JAY-Z: Blueprint Of An American Gangster // #20JahreJUICE

-

STILL KEEPIN‘ IT GANGSTA – WOHIN?

Gangstarap ain’t dead. Das Subgenre Koksrap etwa hievten jüngst The Clipse auf neue künstlerische Höhen, nie klang der Umgang mit Yayo stilvoller. Unter anderem Lil Wayne übernahm die Kiloschieber-Sprüche der beiden Brüder aus Virginia Beach gleich im Paket mit Bathing Ape-Klamotten und wird seitdem mindestens kultisch verehrt. Erst in diesem Jahr flachte die Koks-Welle wieder langsam ab, um Common, Talib Kweli und vor allem Kanye West Platz für Unkrimminelles zwischen Weisheit und drogenfreiem Natur-Egofilm zu machen. Was bleibt, ist ein Mann, der nicht als Archetyp des Südstaaten-Trappers, sondern vor allem als typischster Ich-war-nie-ein-Rapper-Rapper seit Jay-Z gelten kann: Young Jeezy, der erste Star, den die Def Jam-Präsidentschaft von eben jenem Jay-Z hervorbrachte. Ohne jemals wirklich konkret zu werden (»I do this, nigga.«), berichtet Jeezy der Rap-Welt seit 2005 aus seinem vergangenen Leben als Teil einer großen Koks-Connection und motiviert dabei auch Normalverdiener, den Hustle hart zu halten. Als er dann doch mal korrekt wurde, kritisierte UGK-Legende Pump C die scheinbar völlig unrealistisch dargestellten Kurse. Dennoch bleibt die Street-Credibility des Schneemanns unantastbar, Jeezy gilt als der Inbegriff der Authentizität. Wie die Legende will, wurde der Mann aus der Peripherie Georgias früh von älteren Cousins auf den Geschmack des schnellen Geldes gebracht, später soll er Teil der Black Mafia Family gewesen sein, einer der größten Drogenorganisationen der USA, der in einer entscheidenden Razzia 632 Kilogramm Kokain und 10 Millionen Dollar Bargeld abgenommen wurden. Die BMF wird von der Bundes-Drogenbehörde der USA, DEA, als hochorganisierte Schmuggel- und Geldwäschemaschine mit direkten Beziehungen nach Mexiko eingestuft, ausgehend von Detroit sei die BMF in Dutzenden amerikanischen Städten aktiv.

Auch wenn viele Informationen naturgemäß im Dunkeln liegen: Der Fall der Schwarzen Mafia Familie durfte mit einem Gesamtumfang von um 270 Millionen Dollar eines der spektakulärsten Vorkommnisse von Geldwäsche im Rap-Business aller Zeiten sein. Im Zuge der Ermittlungen wurden auch die Häuser von Bleu Da Vinci und Young Jeezy untersucht (Ergebnis: zwei Kilo Koks), auch Raps Lieblingsjuwelier Jacob Arabo gehörte zu den Angeklagten. Seit 2005 ist die BMF öffentlich im Rapgame aktiv und investiert ihr Geld in Künstler wie den genannten Bleu Da Vinci, der mit Jeezy inzwischen Beef hat. DVDs zeigten, wie viel Spaß Geldwaschen machen kann, und auch das in Atlanta ansässige Underground-Magazin »The Juice« soll der BMF gehören (die deutsche JUICE weist sämtliche Anschuldigungen von sich…). Hinter den Kulissen soll der Einfluss der BMF und die Angst vor ihren Mitteln und Methoden noch weit größer sein. Aber was wollen diese schweren Jungs im Musikgeschäft? Ganz offensichtlich Geld sauber kriegen und wahrscheinlich nebenbei Spaß und Ruhm mitnehmen. Eine Gefahr für das Kerngeschäft bedeutete die neue Öffentlichkeit für die BMF ohnehin nie wirklich: Gangstarap ist ein akzeptiertes musikalisches Phänomen, so lange niemand zu deutlich wird, ist es kein Problem, wenn Rapper berappen, was die DEA sowieso schon lange in Pressekonferenzen bekannt gegeben hat. Vor der Razzia war Rap also eine bequeme Wäscheschleuder für Moneytoes, seitdem immerhin ein Versuch, legal zu werden.

Warum Rapper gangstarappen, ist also klar. Warum Gangster rappen auch. Nur: Warum zuhören? Dass Jeezys Kokain- und Adlib-Rock musikalischen Wert hat, werden wohl nur noch die ignorantesten Rawkus-Nostalgiker bestreiten. Um sich seinen Platz im Game zu sichern, brauchte er allerdings keine Hochkantreime: Jeezy sieht sich vielmehr als Motivator, als eine musikalische und echte Version all jener Typen, die ihr Geld verdienen, indem sie Manager über Kohlen laufen lassen und hochverschuldeten Hängern im Fernsehen erklären, man könnte durch Autosuggestion in die Forbes-Liste kommen. Kein Rapper, ein Redner. Ein Mensch, der seine Musik angeblich dadurch verkauft, so eine coole Sau zu sein, nicht durch die Qualität der Musik. Das ist natürlich überzogen formuliert. Aber doch repräsentiert Young Jeezy in vielerlei Hinsicht das totale Gegenteil der Ideale aller Technik-Real-Rap-Fetischisten. Wie gesagt, was heißt schon real?

