Kaisa

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Es ist nicht leicht, im ­kontinuierlichen Schaffen des 26-jährigen Berliner Rappers Kaisa den Überblick zu behalten. Ganze 19 CDs und zwei DVDs veröffentlichte der Kopf des Labels Hellraisa Records seit seinem verstörenden Debüt »Hassmonsta« aus dem Jahre 2002. Im Laufe seiner Karriere entwickelte sich Kaisa vom mysteriösen Schreckgespenst immer mehr zu einer greifbaren Marke. Auch inhaltlich machten splatternde Hasstiraden nach und nach Platz für sozialkritische Ansagen und subtilere, realistischere Horrorszenarien. Sein neuestes und laut eigener Aussage vorerst letztes Rapalbum »KMK« geht dagegen wieder deutlich drastischer zur Sache. Vorab machte Kaisa durch verschiedene Disses sowie einer unerwarteten Inhaftierung auf sich aufmerksam. JUICE-Autor René Schweitzer traf Kaisa in Charlottenburg zum klärenden Gespräch.
 
Der Titel deines neuen ­Albums »KMK« steht als Akronym für »Kinder mit Kettensägen«.
In erster Linie lautet der Titel »KMK«, den kannst du auf verschiedene Weisen interpretieren. »Kinder mit Kettensägen« spiegelt die aktuelle Jugendkultur wider, so wie ich sie da draußen sehe. Es herrscht viel Aggression und Frust. Jugendliche schrecken heutzutage noch nicht mal vor Mord zurück. Die wollen sich nichts mehr vorschreiben lassen. Ich bin zwar 26, würde mich aber auch noch als Jugendlichen bezeichnen. In jedem steckt ein Kind. Ich hänge mit Leuten herum, die 32 sind, aber auch mit 17-Jährigen. Da »KMK« mein vorerst letztes Rap-Album ist, habe ich die Dinge noch mal so ausgesprochen, wie ich es am Anfang meiner Karriere getan habe. Es ist vom Sound her eine Art Vorläufer unseres Splittergruppen-Albums. Das hört man besonders an den live eingespielten Gitarren und der Art, wie die Refrains in fast allen Liedern wirken. Ich schrieb es aus der Sicht eines Jugendlichen, den ­diese Welt, die Medien und dieses ganze Gehabe so richtig ankotzen. Obwohl ich natürlich nicht mehr die Einstellung habe, die ich mit 16 hatte.
 
Wie warst du denn mit 16 drauf?
Damals habe ich noch nicht so viel nachgedacht. Das war vor dem 11. September und die Dinge waren noch nicht so offensichtlich. Natürlich haben wir auch viel Scheiße gebaut, heute steckt hinter den Taten aber oftmals eine andere Motivation. Es verhärtet sich an allen Fronten, und die Jugendlichen rüsten auf. Teilweise wünsche ich mir sogar, dass wir Zustände wie in Frankreich bekommen, wo die Stadt brennt, wenn die Bullen einen Jugendlichen erschießen. Die Bullen machen das hier genauso, aber hier gibt es keine direkte Reaktion. Den Menschen geht es wohl noch zu gut. Hier wird nur am 1. Mai zugeschlagen, aber man sollte sofort Akzente setzen, wenn etwas passiert.
 
In dem Song »Grab im Kornfeld« zeichnest du ein extrem diabolisches Bild der Kinder. Woher kommt das?
Du kriegst jeden Tag mit, dass Kinder und ­Jugendliche schreckliche Sachen machen – und das oft nur für den Kick. Sie ermorden Menschen und wissen hinterher nicht, wieso sie es getan haben. Ich finde es interessant, wenn Kinder Sachen machen, die eigentlich Erwachsenen vorbehalten sind. Das Symbol der Kinder hat sich im Laufe meiner Karriere verändert. Seit »Traumfabrik« [Album von 2006, Anm. d. Verf.] haben sie sich durchgesetzt, und jetzt schlagen sie zurück. Es macht einfach mehr Spaß, Texte über Kinder zu verfassen, die wissen, wie sie zu handeln haben und Randale machen, als immer über Kinder zu rappen, die schwach sind und denen es schlecht geht.
 
