Joey Bada$$ – Cash ruins everything around me // Feature

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Joey Bada$$ nickt bedächtig, den Blick konzentriert in die Ferne gerichtet. Er ist einer der jüngsten Talente aus Flatbush, Brooklyn, und wird von vielen als Galionsfigur des NY-Throwback-Sounds bejubelt. Und obwohl er buchstäblich der Künstler ist, den die Tochter des US-Präsidenten heimlich in ihrem Zimmer hört, scheint Joey seinen Erfolg ziemlich gelassen zu nehmen. Pünktlich zu seinem Zwanzigsten veröffentlichte der MC gerade sein Debüt »B4.DA.$$«. Zeit, bei einem Berlinbesuch ein paar Geschichten auszutauschen.

 

Geschichten aus der Zeit vor dem Geld, wo er schon nach dem ersten Auftritt das Mikro mitgehen lässt, und danach nur noch nackenklatschende Rhythmen aus seinem Zimmer wummern. Zwanzig Jahre Brooklyn machen schneller alt, wenn man ­pleite bleibt. In den Hausschluchten von Bushwick ist schon viel Blut aufgeschürfter Skater-Knie in den Rinnstein geflossen. Also sollte man klettern lernen, wenn man nicht ertrinken will. Immer noch ganz unten, als das bisschen Geld von der eigenen Mucke zum ersten Mal für eine Runde Curry Chicken gereicht hat. Pro Era. Jetzt erst recht kein Radio. Damit haben die sich doch erst selbst gebrainwasht, und jetzt machen alle anderen es ihnen nach. Jagd nach den toten Präsidenten, die für einen geradestehen, bis sich plötzlich die Füße vom ­Boden lösen und ein pulsierendes Vakuum über uns den Himmel spaltet.
 
Das große Tier ist ausgebrochen. Es rennt über die Steppe. Den Kopf in den Nacken, fixieren wir mit ­unseren Blicken die immer ­näherkommende, sich unaufhaltsam drehende ­Spirale. Die Geschichten, die wir erzählen, verlaufen parallel. Wie bei einer DNA-Helix bilden sie sich aufeinander ab, verursachen sich gegenseitig. Wir sind nichts als Statisten im Leben all der anderen Menschen um uns herum.
In einer Parallelwelt aus Chrom und Leder kommt Joey zu sich. Auch wenn die Tour schlaucht, gemäß der Zeile »Been up all night, my third eye ain’t even blinking« lässt er sich nichts anmerken.
 

 

Das Video zur Single »Christ ­Conscious«, in dem du in den Himmel aufsteigst, ist das ein Zeichen für das, was du mit deiner Musik erreichen willst?
Word! Gut, dass die Leute das wirklich auch so verstehen, weil ich echt stolz bin auf diesen Aspekt. Ich wollte was machen, was außerhalb dieser Welt liegt, was Neues.

 

Diese Einstellung, etwas auf einer neuen Ebene abzuliefern, teilst du ja auch mit anderen Künstlern.
Klar, die ganze Beastcoast-Bewegung, Flatbush Zombies, Underachievers – wir haben uns unsere komplett eigene Kategorie erschlossen. Wir sind die junge Generation, die gerade aufsteigt, die neue Gedanken einführt. Mit Ab-Soul hab ich ja jetzt auch wieder aufgenommen, eigentlich ist das ­sogar einer meiner Lieblingssongs ­geworden. Keine Ahnung, warum ich den jetzt doch nicht auf das Album gepackt hab. Aber das ist es: Wir sind die neue Generation. Eine andere Zeit bricht an, die Welt verändert sich. Independent wird Major.

 

Was muss deiner Meinung nach in den Köpfen der Leute passieren, damit sie diese Änderung anerkennen?
Es liegt bei deinen Gedanken. Deine ­Gedanken bauen deine Zukunft für dich. Alles, was du jetzt durchlebst, wird dich weiterbegleiten und Konsequenzen für dich haben. Die Synchronizität der Dinge wird spürbar, wie in einem unendlichen High.