Als Nas, der sich in den Neunzigern auch gerne mal mit Drogenbaron und Massenmörder Pablo Escobar verglich, HipHop für tot erklärte und der von Monie Love vor laufenden Radiomikrofonen als Mit-Mörder angeklagte Jeezy mit Zweifeln an Nas‘ Drogenkarriere konterte, musste man sich tatsächlich fragen, was realer ist: die alten Nas-Songs, die, wie er einst zugab, oft eher Unterhaltungskino als Tatsachenbericht waren, oder Jeezys angeblich authentische Andeutungen. Musik wird eben auch wegen Persönlichkeiten, mitgelieferten Einstellungen und spannenden Geschichten gekauft. Und im Rap-Segment begeistern da scheinbar meist die Bad Boys. Jay-Zs Def Jam legte deshalb noch einen nach: Rick Ross, die dicke, fette Spitze des Eisbergs. Die Personifizierung der Koksstadt Miami, die bislang chronisch unter-rap-präsentiert war. Angeblich ebenfalls ehemaliger Dealer der Sehr-viele-Kilos-Klasse, nicht nur benannt nach Dopebaron Ricky Ross, sondern auch mit ähnlichem Körperbau, gleicher Glatze und gleichem Bart ausgestattet wie sein zweifelhafter Namensvetter und damit schon der zweite Ricky Ross-Klon nach dem ebenfalls bei Jay—Z gesignten Bartträger Freeway — Freeway ist der andere von Ricky Ross‘ Spitznamen. Während Frank Lucas für sich reklamierte, zwischenzeitlich über eine Million Dollar täglich mit Heroin umzusetzen, schaffte Boss zwei bis drei Millionen, indem er Los Angeles fast im Alleingang in eine Crackhölle verwandelte. In den Neunzigern zu lebenslanger Haft verurteilt, könnte er wegen guter Führung und eventuell auch wegen Kooperation mit den Behörden nun bereits bald nach zwölf Jahren wieder draußen sein. Den direkten Weg zu Best Buy wird er allerdings nicht antreten, Señor ist kein großer Fan von Rap: den Namensklau von Miamis Rick feiert der originale Ross nicht wirklich, konnte man hören.

Hübsch ist übrigens auch die Rechtfertigung anderer Halbwahrheitler, dass mit »Gangsta« ja eigentlich nur die Lebenseinstellung gemeint sei, alles zu tun, worauf man gerade Lust habe, und zwar genau so, wie man selbst das für richtig hält.

Den meisten Fans allerdings ist spätestens beim Rapper Rick Ross (der noch vor einigen Jahren übrigens einer ziemlich traditionalistischen Spielart von HipHop frönte, wie man unlängst auf Suave House‘ Resteverwertung »Rise To Power« nachhören konnte) ziemlich egal, was Fakt und was kunstvoll entworfenes Image ist. Seine aktuellen Songs wie »Criminal Opera« gleichen eher dem zweiten »Bad Boys«-Film minus Humor und überhaupt ist Rick Ross der Inbegriff aller Klischee-Überzeichnung – vielleicht zusammen mit Lil Wayne, dem kleinen, übergestylten und übertätowierten Überrapper, der seinen Adoptiwater mundküsst, Geldrauswerfen mit Daddy zur Kunstform macht und in seinen Lyrics mehr Spaß an Crack und Armeewaffen hat als Kinder beim Bällebaden im Kaufhaus. Das Gangsterleben kann für den Jungen, der schon mit elf gesignt wurde und als Hot Boy schon galaktische Geldmengen einnahm, bevor er offiziell am Budweiser nippen durfte, niemals mehr als ein Hobby gewesen sein. Er selbst erklärt die Geschichten aus der Drogen—Upperclass damit, dass seine Gangsta-Bekannten einfach wollen, dass er ihre Geschichten erzählt — netter Versuch, aber so lange er nicht dazu sagt, dass es in seinen Lyrics nicht um ihn ginge, irgendwie auch scheinheilig. Hübsch ist übrigens auch die Rechtfertigung anderer Halbwahrheitler, dass mit »Gangsta« ja eigentlich nur die Lebenseinstellung gemeint sei, alles zu tun, worauf man gerade Lust habe, und zwar genau so, wie man selbst das für richtig hält. Klar, der HipHop-Kultur ist das Phänomen der Begriffsumdeutung nicht erst seit Nas‘ »Nigger«-Kontroverse bekannt. Aber gekauft wird Gangstamucke natürlich trotzdem aus anderen Beweggründen. Jay—Zs »American Gangster«-Mischkonzept ist also doch nicht ganz neu. So wie Jigga sein Leben mit einem Film mischt, mischen seit Jahren andere (und wohl auch er selbst) ihr Leben mit dem ihres erweiterten Umfelds. Und allem, was der DVD-Player eben so hergibt.