Du sagst, »KMK« sei dein vorerst letztes Rap-Album. Woher kommt der Sinneswandel?
Ich bin jetzt 26 Jahre alt. Seit 2002 bin ich von Platte zu Platte immer erfolgreicher geworden, habe mir einen Namen gemacht, eine Fanbase aufgebaut und kann gut davon leben. Irgendwie bin ich aber aus dem Rap rausgewachsen. Ich komme mir nicht mehr bequem dabei vor, auf der Bühne live zu performen. Es macht mir keinen Spaß mehr, und ich fühle mich unterfordert. Gute Rap-Texte zu ­schreiben, ist sehr schwierig, dagegen kannst du jeden Songwriter in die Tonne treten, aber die Musik und das Produkt an sich ist mir aus den Händen geglitten. Dazu kommt, dass deutscher Rap eine Musikrichtung ist, die in Deutschland nicht angesehen ist, also kein Fundament und keine Plattform hat. Wenn du genau weißt, dass du in viele Bereiche mit deiner Musik nicht vordringen kannst, nimmt dir das auch die Lust an der Sache. Ich bin an dem Punkt, an dem ich weiß, was ich machen will und an dem es Zeit ist, erwachsen zu werden. Ich weiß nicht, worüber ich noch rappen soll, weil ich meine ­Themen schon zur Genüge behandelt habe.
 
Wie geht es denn nun bei dir weiter?
Ich werde sicher weiter Musik machen und andere Projekte betreuen. Ich bin mit meiner Band Splittergruppe seit zwei Jahren am Proben, mittlerweile haben wir unseren Sound gefunden. Wir machen eine Mischung aus Synthie- und Alternative-Rock, wobei auch Metalcore-Einflüsse dazukommen. Ich produziere das Ganze, inhaltlich bleibe ich aber auf derselben Linie wie auf den Kaisa-Platten. Nur will ich nicht mehr rund um die Uhr Kaisa sein, sondern andere Wege gehen. Kaisa sollte lieber eine Marke und nicht weiterhin mit mir als Person in Verbindung gebracht werden.
 
Und diese Entscheidung hat nichts mit der wirtschaftlichen Deutschrap-Flaute zu tun?
In erster Linie bin ich rausgewachsen. Da es auf dem Gebiet aber ohnehin scheiße aussieht, fällt die Entscheidung nicht schwer. Dass es keine Plattformen und keine Grundlagen gibt, hat aber nichts mit der Wirtschaftskrise zu tun. Es ist so, als wenn du in Amerika ein Fußballspieler werden willst. Die Leute dort schauen sich Football und Baseball an, daher wird deine Fußballmannschaft immer nur am Rande stattfinden.
 
Aber es gab doch für Deutschrap auch ­wirtschaftlich wesentlich bessere Zeiten…
Natürlich gab es die. Für kurze Zeit war Rap so, wie man ihn aus Amerika kannte. Er war cool, innovativ, erfolgreich, prollig und straße. Am Ende des Tages war er aber nicht real und zu aufgesetzt. Es gab zu viel Selbstdarstellung, und es ging nicht mehr um die Musik, sondern nur noch darum, wie die Leute rüberkamen und was sie privat draufhatten. Durch die immer selben Geschichten haben die Leute und die Medien die Lust am Deutschrap verloren.
 
Rap war ja auch eine Einnahmequelle für dich. Wie willst du dein Leben jetzt finanzieren?
Ich arbeite mit meiner Band an unserem Album. Außerdem verkaufen sich die alten Platten und das Merchandise ja immer noch. Das sollte reichen. Meine Pitbullzucht in Polen wurde nach drei Würfen leider von der Polizei dichtgemacht. Wir hatten da ein paar Sachen nicht richtig angemeldet und daraufhin wurden unsere Hunde einkassiert. Es stehen bei mir aber noch ein paar Filmprojekte an, für die wir die Drehbücher bereits fertig haben. Ich kann alle beruhigen: Es hat nichts mit mir zu tun, und es ist auch kein HipHop-Film, sondern ein Thriller. Das ist ein sehr aufwändiges Projekt. Daher plagen mich keine Zukunftsängste.
 
