Haiyti: »Die einen sehen mich als Emo-Rapper, andere haben Angst vor mir« // Feature

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In Zeiten, in denen Youtube-Klicks zu harter Währung werden, lautet die Devise: ­Polarisieren! 2016 wusste das im deutschen Rapgame niemand so gekonnt umzusetzen wie Haiyti. Mit quietschenden Reifen und Twitter-Fingern lieferte die Hamburgerin mit »City Tarif« das originärste Straßen-Tape des Jahres und bereicherte Deutschrap mit der »Toxic«-EP um ein gesundes Stück Emotionalität. Den Abschluss der ’16er Haiyti-­Saison bildete das »Nightliner«-Mixtape, mit dem die Rapperin sogleich ihr ­eigenes Imprint Katamaran Musik ins Leben rief. Fragt man Haiyti, wo sie sich heute selbst sieht, dann fährt sie einen orangenen Land Rover und pumpt Dirty-South-Sound von ihrem Offenbacher Untergrund-Kollegen GPC. Runter von der Straße!

Berlin-Kreuzberg. Haiyti sitzt auf der Couch im KitschKrieg-Studio, vor ihr ein leeres Blatt Papier und ein Kugelschreiber, im Hintergrund Drums von Quest­love und Keys von Scott Storch. Was die Hamburgerin in diesem Moment mit »You Got Me« anstellt, einem Grammy-Song von The Roots und Erykah Badu, ist, gelinde gesagt, wahnsinnig. In wenigen Minuten füllt sich das Blatt mit unleserlichem Gekrakel, während Haiyti immer wieder in die Booth springt und den Track nach und nach mit einer Mischung aus notierten Halbsätzen und spontanen Geis­tesblitzen füllt. Nach kurzer Zeit ist aus dem Neo-Soul-Classic eine zeitgemäße Auto-Tune-Ballade mit der stimmlichen Dynamik eines Jazz-Vocal-Seminars geworden.

Man kann sich über Haiytis Musik ­streiten, wahrscheinlich ist ihr das sogar ganz recht. Ihre künstlerische Authentizität lässt sich dabei aber kaum untergraben. Haiyti ist Künstlerin durch und durch. Und die Kunst, ihre Musik, fußt weder auf dem Werk großer Architekten noch auf der vermeintlich tiefsinnigen Ästhetik aktueller Streetwear-Fabrikate. Stattdessen geht es hier um den ungefilterten Ausdruck einer Gefühlswelt, die sich irgendwo zwischen der adrenalin-geladenen Warenübergabe im Callcenter und dem romantischen Candle-Light-Dinner beim Italiener auf der Hamburger Reeperbahn abspielt. »Das Reflektieren überlasse ich Anderen, ich habe eh genug zu tun«, sagt Haiyti mit einem Lächeln.

Tatsächlich ist der Hustle mittlerweile ziemlich real. Noch vor einigen Jahren war Haiyti als Miami unterwegs und machte Musik für sich und ein paar andere Kollegen, die in Deutschland eine Art Dirty-South-Untergrund bildeten. Für Aufnahmen fuhr sie unter anderem bis nach Frankfurt und Bielefeld. Auch in der Namensfindung spiegelte sich der Arbeitseifer: Aus Miami wurde zunächst Rendezvous, aus Rendezvous dann Ovadoze, aus Ovadoze Robbery und aus Robbery letztendlich Haiyti. »Ich fand den Namen phonetisch schön – und den kann ich jetzt wohl nicht mehr ändern«, stellt sie mit einem Lachen fest. Schuld daran ist nicht zuletzt das Internet. Als Haiyti 2015 das Album »Havarie« droppt, erwartet sie einen Label-Ansturm. Die Anfragen bleiben aus, und beinahe ließe sich das Albumdebüt als Flop abtun – wäre da nicht die Video-Auskopplung »Szeneviertel«: Haiytis Pusher-Talk vor der Yves-Saint-Laurent-Boutique sorgt im Netz für erste Aufregung und legt den Grundstein für das, was 2016 seinen Lauf nimmt.