 

Sagte er und brach zwei Wochen später einem schottischen Security Guard auf einem Festival die Nase. »Everything is right on time, all the time«, auch wenn mal das große Tier aus einem spricht. Schach. Noch ein letzter Zug, dann trottet es wieder davon in den tiefhängenden Dunst, immer den rot-blau flimmernden Lichtern entgegen. Die Handschellen ließ man für Joey davor das letzte Mal klingeln, als er mit Ab-Soul auf der »Smokers Tour« unterwegs war. Gefunden wurde damals natürlich nichts, und man ließ sie wieder laufen, aber ihr gemeinsames ­Faible für bewusstseinserweiternde ­Substanzen hatten die beiden nie zu verheimlichen versucht. Ihre Kollabo »Enter The Void«, die dem Spaß mit körpereigenen Halluzinogenen gewidmet ist, kam ja nicht von ungefähr. Der gleichnamige Kult-Film von Gaspar Noé, ein knapp dreistündiger Höllentrip durch das Unterbewusstsein eines DMT-Junkies in Tokyo, löste für viele den Molly-Hype ab und inspirierte sie zur Suche nach dem visuell extremeren Scheiß. Obwohl der Trip bei DMT höchstens 15 Minuten anhält, berichten Zurückkehrende oft von nahtodähnlichen Visionen, endlos währenden Wanderungen durch immer neue, mit fraktaler Architektur bewachsene Landschaften und von lebensverändernden Konversationen mit Maschinenelfen.

 

Aber ob man jetzt im Tausch gegen eine Nase für eine Nacht in den Bau geht oder sich harte Psychedelika knallt, sind vielleicht auch nur zwei verschiedene Ausdrücke für ein und dieselbe angepisste Reaktion auf eine Welt, die Joey eher bemuttern als ihn respektieren wollte. Mit 17 den Schritt in die Öffentlichkeit zu machen bringt eben auch mit sich, dass jeder Spast es erstmal besser weiß – egal, was du sagst. Lehnt sich aber eine Legende rüber, um dir mit raspiger Stimme kurz ein, zwei Worte zuzuflüstern, sollte die Aufmerksamkeit vollkommen auf den transzendenten Moment fokussiert sein.
 
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Was ist denn mit der Beteiligung von alten Heads am Spiel der jungen ­Generation? Premo hat ja schon für dich produziert.
Shout out Premier! Er war die letzten zwei Jahre echt so etwas wie ein Mentor für mich. Ich kann’s kaum abwarten, bis endlich alle den Song hören, den wir zusammen gemacht haben. Wir haben uns beide richtig reingehängt. Ich bin generell sehr überzeugt von diesem Album. Ich hab mir echt hohe Ziele gesetzt. So was wie Niederlagen gibt’s für mich nicht, deswegen schau ich, wie viel ich da wirklich reißen kann.

 

Dein neues Album heißt ja »B4.DA.$$ [Before Da Money]«, also erinnernd an früher. Gibt es eine bestimmte ­Geschichte, die du mit dem Album ­erzählen willst?
Yeah. Aber das wird nichts sein, was man ­direkt versteht. Keine Gute-Nacht-­Geschichte oder so ein Scheiß, so einfach wird es auf keinen Fall sein. Ihr sollt euch wirklich tiefer in die Musik reinhören und dann könnt ihr versuchen rauszufinden, wohin genau ich damit wollte. Wie ich das Album gemacht habe, war mein eigenes Ding. Ich habe meine Geschichte erzählt, so wie ich sie erzählen wollte, und habe das hauptsächlich über die Musik ausgelebt.Einfach diese natürliche, fließende Energie. Ich liebe jeden einzelnen Track auf diesem Album, ich konnte da nichts rausschneiden. Und sogar mit den Tracks, die dann dran glauben mussten, war es jedes Mal so ein argh! (reibt seine Fäuste aneinander) Aber solange ich dieses Gefühl habe, ist alles ­genau richtig. Dann ist es auch ­scheißegal, was wer ­darüber sagt. Kritiker bleiben natürlich Kritiker, die haben immer ihre Erwartungen. Ich sage meinen Hörern, dass sie nicht immer so hohe Erwartungen haben sollen im Leben und auch einfach mal Dinge akzeptieren müssen. Akzeptier’s einfach, egal was, aber du wirst es nie richtig machen beim ersten Mal. Wenn du schon nach einem Mal Hören redest, verschwendest du nur deinen Atem.

 

Es gibt also mehrere Ebenen, auf denen etwas stattfindet?
Ich übertreib ja nicht, wenn ich sage, dass das wirklich eine ganze Menge an ­Informationen ist. Es gibt sogar Teile, die ich bewusst ausgelassen habe. Das war jetzt der deepe Scheiß, hatte ich so noch ­niemandem gesagt.