Was wird aus deinem Label Hellraisa?
Die Jungs [Skinny Al, Vollkontakt, Fatal, Anm. d. Verf.] sind ziemlich selbständig und machen ihr eigenes Ding. In unserem Rahmen ein Album zu releasen, ist auch kein Problem. Wenn die Leute mir etwas abliefern, kann ich es rausbringen. Wenn nichts kommt, passiert auch nichts. Ich sitze da nicht und schreibe den Jungs etwas vor.
 
Auf dem Track »Lady Boy Killa« schießt du ziemlich hart in Richtung Kollegah. Was hast du denn für ein Problem mit ihm?
Der Typ hat mir persönlich nichts getan. Am Anfang fand ich auch, dass seine Art zu rappen ziemlich einzigartig ist. Er ist aber ein kleiner Geschichtenerzähler, der mit Zuhälterei nichts zu tun hat und dem sein Label ein Image aufgesetzt hat. Der Grund für die Disses ist, dass er einen Veranstalter, der ein guter Freund von mir ist, verarscht hat. Er war zusammen mit Orgasmus und mir für ein Konzert gebucht, das er im letzten Moment mit einer fadenscheinigen Ausrede abgesagt hat. Es geht darum, dass Kollegah große Ansagen macht und sich dann aber nicht traut, auf ein Konzert zu kommen, wo auch Berliner sind. Den Typen würde hier jeder auf der Straße klatschen. Es gibt aber auch durchaus Künstler, die ich früher beschissen fand, die sich mittlerweile richtig cool entwickelt haben – zum Beispiel Eko Fresh, der hat die Größe, über sich selbst lachen zu können. Vielleicht kommt das bei Kollegah ja auch noch, aber bis es soweit ist, gibt es keinen Respekt für die Nutte.
 
Dein Album wurde verschoben, weil du zwei Monate in Untersuchungshaft warst. Warum?
Das war ein willkürlicher Schlag gegen die Untergrund-Rap-Elite. Die haben versucht, uns zu kriminalisieren, indem sie auf mutwillig getätigte Falschanzeigen ohne großes Nachprüfen angesprungen sind. Bei mir sind sie mit dem schwer bewaffneten SEK einmarschiert, haben meine Tür eingetreten und mich anschließend nach Braunschweig verfrachtet. Gleichzeitig wurden in Berlin und Osnabrück weitere Razzien durchgeführt. Das war ein Schlag gegen die Rap-Szene an sich. Da kannst du mal sehen, in was für einer Demokratie wir leben. Da wird einfach alles über einen Kamm geschert. Der ausschlaggebende Grund war ein Konzert in Braunschweig, auf dem ich mit Mitgliedern von Hirntot und den 4.9.0 Friedhof Chillern war. Dort kam es zu Zwischenfällen, die mit uns aber nichts zu tun hatten. Die Anzeigen liefen auf Gründung einer kriminellen Vereinigung, Körperverletzung und Freiheitsberaubung. Die haben alles verdreht und alles dafür getan, damit sie bei uns in Berlin einreiten können. Einer der Kriminalbeamten sagte sogar zu meinem Anwalt: »Wir ­Braunschweiger werden den Berliner HipHop-Sumpf trockenlegen.« Da merkst du, was die wahre Motivation dahinter ist. Einen der Hirntot-Künstler hatten sie übrigens auch einkassiert.
 
Das war aber nicht das erste Mal, dass du in der U-Haft warst, oder?
Als Jugendlicher war ich schon mal drin, aber als Erwachsener, der mitten im Leben steht und Geld ­verdient, ist das schon ­wesentlich kritischer.
 
Wie hast du die Zeit dort verbracht?
Ich habe insgesamt vier Bücher gelesen und viel ferngesehen. Ich war 23 Stunden am Tag eingesperrt. Da freust du dich umso mehr über die eine Stunde, die du rauskommst. Mir hat es gut getan, weil ich vor der Inhaftierung einen ziemlich abgefuckten Lifestyle geführt habe. Ich war auf vielen Partys, war immer mit Weibern in Hotels und so weiter. Das hat mich runtergezogen, aber im Knast habe ich gemerkt, worauf es wirklich ankommt und was wichtig ist. Daher danke ich diesen Leuten, dass sie mir die Zeit gegeben haben, mir über neue Texte und die Art und Weise, wie ich meine Musik verbreiten kann, Gedanken zu machen. Außerdem habe ich jetzt ein neues Feindbild, und das braucht man im Leben, das treibt einen an. Schönen Gruß übrigens an den Hausarbeiter Steve von Haus 3, der immer für mich gekocht hat, so dass ich den Knastfraß nicht essen musste. Der lässt auch keine JUICE aus.
 
Sind die Anschuldigungen denn vom Tisch?
Das Verfahren wurde nicht eingestellt, aber auf Grund der nachweislichen Falschaussagen
und der entlastenden Zeugen und Beweise wurde die U-Haft aufgehoben.
 
Auf deinem Album gibt es ein paar Zeilen, die aus der Zeit vor der U-Haft stammen, in denen du bereits den Knast thematisierst. Hast du damit gerechnet, einzufahren?
Erwartet habe ich es nicht, aber mich begleitet der Knast ständig in meinem Leben, allein schon, weil das viele Leute aus meinem Umfeld betrifft. Früher war es diesbezüglich aber wesentlich krasser. Hätte ich erwartet, verhaftet zu werden, wäre ich sicher nicht zu Hause gewesen.
 
Lebst du denn noch ein Leben, das dich in den Knast bringen könnte?
Das kann immer passieren. Gerade im Rap-Bereich bist du an dieser Welt sehr nah dran. Ich halte mich aus dem Gröbsten raus und kümmere mich um meine Angelegenheiten, aber ich weiß nicht, wie die anderen drauf sind. Wenn einer da draußen irgendwas bringt, was mir zu nahe geht, kann es schon passieren, dass ich so handle, wie ich es nicht sollte, es aber von mir selbst erwarte. Wenn man weiß, dass man bereit ist, sehr weit zu gehen, um sein Recht einzufordern, dann muss man sich das zwar nicht jedes Mal beweisen. Um den eigenen ­Frieden zu haben und um sich selbst im Spiegel in die ­Augen gucken zu können, muss man aber manchmal Grenzen überschreiten.
 
Du hast auf »KMK« wieder einige Instrumentals produziert. Wie kam es dazu?
Wenn du lange Zeit nichts produzierst und dich dann wieder ransetzt, kannst du sehr schnell geile Beats zaubern. Ich wollte diese gewisse ­Atmosphäre und Wirkung erzeugen, die ich schwer einem anderen Produzenten beibringen kann. Zudem feature ich die Opernsängerin Hülya van de Borg, was dem Album eine ganz besondere Note gibt.
 
Im Text von »Endlich Klartext« bringst du Hitler- und Holocaust-Vergleiche, in einem anderen Track »lobst« du Eva Herman. Ist dir klar, dass man das falsch verstehen könnte?
Ich mache mir darüber schon Gedanken, gerade wenn sich solche Aussagen in einem Track wie »Endlich Klartext« summieren, aber ich weiß, warum ich gewisse Sachen sage, und ich verherrliche nichts. Ich hole auch andere Meinungen dazu ein und überlege mir, ob ich manche Stellen entschärfen sollte. Wenn du in Deutschland etwas sagst, das nicht genau ins Bild passt, will jeder, dass du den Mund hältst. Ich kann aber genau erklären, wie diese Aussagen gemeint sind und daher habe ich auch kein Problem damit, sie auszusprechen. Jemand, der die Vergleiche falsch verstehen will, wird sie natürlich auch falsch verstehen.
 
Einerseits klagst du in deinen Texten die Ungerechtigkeiten in der Welt an, andererseits gehst du lyrisch äußerst brutal gegen deine Gegner vor. Ist das nicht ein Widerspruch?
Wenn du Frieden willst, stell dich besser auf den Krieg ein! Es ändert sich ja nichts im Irak, nur weil ich irgendeinen Stricher aus Mainz beleidige. Meine Message ist nicht: »Lasst uns alle Freunde sein!« Ich gehe verbal extrem gegen das vor, was ich ungerecht oder scheiße finde. Eine militante Einstellung ist im HipHop-Bereich zwar wichtig, fehlt heute aber weitgehend. Da draußen in der Welt ist sie hingegen überflüssig. Meine militante Einstellung im HipHop kannst du nicht mit Panzern und Maschinengewehren vergleichen, die in Palästina Menschen töten.
 
Text: René Schweitzer
Fotos: Norman Zoo
 

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