»City Tarif«, Haiytis erstes Mixtape 2016, suchte hierzulande seinesgleichen. In bester Atlanta-Manier ließ Produzent AsadJohn die Hi-Hats rattern und die Kickdrums ­rumpeln, während die Hamburgerin assoziative Straßengeschichten mit einem Gespür für Eingängigkeit erzählte, die in der hiesigen Landschaft auch anderen Rappern gut stehen würden. Die Hooks von Songs wie »City Tarif« oder »Runter von der Straße« waren Sekundenkleber für den Gehörgang, während sich die krächzenden Ad-Libs wie Kugeln ins Unterbewusstsein bohrten. Dass nebst Early Adopter YSL Know Plug fka Money Boy nun auch Frauenarzt und Haft & Xatar ein Feature einholten, kam nicht von ungefähr.

Gleichzeitig ebnete der vernebelte Lovesong »Wie es ist« den Weg für das zweite Genre-definierende Release im Sommer 2016: An der Seite des KitschKrieg-Kollektivs holte das »Chefgirl« mit der »Toxic«-EP zu einer Handvoll tiefergelegter Straßenballaden mit entfesselnder Ehrlichkeit aus – call it Emo-Trap. Ein glücklicher Zufall, wie Haiyti erzählt: »Ich hatte eine Depression, weil mein anderes Album noch nicht fertig war. Mir ging’s richtig schlecht, und wir haben einen düsteren Song aufgenommen. Und aus einem wurden in drei Tagen ganz schnell sechs. Das war einfach so ne ADHS-Aktion, die uns gut gelungen ist.«

Der Wahnsinn hat Methode. Denn die alles verbindende Formel in Haiytis Musik ist der Stream of Consciousness. Ihre Releases füllt sie mit Inspirationen aus ihrem direkten Umfeld. Allein deswegen kann man sich jede Authentizitätsdiskussion sparen. »Seit ich 14 bin, laufe ich mit nem kleinen Block und nem Stift herum. Mittlerweile habe ich ein Smartphone, und da spreche ich Sachen ein, wenn sie mir einfallen.« Auch an diesem Abend, an dem Haiyti im Studio sitzt, landen auf dem Zettel diverse Gedanken, die sich den Tag über in ihrem Kopf und ihrem Handy angesammelt haben – in Nachrichten, Sprachnachrichten, Audioaufnahmen und Bildern.

In diesem Sinne steht auch 2017 ganz im Zeichen des Aufmerksamkeitsdefizits. Gerade erst ist das »Nightliner«-Mixtape erschienen, ein Querschnitt durch ihr Schaffen aus den letzten anderthalb Jahren. Auf Beats von AsadJohn, Lex Lugner sowie einer Eigenproduktion wechselt Haiyti dabei mühelos Stile und Sujets. Der Girl-Boss-Gangster mit Playboykette, das sich global dematerialisierende Webcamgirl und die frankophile Nachtbekanntschaft – in Haiytis Welt stehen diese Personen gleichberechtigt nebeneinander, ohne dass sie dabei je an der Glaubwürdigkeit dieser Rapperin kratzen würden. Nicht, dass sich die Hamburgerin nicht der Wahrnehmung ihrer Musik und ihres Auftritts bewusst wäre.

»Die einen sehen mich als Emo-Rapper, andere haben Angst vor mir, und die nächsten meinen, ich sei zu poppig.« Doch die Freiheit des eigenen Schaffens fürs massenkompatible Image beschneiden? »Ich war mal an dem Punkt, an dem ich ein klares Image nach außen tragen wollte, aber das klappt nie«, meint Haiyti. »Denn ich habe dann wieder Songideen, die nicht in das Image passen – aber ich will die trotzdem machen.« So übt sich Haiyti kürzlich auch weiter im Singen, als sie sich im Studio des Hamburger Platinproduzenten Farhot wiederfindet. Die Ergebnisse des Experiments sollen noch 2017 auf einer EP mit dem Produzentenduo Die Achse, alias Farhot und Bazzazian, zu hören sein. Und Gesangsunterricht steht seitdem auf der Wunschliste ganz oben – kommt dann gleich nach der Fortsetzung von »City Tarif« und den nächsten ein bis zwei großen Projekten, die fürs frische Jahr geplant sind. Wobei: »Ich plane ja eigentlich nicht, es passiert einfach.« ◘

Foto: HEKS Sascha Haubold

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Dieser Text erschien als Teil unserer #DeutschrapsZukunft Titelstory in JUICE #178 (hier versandkostenfrei bestellen).

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