 

Der Repeat-Button muss leiden, wenn Joey seinen Toroidal-Flow auspackt. Einzelne Wörter entwickeln einen magnetischen Sog, der seltsame Assoziationen anzieht. Je nachdem, wie weit man diesem Sog nachgibt, kann es beispielsweise sein, dass sich ein unschuldiges »Momma I« nach dem zweiten Hören beim dritten Mal in ein akustisch ähnliches »My mind« ­verwandelt. Homophone waren schon immer eine ­feuchte Fundgrube für Wortspiel-­Fetischisten, aber vielleicht hat man ja irgendwo anders was verpasst, wenn einem die ganze Line danach noch kryptischer vorkommt. Und wieder landet der Finger auf dem Knopf mit dem Zeitschleifen-Kreis. Warte, war das grade nicht die Melodie aus diesem einen Dilla-Loop? Alien Family? Die alte Schule hat ihre Spuren in unserem Langzeitgedächtnis hinterlassen – und Joey weiß, wie er diese bestehenden Muster mit seinen eigenen Worten erweitern kann, ohne dass wir es beim ersten Mal bewusst mitbekommen. »But don’t trip/I’m just another black kid, caught up in the mix/Tryna make a dollar outta 47 cents.«

 

Das kontroverse Logo der damals noch ­jüngeren Pro Era klebt heute wie ein Mahnmal an den Hauseingängen und Straßenschildern in Brooklyn. 2012 ging die Welt tatsächlich unter. Wer Capital Steez gekannt hatte, den stürzte dessen früher Tod in die schwärzesten Tiefen des Unterbewusstseins. Die schallende Leere, die der ­Mitbegründer der Beast Coast als eine der davor am ­stärksten polarisierenden Rap-Persönlichkeiten in New York hinterließ, konnte nicht mehr gefüllt werden. Am Ende wurde er durch die dystopischen Visionen seiner Texte zum Engel seiner eigenen Apokalypse.

 
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Die Körper um mich herum röcheln, in den Wänden stecken Augen und Münder, die mich betasten. Ich soll einer von ihnen werden und sie flüstern mir zu, wie, aber ich kann sie kaum hören, so leise sind sie. Ich baue einen Apparat, den die in vereinzelten Abständen aus der Wand ragenden Hände mit ihren Fingern betätigen können. Jedem Klicken entspringt eine Note, die sogleich gierig von aus den Mündern schießenden Zungen aufgeleckt wird. Ich muss nur genauer hinhören, was sie dabei sagen. Ein Mund saugt sich an meinem Apparat fest, weil ich noch näher als sonst an der Wand stehe. Ich muss mit ansehen, wie er sich auflöst und Teil des Raumes wird. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass die Temperatur im Raum sinkt. Fieberhaft beginne ich, endlich einzelne Worte in dem Geflüster auszumachen, aber es sind nicht mehr dieselben Stimmen wie davor. An der Wand öffnen sich nach und nach tausende, mich kalt anstarrende Augen. Frierend starre ich zurück und verstehe, dass es nun der Apparat ist, der mit mir spricht. »Funny cause I used to see my circle never end/Always kept like 47 friends in my circumference/All that’s left now is the radiance.«

 

Seit King Steelos Tod sind es nur immer mehr Erwartungen geworden, denen Joey sich stellen musste. Die Fußstapfen des großen Homies zu füllen, war dabei nie das eigentliche Ziel. Für Joey begann eine Reise in die Welt, die Steelo ihm hinterlassen hatte, seinen Malachiten als Erinnerung um den Hals tragend. Die Blicke der Öffentlichkeit ließen ihm keine Gelegenheit, Abstand zu gewinnen und die Ereignisse als das zu verarbeiten, was sie letztendlich waren: Steelos letzte große Reise. DMT wird als ­körpereigenes Molekül sowohl bei der Geburt als auch beim Tod eines Menschen ausgeschüttet. Und Joey musste dahin zurück, wo von Anfang an seine spirituellen und kreativen Wurzeln gelegen hatten: in die Karibik.