Frank Lucas Jr., der Sohn des Mannes, dessen Leben den Film anregte, der Jay-Z zu seinem neuen Album inspirierte, ist etwas angepisst. Weil Jay-Z keinen wirklichen Soundtrack aufgenommen hat, geschweige denn ein Album über seinen Vater. Deshalb habe er selbst an dem Album nicht mehr mitarbeiten wollen. Er ist sauer, weil Jay-Z nie mit seinem Vater gesprochen hat und weil Jay-Z es sich nicht erlauben sollte, sich selbst »American Gangster« zu nennen. Vor allem aber ist er wahrscheinlich deswegen sauer, weil er selbst nicht mitrappen durfte – Frank Lucas Jr. arbeitet nämlich an einer eigenen Rapkarriere, von Filmen bis Klamotten ist alles bereits in Planung. Jay-Z ist für ihn genauso wenig ein »American Gangster« wie T.I., der FrankLucas mal in einer Line erwähnte, sich aber etwas kleinkriminellenhaft mit einem Haufen Gewehre erschießen ließ. Wenn überhaupt ein Rapper etwas von einem großen Gangster habe, so der Junior, dann Ice-T oder Haitian Jack. Letzterer ist weniger als Musiker bekannt, als als einer der Männer, die 2Pac mehrmals und auch auf »Against All Odds« für den ’95er Überfall / Anschlag auf ihn verantwortlich zu sein. Ebenso wie Walter »King Tut« Johnson und Jimmy »Henchman« Rosemond. Henchman wiederum ist nicht nur ein ehemaliger Hustler aus Brooklyn, sondern heute noch Manager von The Game, Rick Ross (dem Rapper), Akon und vielen anderen. Ein wichtiger Mann im Rapgeschäft‚ der gerade Ton Yayo verklagt, weil dieser seinen Sohn geschlagen haben soll. Seit der vergleichsweise glaubhaften Anschuldigung 2Pacs genießt Rosemond den zweifelhaften Ruf, eine Art New Yorker Crip-Gegenstück zum Westcoast-Blood Suge Knight zu sein.

»Every guy who thinks he’s a rapper wants to be a gangster, every gangster wants to be a rapper and the athlete want to be both.« – Frank Lucas Jr.

»Piru Blood« Knight begann seine Musikkarriere nachdem seine Football-Hoffnungen scheiterten. Sein erster großer Move bestand angeblich darin, Vanilla Ice einen Teil der Rechte an »Ice Ice Baby« abzuerpressen. Mag sein, dass die Gangster in der HipHop-Welt meist eher Gangmitglieder von kleinerem Kaliber sind, Suges Methoden hatten allerdings einiges von »Der Pate«. Nach der Zeit mit Vanilla Ice entschied er sich, freiberuflich die Verträge von Rappern zu checken und ihnen bei Bedarf zu helfen. Dein Label zieht dich ab? Geh zu deinem Paten. Dr. Dres Vertrag mit Ruthless Records soll er beseitigt haben, indem er Jungs mit Baseballschlägern mit zum Meeting brachte. Eazy-E zeigte ihn an, Dr. Dre veröffentlichte von da an bei Death Row Records und sorgte mit »The Chronic« nicht nur für den Durchbruch des jungen Ex-Kleindealers Snoop Dogg, sondern auch für den endgültigen Durchbruch von Gangstarap im Mainstream. Inspiriert vom enormen Erfolg von »The Chronic«, das in den Charts wochenlang mit Kommerzbomben wie Whitney »Yayo« Houstons »Bodyguard«-Soundtrack mithielt, kribbelte es auch der anderen Küste wieder in den Fingern. Laut Ethan Brown, der in seinem Buch »Queens Reigns Supreme — Fat Cat, 50 Cent And The Rise Of The Hip-Hop Hustler« die Zusammenhänge zwischen der »goldenen« Drogenzeit der Achtziger und der Rappergegenwart in Queens, NY aufzeigt, war auch der inzwischen erschossene Run-DMC-DJ Jam Master Jay unter den Dre-Inspirierten: Angeblich seien die Hardcore-Rapper von Onyx Plateauschuhe tragende House-Tänzer gewesen, bevor Jay ihnen schwarze Klamotten und nen Haarschneider rauslegte, um mit passendem Image an Dres Erfolg anzuschließen…

Hier geht’s zu Seite 4

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein