Genetikk: »Meines Erachtens muss man Kunst auch nicht erklären. Entweder checkt man es oder eben nicht« // Titelstory #151

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Genetikk

Karuzo und Sikk sind die Könige der Lügner. Von links außen überrollten sie in den letzten zwei Jahren die deutsche Rap-Szene, von ihrem Street-Album »Voodoozirkus« verkauften sie mehr Einheiten als manch renommierter Künstler von seinem neuesten Brostep-Projekt, unterschrieben folgerichtig bei Selfmade Records und spielten eine ausverkaufte Tour mit den 257ers und DCVDNS. Ihr neues Album »D.N.A. (Da Neckbreaker Aliens)« überraschte selbst uns, denn es ist nicht weniger als ein ­moderner HipHop-Klassiker; ein Deutschrap-Manifest, das die besten Elemente von »Battlekings«, »Gottes Werk und Creutzfelds Beitrag«, »Deluxe Soundsystem«, »Maske« und den »Zuhältertapes« in einen ­Nulldreizehner Mindstate übersetzt.

Im Herbst 2010 erreichte unsere ­Redaktion eine E-Mailinflatable sumo suits. Der Absender war ein junger Rapper namens Karuzo, der uns das erste Album seiner Crew Genetikk mit folgenden Worten nahebringen wollte: »Wir machen seit ’n paar Jahren zusammen Musik, weil wir’s lieben und weil wir besser sein wollen als alle anderen. Jetzt, wo uns das gelungen ist, muss die Welt nur noch davon erfahren. Hier kommt ihr ins Spiel. (…) Deshalb solltest du dir die 45 Minuten Zeit nehmen, das Album durchzuhören, um dann zu dem Schluss zu kommen, dass wir die Zukunft des deutschen Rap sind. (…) Anhören, feiern, antworten … geil, oder?«

Wir waren naturgemäß skeptisch gegenüber solch selbstbewussten Ansagen, hatte doch kein Redakteur bis dato auch nur von ­Genetikk gehört. Wir warteten ab und beobachteten. Das angepriesene Album ­»Foetus« wurde zum Free Download ins Netz gestellt und bekam überaus positive Resonanz. Nur wenig mehr als zwei Jahre später sind Karuzo und sein Produzent Sikk auf dem JUICE-Cover – weil sie nicht mehr bloß die Zukunft, sondern vor allem die Gegenwart des deutschen HipHop verkörpern. Nur einen Tag, nachdem die Limited-Edition-Box zu »D.N.A.« bei den großen Handelsketten zur Vorbestellung verfügbar gemacht wurde, schnellte sie in den jeweiligen Verkaufs­charts direkt an die Spitze.

Wie bei allen Künstlern, die ihre Identität durch Masken oder anderweitige Effekte verschleiern, sind zahlreiche Gerüchte über das Aussehen von Karuzo und Sikk von Genetikk im Umlauf. Die Wahrheit ist: Die beiden abgeschminkten jungen Männer sind weder hässlich noch anderweitig auffällig. Sikk sieht mit seiner schwarzgerandeten Brille und dem hageren Gesicht ein bisschen aus wie ein junger Specter, und Karuzo ist ein nicht unansehnlicher junger Deutsch-Italiener mit Fassonschnitt und akkurat rasiertem Dreitagebart. Nicht viel deutet darauf hin, dass er der einzig würdige Erbe des großen Flipstar ist – wie stylish er die Silben seiner Worte dehnt oder seine Battle-Phrasen mit lässigen Anglizismen spickt, ist im aktuellen Spiel beispiellos.