 

Plötzlich ist es still. Einatmen – und wieder aus. Am Rand des nordatlantischen Ozeans liegt St. Lucia, der Geburtsort von Joeys Mutter, rund 15 Flugstunden entfernt von Jamaika, wo sein Vater herkommt. Der schamanische Singsang des Patois, das mit seinen offenen Silben viel Platz gibt für Melodie, ist hier zuhause. Die Musikalität ist schon in der Sprache mit angelegt. Vom Badmon-Waffen-Geprotze des Dancehall zu den kreolischen Call-and-Response-­Gesängen des Jwé, einer Form der ­Unterhaltung bei Vollmondfesten und Begräbnissen, eröffnet sich eine wahnsinnige Vielfalt. Und diese greift sich Joey, er jongliert mit ihren Gegensätzen und wird sich seiner eigenen Persönlichkeit, die irgendwo in der Mitte liegen muss, immer bewusster.

 

Das große Tier erblickt seine Spiegelung in einem kristallklaren Fluss. Es ist der Urquell, der den großen See füllt. Wie eine Kuppel wölbt er sich um das Tier, tausende ­Reflexionen im Licht singender Malachiten.

 

 

Was für eine Rolle spielt die Karibik in deiner Musik?
Meine Eltern kommen ja von dort. Das hört man auch auf dem Album, die Einflüsse sind über das ganze Ding verstreut. Ich war letztes Jahr auf St. Lucia und habe da das »My Youth«-Video gedreht, aber dieses Jahr war ich zum ersten Mal auf Jamaika – und ich sag’s dir, Amen! Also nur so viel: Ich bin auf Jamaika gelandet und plötzlich war alles aus!

 

Was geht denn gerade in Jamaika?
Im Ernst, in Jamaika passiert jetzt gerade genau dasselbe, was auch in den Staaten passiert. Wie jetzt in meinem Fall mit Beast Coast, wir haben unsere eigene Nische gefunden in all dem anderen. Auf Jamaika ist es ja genauso: Man kennt nur die wirklich etablierten Leute aus dem Mainstream. Aber es rollt gerade eine ganz andere Welle von Independent-Künstlern an, die mit komplett neuen Vibes aus dem traditionellen Sound hervordringen. Auf eine gewisse Art ist das wirklich genau wie bei mir und meinen Leuten, der Sound erinnert an früher, ist aber brandneu. Leute wie Chronixx, Protoje, Dre Island – die sind jetzt richtig im Kommen. Protoje hat sogar heute Nacht einen Auftritt hier in Berlin. Das wollte ich mir im Anschluss an meine Show noch geben.

 

Findest du es heutzutage besonders wichtig, dass man zu so einem ursprünglichen Sound zurückgeht und ihn weiterentwickelt?
Klar ist das wichtig. Deswegen muss man immer aufmerksam bleiben und sich nichts einreden lassen. Die Leute sind voreilig mit ihrer Meinung, dass irgendeine Musikform grade am Abkratzen ist, aber da muss man einfach nur wissen, wonach man sucht – und wo man danach suchen sollte. Ich meine, bei euch in Deutschland ist das doch gar kein Stress. Ganz andere Geschichte, wenn man dagegen sieht, wo ich herkomme. Aber hier wisst ihr ja, was los ist, ihr habt den Plan, was real ist. Ich würdige diese Art von Golden Sound, den man hier überall mitbekommt.

 

Die Staaten haben hier, gerade was Songtexte angeht, immer noch ­wahnsinnig großen Einfluss.
Yeah, wir bringen eben immer noch das Hauptgericht auf den Tisch. Ich verstehe schon, erst schaut man, was alle anderen um einen herum machen, und es kommt ursprünglich alles von da, also schaut man sich nicht noch groß woanders um. Das ist eigentlich echt gestört, ich habe darüber noch nie so nachgedacht. Wenn man jetzt daran denkt, wie die Vereinigten Staaten ihre Einwohner gebrainwasht haben mit den Medien – das ist verrückt, weil sie ja nicht nur die Leute in ihrer eigenen Kultur brainwashen, sondern die ganze restliche Welt gleich mit. Während alle zu uns aufschauen. US – us, uns. Ich mag das irgendwie nicht, ich mein, warum versucht ihr denn, genau so zu sein und den gleichen Scheiß zu machen wie die da drüben. Macht euer eigenes Ding, ihr könntet doch eine komplett andere Geschichte erzählen! Aber vielleicht geht’s da nur mir so. ◘

 

Text: Gediminas Schüppenhauer

 
Dieses Interview ist erschienen in JUICE #165 (hier versandkostenfrei nachbestellen).
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