Jonwayne: »Die Isolation der Gesellschaft ist ein großes, reales Problem« // Interview

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Jonwayne ließe sich wohl als die nerdige Antithese zu Action Bronson beschreiben: bebrillt, behaart, belesen. Zu seinen zumindest äußerlichen Markenzeichen zählt das häufige Tragen von Basketball-Shorts und Sandalen. Bereits der erste Blick auf den zunächst eher ruhig wirkenden rappenden Produzenten vergegenwärtigt jedoch schnell: Nie ist ein Buch nach seinem Artwork zu beurteilen. Auf dem Weg zur Selbstfindung tobt in seinem Innersten der Kampf zwischen Geißelung und Selbstreflexion. Nach außen hin jedoch zeigt sich ein 26-jähriger weiser Mann, der mit sich bereits im Reinen scheint.

Auf »Rap Album Two« verarbeitest du sehr intime Gefühle. Hast du nicht Bedenken, dein Innerstes der Öffentlichkeit zu präsentieren, könnte dich zu einer gläsernen Person machen?
Als Künstler habe ich eine gewisse Verantwortung gegenüber meiner Kunst. Ich veröffentliche zwar für Menschen um mich herum und sogar für fremde Leute, Musik mache ich aber vor allem für mich selbst. Ich lasse nie irgendjemanden an dem Entscheidungsprozess teilhaben, wie ich mich auszudrücken habe. Vor allem muss ich mich immer wieder daran erinnern, dass mein Wort allein mir gehört.

Per öffentlichem Brief auf Instagram hast du den Kontext des Albums bereits offengelegt. Es sei vor allem Selbsttherapie, Alkoholismus zähle zu deinen Dämonen. Warum ist es so weit verbreitet, im Selbstzerstörungsmodus zu leben?
Es herrscht eine falsche Auffassung darüber, wie Drogen konsumiert werden. Menschen missbrauchen Drogen, um darin Erholung von dem zu finden, was sie umtreibt. Schon immer haben wir in einer Denkweise gelebt, in der jeder selbstsüchtig genug war, in sich einen Teil der letzten Generation der Menschheit zu sehen. Menschen tragen einen Drang zur Selbstsabotage in sich. Das ist Teil unserer DNA. Ich aber will mich hauptsächlich auf das konzentrieren, was nach mir folgt.

 
Nach dem Vorgängeralbum wurde es still um dich. Nach und nach hast du dich in die Isolation zurückgezogen und dich von vielem abgekapselt. Wie bist du aus dieser Abseitsspirale herausgekommen?
Die wichtigere Frage ist eigentlich, wie sehr spielt Isolation gesamtgesellschaftlich eine Rolle? Das ist ein reales, großes Problem. Wir sind Zugtiere und schaffen uns ständig neue Technologien und Verhältnisse, die uns von unserer ursprünglichen Natur abhalten. Ironischerweise bin ich nicht allein mit dieser Ansicht. Es wird noch viel schlimmer. Unsere Generation kämpft gegen ein Aufmerksamkeitsdefizit globalen Ausmaßes. Wir sind so desensibilisiert von unserer Fantasie. Alles um uns herum blinkt, piept und nimmt uns den Prozess der gedanklichen Vorstellung ab. Filme und Videospiele, die Musik als Kunstform ablösen wollen oder diese mundgerechte Art, Dinge zu konsumieren, haben mich abgestoßen.