Die düster pumpenden Unterlagen der Genetikk-Platten stammen ausnahmslos von Sikk, der sich von amerikanischem Spätneunziger-HipHop von Wu-Tang, Outkast und Eminem genau wie von klassischen französischen Veröffentlichungen inspirieren lässt. In der Öffentlichkeit präsentieren Genetikk sich als clowneske Harlekin-­Fabelwesen, irgendwo zwischen Juggalo-Ästhetik und Marsi-Maskenfetisch. (Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass es die Clownschminke schon vor dem lustigen Pandakopf gab, falls das irgendwen interessieren sollte.) In ihren wenigen Interviews geben sie sich ironisch angriffslustig und wenig auskunftsfreudig, doch für JUICE machten die beiden Mittzwanziger aus Saarbrücken eine halbe Ausnahme von ihrer üblichen Medienverweigerungspolitik.

Ihr gebt kaum Interviews, betreibt gezielte Desinformation, über euer Privatleben weiß man kaum etwas. Warum?
Karuzo: Es ist einfach langweilig, immer das Gleiche zu sagen. Was soll ich immer wieder auf dieselben Fragen antworten: Warum die Schminke? Warum »König der Lügner«? ­Keine Ahnung. Das macht das Ganze kaputt, und manchmal ist weniger auch mehr.
Sikk: Es schafft auch einen gewissen ­Mythos. Wir geben zu jedem Album zwei, drei Interviews – so wie Eminem oder ­Booba es machen. Meines Erachtens muss man Kunst auch nicht erklären. Entweder checkt man es oder eben nicht.
Karuzo: Es gibt eben nur die Kunst, das Projekt, das Geschöpf. Und das steht für sich. Ich weiß nicht, ob man unbedingt einen Kontext dafür braucht. Wenn man auf eine Ausstellung geht, gibt es ja oft ein Buch, in dem irgendein Schlaumeier die einzelnen Kunstwerke erklärt. Ich finde das unnötig. Wir sagen alles, was wir sagen wollen, in der Musik.
Sikk: Ich sage gar nichts.
Karuzo: Und das ist auch ein Statement. Wir müssen nicht rumlabern. Die Leute kriegen die Musik, und das reicht.

Ich verstehe die Haltung, aber im HipHop findet immer ein Abgleich mit der Realität statt — die gute alte Authentizitätsfrage.
Karuzo: Aber wir sind doch die Allerrealsten von allen. Wir haben den Song »König der Lügner« gemacht, und darin geben wir den Hörern eigentlich alle Antworten. Natürlich gibt es darin Lügen und Wahrheiten, also muss man mit ein wenig Feingefühl ertasten, welche Aussage gelogen und welche wahr ist. Man merkt es doch, wenn jemand von etwas spricht, was er nicht selbst erlebt oder gesehen hat. Wenn man genau hinhört, weiß man das. Natürlich bleibt ein Rest von zehn Prozent Unsicherheit. Aber den gibt es im realen Leben auch. Man weiß nie, ob jemand wirklich so ist, wie er sich gibt. Auch bei dir gibt es einen Teil der Persönlichkeit, den du mir nicht offenbaren wirst, aber vielleicht deiner Frau oder deiner Familie. Jeder zieht gewisse Kreise um sich herum und entscheidet, wie weit er andere Menschen dort hineinlässt.

Das ist ein Umgang mit den Medien, den man im deutschen Rap bislang höchstens von Taktlo$$ kannte.
Karuzo: (nickt) Das macht ja seinen Mythos aus, dafür lieben seine Fans ihn abgöttisch. Da gibt es eine klare Parallele. Westberlin Maskulin war für uns ohnehin ein großer Einfluss. Das war einfach legendär, was die gemacht haben.

In dem Song »Sorry« sagst du sogar ausdrücklich, dass die Öffentlichkeit deine private Geschichte nie bekommen wird.
Karuzo: Der ist ja zu einem Zeitpunkt entstanden, als schon klar war, dass sich die Medien auf die Maskerade stürzen werden. Also habe ich mein Statement abgegeben. Mich als Privatperson gibt es einfach nicht – ich werde niemandem zeigen, wie ich ­wohne und wo ich scheißen gehe. Bei anderen Persönlichkeiten passt das vielleicht, für uns finde ich das nicht angebracht. Das würde unsere Kunst schwächen.
Sikk: Man könnte es höchstens faken, dann wäre es auch wieder cool.
Karuzo: Genau. Dann gehen wir in die Wohnung von einem reichen Kumpel, ich buche ein paar Nutten und lasse dich glauben, ich lebe in einem Sex-Tempel. (lacht) Die Sache ist: Einen echten Einblick bekommst du nie. Schon wenn ich aufräume, bevor du kommst, präsentiere ich mich so, wie ich mich präsentieren will. Diese Idee von einem Einblick ins echte Leben muss man sich abschminken. Es gibt nur Hochglanzpolitur.

