»Ich bin nicht der Typ, der herumsitzt und sich etwas darauf einbildet, was er erreicht hat« // J. Cole im Interview

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Jermaine Cole könnte sich zurücklehnen. Schließlich war 2013 ein gutes Jahr. Mit »Born Sinner« überzeugte er nicht nur die Kritiker, sondern bewies auch noch genug Cojones, sein Releasedate absichtlich zu verschieben, um sich dem direkten Vergleich mit Branchenprimus Kanye und dessen »Yeezus« zu stellen. Auch wenn Mr. West in der ersten Verkaufswoche die Nase vorn hatte, sollte J. Coles zweites Soloalbum schlussendlich den längeren Atem besitzen. In der dritten Woche nach Erscheinen stieg die LP dann überraschend auf den ersten Platz der US-Albumcharts. Mittlerweile konnte der MC und Produzent aus North Carolina über 600.000 Einheiten absetzen – im Streaming-Zeitalter längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Anstatt sich auf diesen Lorbeeren auszuruhen, ist J. Cole unterwegs. Die große »What Dreams May Come«-Tour führt Young Simba nicht nur durch ganz Nordamerika, Australien, Neuseeland sowie weite Teile Europas, sondern trägt auch ein zentrales Motiv von Coles Karriere im Titel: Die Erfüllung immer neuer Träume. Das stetige Streben nach dem nächsten Glücksmoment scheint sein Antrieb. Aber fragen wir ihn am besten selbst.

Du musstest bis zur dritten Verkaufswoche warten, aber im Endeffekt ist »Born Sinner« dein zweites Nummer-eins-Album in Folge. Fühlst du dich mittlerweile wie ein Star?
Ach, darüber denke ich gar nicht nach. Das sollen die Fans entscheiden. Für mich mag es sich so anfühlen, als ob ich angekommen bin. Aber gleichzeitig weiß ich, dass ich noch einen langen Weg vor mir habe. Ich bin noch nicht zufrieden mit dem, was ich erreicht habe. Ich habe immer noch diesen Hunger. Ich bin nicht der Typ, der herumsitzt und sich etwas darauf einbildet, was er erreicht hat.

Das ist ein gutes Stichwort. Was glaubst du ist es, das dich so erfolgreich macht?
Es hat viel damit zu tun, dass ich mich nicht zufrieden gebe. Als Künstler besteht meine größte Freude darin, die Musik entstehen zu lassen. Das ist eine Art High für mich. Wenn ich Songs wie »Power Trip«, »Lights Please«, »Grown Simba« oder »Two Face« mache, dann bin ich voller Enthusiasmus. Den Song dann aufzunehmen und ihn sich danach anzuhören, ist ein unbeschreibliches Gefühl. Manchmal kann ich es selbst nicht glauben und denke mir dann: »Danke, lieber Gott, dass dieser Song aus mir herauskam«. Gleichzeitig ist dieses Gefühl wie eine Droge, denn dieses Hoch hält ja nicht an. Manchmal dauert es nur zwanzig Minuten, dann vielleicht einen Tag, eine Woche oder ein Jahr. Aber irgendwann ist es weg. Dieses Gefühl immer und immer wieder zu haben, ist mein Antrieb. Ich will einfach herausfinden, ob ich es immer noch kann. Dafür lebe ich.

Du bist jetzt mittlerweile gute vier Jahre bei Roc Nation unter Vertrag? Wie entscheidend ist Jays Einfluss heute auf dein künstlerisches Schaffen?
Ich hole mir von ihm, was ich brauche. Wenn ich ein Album fertig habe, spiele ich es ihm vor, weil ich seine Meinung und seinen Rat haben möchte. Es gibt nicht viele Leute, die ich um Rat bitte. Ich wusste z.B. nicht, ob ich zuerst »Power Trip« oder »Crooked Smile« veröffentlichen soll. Bei der Entscheidung hat er mir geholfen. Und jetzt, wo ich ein eigenes Label habe [Dreamville Records, Anm. d. Verf.] und wir mit einem Major gemeinsame Sache machen werden, werde ich noch viel mehr Tipps von ihm holen. Er macht das ja schon, seitdem er damals Roc-A-Fella gegründet hat. Er hat ein enormes Verständnis, was es bedeutet, als Geschäftsführer zu arbeiten und gleichzeitig Künstler zu sein.