Auf dem Song »Live From The Fuck You« wirst du von einer aufdringlichen Person angesprochen, die von dir verlangt, deine Rap-Persona vorzuführen. Wie real ist dieser Skit?
Mir kam die Idee dazu nach einer unangenehmen Begegnung in einem Club, bei der ich mich tief in meiner Privatsphäre gestört fühlte. Das hat mich für längere Zeit so beschäftigt, dass ich den Moment unbedingt im Studio abbilden wollte. Ursprünglich wollte ich einige Fans nach einer Show mit ins Studio nehmen, um die Szene nachzuspielen. Als mein Homie Nick Collette dann ins Studio kam, erklärte ich ihm, woran ich dachte. Wir haben das Ding wie beim Improvisationstheater in einem Take aufgenommen. Das ist eine sehr reale Situation und passiert häufiger, als man glaubt. Ich treffe gerne Fans. Die Leute, die mir die Lust nehmen, an öffentliche Plätze zu gehen, sind aber keine Fans. Viele Fans in Europa verstehen das eher; vielleicht auch, weil die Werte, die ich verkörpere, der Kultur dort ähnlicher sind.

Schätzt du die Dinge, die du an dir ­ändern wolltest, nun wert?
Du kannst zwar die Entscheidungen deines Lebens hinterfragen, aber hinterfrage nie die Lektionen, die du aus diesen Entscheidungen gezogen hast. Wenn du mich also fragst, ob ich meine Fehler bereue, müsste ich mich fragen, ob ich jemand anderes sein will als der, der ich heute bin. Das hat tatsächlich damit zu tun, inwiefern ich glücklich mit mir selbst bin. Wie könnte ich denn Schönheit wertschätzen, wenn es mir noch nie schlecht ging?

Klingt sehr reflektiert. Fühlst du dich mit Mitte zwanzig bereits erwachsen?
An welchem Punkt ich gerade stehe, weiß ich nicht. Selbst Leute in den Fünfzigern oder Sechzigern sollten sich nicht überlegener fühlen als andere. Wir machen uns alle nur etwas vor. Niemand weiß, was er tut. Wir warten doch alle nur täglich auf unser Mittagessen.

 
Eine unterschwellige Note deines Albums vermittelt, dass du dich intensiv damit auseinandersetzt, wie verlorene Freundschaften zu kultivieren sind. Warum?
Wie es vermeidbar ist, Freundschaften zu verlieren, kann ich dir absolut nicht sagen. Lösen sich Freundschaften nicht ohnehin nach sieben Jahren auf? Aber wie würdest du dich fühlen, wenn du von jetzt auf gleich niemanden mehr hättest? Einsam. Freundschaften sind enorm wichtig, deswegen rede ich darüber. Auf dem Weg zu dir selbst musst du durch andere dein eigenes Echo erfahren.

Während der Arbeit an deinem Album hast du enorm viel abgenommen. Kein Alkohol, kein schlechtes Essen mehr.
Wo hast du die Linie gezogen?

Ich habe nichts erzwungen. Ich habe mich einfach entschieden, bessere Entscheidungen zu treffen. Das ist alles. Das hat mich angetrieben.

Neben dem Album veröffentlichst du mit »Line Segments« noch ein Buch. Wie hat dir das Schreiben daran geholfen, zu geistiger Gesundheit zu gelangen?
Ich schreibe Gedichte und Prosa seit der Highschool. Also habe ich jetzt nicht plötzlich damit angefangen, um etwas Spezielles zu verarbeiten. Das Schreiben ist einfach ein anderer Weg, wie ich mich ausdrücken kann. Das fühlt sich sehr natürlich an. Nichts von dem, was ich tue, ist als Vergeltung oder Aufarbeitung von Vergangenem zu verstehen. Ich versuche lediglich, zu neuen Ergebnissen zu kommen. Meine Kunst ist unabhängig von meinen Entscheidungen, obwohl sie davon beeinflusst wird. Vielleicht wache ich morgen auf und merke, dass alles in Wirklichkeit nur ein Wachtraum war. Oder ich verliere jegliche Fähigkeiten und Inspirationen, jemals wieder einen vernünftigen Track zu schreiben. Jeder sieht sich mal in dieser Position. Falls es passiert, bereite ich mich jedenfall schon mal darauf vor. ◘

Foto: Robb Klassen

Dieses Interview erschien in JUICE #179 (hier versandkostenfrei bestellen).

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