Aber aus Saarbrücken kommt ihr schon?
Karuzo: Da kommen wir her, ja. (grinst)

Vor euch gab es keinen bekannten Rap aus Saarbrücken, oder?
Sikk: DCVDNS gab es vor uns, der war lokal schon sehr bekannt. Allerdings kam er solo erst später raus, ungefähr zeitgleich mit uns.
Karuzo: Ich glaube, sonst gab es auch kaum was. Ich will jetzt niemandem zu nahe treten, aber es gibt nur den krassen, ­weltbekannten Writer Reso und den Breaker Lil Ceng von den Flying Steps. Das war es an Subkultur aus Saarbrücken.

Auch ein Grund, warum man euch nicht direkt in ein bestimmtes Lager oder eine Tradition einordnen konnte, wie bei Berlinern, Stuttgartern oder Ruhrpott-Rappern.
Karuzo: Stimmt. Aber wir sind ohnehin ganz schöne Nazis, was unser Produkt angeht. Genetikk über alles. Wir legen großen Wert darauf, dass wir nicht den gleichen Scheiß machen wie jemand anders. Wir machen nur die Musik, die wir gerne selbst hören wollen und die wir bisher noch von niemandem bekommen haben. Sonst hätten wir vielleicht nie angefangen, Musik zu machen.

Genetikk war ja mal eine größere Crew, aber nur ihr seid übrig geblieben. Warum?
Karuzo: Wir waren einfach ein Haufen Jugendlicher, der zusammen Musik gemacht hat, manche haben gerappt, andere Beats gebaut. Wir haben unser Geld immer in einen Topf geworfen und ein kleines Studio aufgebaut. Das war einfach unser Hobby, wir haben da alles reingesteckt. Und so wie im Leben halt Beziehungen kommen und gehen, so hat sich das auch verlaufen. Nur wir beide waren von Anfang an dabei, haben uns dann mal krass gefetzt und später wieder zusammengefunden. Das wiederkehrende Muster waren also wir zwei.

Als ihr 2010 schließlich euer Free-Download-Album »Foetus« veröffentlicht habt, seid ihr unter ­anderem auch an uns herangetreten, und zwar mit sehr großem Selbstbewusstsein. Woher kam das?
Karuzo: Ich glaube, das ist eine Persönlichkeitsfrage. Wir hatten sehr lange an dem Ding gearbeitet und alles reingesteckt, was wir konnten. Wir können uns ganz gut selbst einschätzen, sind sehr realistisch und wussten einfach, dass es gut ist und Potenzial hat. Die Vision war da. Wir haben genau das gemacht, was wir wollten. Es war ein Kampf, das Album zu machen. Wir haben alles selbst gemacht, sogar die Fotos. Also war klar, dass die nächsten Schritte auch gemacht werden müssen. Wir haben keine Barrieren akzeptiert. Wir haben einfach nicht drauf geachtet, ob irgendwo Steine im Weg liegen, sondern sind immer weitermarschiert. Irgendwann wird das System schon nachgeben, dachten wir uns.