Rein hypothetisch: wenn du wählen könntest, ob du für den Rest deiner Karriere mehr Platten verkaufst als Kanye oder ob du einen Klassiker schaffst, über den Fans noch in 30 Jahren sprechen, für was würdest du dich entscheiden?
Mehr zu verkaufen als Kanye, würde mir keine Genugtuung bringen. Das hat mir dieses Mal schon nicht wirklich etwas bedeutet. Viel lieber habe ich ein Album im Katalog, über das die Leute bis in alle Ewigkeit sprechen. Wie »The Warm Up« oder »Friday Night Lights«. Oder vielleicht auch »Born Sinner«. Es ist mir viel wichtiger, wenn jemand zu mir kommt und mir sagt, dass einer meiner Songs sein Leben verändert hat und dass sie den Song jeden Tag hören. Oder dass meine Musik sie durch die High School oder durchs College begleitet hat. Alles andere ist nur Show.

Um noch mal auf Kanye zu sprechen zu kommen, er hat in letzter Zeit in Interviews immer wieder Klassismus erwähnt. Du bist selbst eine Art »Vom Tellerwäscher zum Millionär«-Story und hast das auch schon oft in deinen Songs erwähnt. Gleichzeitig verherrlichst du deinen Wohlstand nicht auf dieselbe Weise, wie es andere Rapper tun. Glaubst du, dass Materialismus im Mainstream-HipHop zu präsent ist?
Ich könnte jetzt ja sagen. Aber im Endeffekt ist das nur ein Spiegelbild der amerikanischen Gesellschaft, speziell des schwarzen Amerikas. Um dir ein Beispiel zu nennen: Egal, ob in der Grundschule, der Mittelstufe oder später in der High School: Für uns Schwarze war es von so enormer Wichtigkeit, mit neuen Schuhen rumzulaufen. Wenn du neue Schuhe bekommen hast, hast du dich so krass angestrengt, sie nicht abzufucken. Und wenn es doch passiert ist, bist du nach Hause gegangen und hast sie eine halbe Stunde geputzt, damit du am nächsten Tag in der Schule wieder fresh aussahst. Die weißen Jungs hingegen, egal, ob sie reich waren oder aus Mittelstandsfamilien kamen, hatten immer die abgefucktesten Treter überhaupt an. Es hat sie gar nicht gekümmert, wie sie rumliefen. Für uns hingegen waren unsere Sneaker die erste Möglichkeit, zu zeigen, dass wir doch irgendwie etwas hatten. Im Rap ist es dasselbe, nur auf einem ganz anderen Level. Deswegen können es viele Rapper gar nicht erwarten, zu zeigen, dass sie dieses neue Auto oder jenen neuen Schmuck haben und auf einmal Designerklamotten tragen. Das kommt aus dieser Befangenheit, wenn man nichts hat. Meine Antwort lautet also: Ja, aber es gibt einen Grund dafür. Und ich sehe diesen Grund.

Du spielst jetzt wieder einige Shows in Deutschland. Du bist in Frankfurt geboren. An was denkst du, wenn du an Deutschland denkst?
Ich habe eigentlich nur gute Erinnerungen. Als ich zum ersten Mal in Berlin war, war ich in einem Club, und da lief einfach echter HipHop. Ein Nachtclub, in dem authentische HipHop-Musik lief, mit der ich aufgewachsen bin und die ich immer noch höre. In den Staaten läuft nur »Turn Up«-Musik; eben das, was gerade angesagt ist. Der DJ spielt also Future oder 2Chainz. In Deutschland liefen alte Sachen von Redman, altes Zeug von Wu-Tang, Songs von Eminem oder Pharoahe Monch – da läuft einfach alles mögliche. Das hat mir an Deutschland und an der HipHop-Szene dort gefallen.

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