Jahre alt. Natürlich »super duper fly«, auch im Superman Pyjama. Ein neuer Mann macht es sich im Wohnzimmer gemütlich und markiert sein neues Revier. Mr. West Junior setzt zur Verteidigung an – und wird ins Bett geschickt. Aber so leicht gibt er nicht auf und schleicht zurück zum Schlafzimmer, um dem Neuen den Kampf anzusagen: »I aint‘ goin‘ sleep no time soon and when I do, I’m sleeping in my mama room.« Die Reinheit meiner Mutter wird verteidigt, als wäre sie Sparta.

Kanye wäre nicht das erste Beispiel für ein Einzelkind, das sich nach der elterlichen Scheidung doppelt beweisen will. Mit der im HipHop neu entdeckten Fragilität und der emotionalen Offenheit, die Kanye quasi erfunden und Drake auf eine neue Stufe hievte, mischt Kanye nüchterne Analyse mit großen Worten: »We are the voices of our parents bad choices. The aftermath of divorces. The kids of bitter split ups and baby sitters

Zwanzig Jahre später ist der kleine Junge erwachsen und, auch wenn die Erkenntnis schmerzt, nun selbst der unerwünschte Dritte in einer heil(ig)en Mutter-Sohn-Familie. »Now that I’m grown the tables turned around. I never thought I’d ever raise another n-ggas child.« Die Reinheit der schönen Models ist eben nicht das, was uns die Werbung und all die Hochglanzhefte weismachen wollen. Yeezy ist zu einem geworden, den er früher abgrundtief gehasst hätte. Selbsterkenntnis der Marke West mischt sich mit Großkotzigkeit der Marke West. Will man das Richtige tun wie Spike Lee, nur um näher an diesem Modelkörper zu sein, oder kann man sich tatsächlich in den kleinen Quälgeist hineinversetzen? Ja, ich bring dich zur Schule, Kleiner. Ja, ich komm sogar mit in die Kirche. Aber, schau her, die Kids machen hier nicht die Regeln. Obacht, »Don’t get it twisted lil‘ boy, I Ving Rhames you.«.

Kanye West – Mama’s Boyfriend by Hypetrak

Irgendwann wird man Bücher über Kanye West schreiben. Und in Universitäten über ihn sprechen. Wahrscheinlich über seine Klamotten. Vielleicht aber auch darüber, wie aus dem Mittelstands-Scheidungskind dieser Superstar werden konnte. »Mama’s Boyfriend« wird dann oft zitiert werden.

UPDATE: Kanye West ließ in einem Statement verlauten, dass es sich bei dem Song um eine vom Künstler nicht abgesegnete Version handelt. Laut Kanye wurden ihm die Lyrics entwendet und mit einem fremden Beat unterlegt: »Needless to say, measures are being taken to identify and prosecute the persons responsible for leaking this material.«

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