Wolltet ihr denn auch so zielstrebig zu Selfmade Records?
Karuzo: Eigentlich wollten wir nirgendwo signen, sondern alles alleine machen. Wir dachten, wenn man bei einem Label unterschreibt, ist man nicht mehr selbstbestimmt. In »König der Lügner« rappe ich ja: »Ich wurde bei Selfmade gesignt.« Diesen Track habe ich aufgenommen, bevor wir überhaupt Kontakt zu Selfmade hatten. Das war also eine Lüge, die sich im Nachhinein bewahrheitet hat. Wir sind zu Selfmade ins Büro gefahren und haben Elvir [Omerbegovic, Selfmade-Geschäftsführer, Anm. d. Verf.] den Song vorgespielt. Das hat ihm sicher auch gefallen. (grinst)
Sikk: Favorite hatte uns vorher schon in einem Interview erwähnt und das Video zu »Genie und Wahnsinn« gepostet. Irgendwann wollten wir eine E-Mail an Selfmade schreiben, und am selben Tag kam eine Mail von denen, ob wir nicht mal hochkommen wollen. Das war schon ein krasser Zufall.
Karuzo: Ein feiner Zug von Favorite – das hätte er nicht machen müssen.


Wie viel deutschen HipHop hört ihr heute noch?

Karuzo: Ganz wenig. Wir bekommen schon alles mit, aber wir wollen nicht durch die Hintertür beeinflusst werden. Eine Zeit lang haben wir das sogar komplett ausgeschlossen. Wir wollten einfach nicht, dass davon zu viel hängenbleibt. Also haben wir uns ein Deutschrap-Verbot erteilt. Früher haben wir natürlich viel gehört, vor allem Aggro Berlin oder Westberlin Maskulin. Ich habe sogar wegen Samy angefangen zu kiffen. (lacht) Da war ich so 13, 14 Jahre alt und habe »Deluxe Soundsystem« rauf- und runtergehört. Das war der Soundtrack meiner Jugend, aber auch Creutzfeld & Jakob und Azad. Sikk hat damals schon mehr die Berliner Untergrundsachen gefeiert. Er hat mich auf Savas, M.O.R. und Aggro gebracht. Ich hatte das alles nicht auf dem Schirm.

Sikk, hast du auch mal für andere Rapper produziert?
Sikk: In Paris, ja. Die kennt man aber nicht, das waren Untergrundrapper. Wir haben dort ja tatsächlich unser erstes Album aufgenommen. Das war ausnahmsweise nicht gelogen. Wir haben mehrere Monate dort verbracht, mal hat Karuzo für ein paar Monate dort gewohnt, dann ich. Wir haben viele Freunde in Paris. Von Saarbrücken bist du mittlerweile in eineinhalb Stunden dort.

Ist französischer Rap für euch ein Einfluss?
Sikk: Ja, sehr. Lunatic, NTM, IAM … alles. Ich kenne von A bis Z jeden Rapper aus Frankreich. Für mich ist französischer Rap einfach interessanter, weil er realer ist.
Karuzo: Die bringen es besser rüber, dabei geht es nur um die Delivery. Es klingt unverfälschter. In Deutschland klingt vieles verkrampft, die Franzosen sind da relaxter.
Sikk: Ähnlich wie die Amerikaner lassen sie Fehler zu. Bei deutschen Beats denkt man immer, dass alle Produzenten nach Regeln arbeiten. Man muss ja nicht bewusst Fehler machen, aber man kann auch mal auf sein Bauchgefühl hören. Genauso im Rap – mal kurz aus dem Takt zu sein, kann cool ­klingen. In Deutschland würde das im Mix sofort richtig hingeschoben werden.
Karuzo: Deutsche Rapper wollen Perfektion, uns ist das zu clean. Der Sound muss dreckig sein, sonst ist das Gefühl weg. Bei Musik geht es um Kommunikation. Die kann man einmal über reine Information gestalten, sozusagen mathematisch, aber dann nimmt der Zuhörer das als Sachinformation wahr, also wird er das Ergebnis distanziert und kalt betrachten. Nur wenn das Gefühl erhalten bleibt, kommt etwas an und bleibt eventuell sogar hängen. Das darf man nicht wegproduzieren. Auch beim Schreiben darf man nicht krampfhaft Reimketten suchen. Mein großes Vorbild ist Method Man. Ich habe in Deutschland noch niemanden so entspannt rappen hören. Der hat einen lockeren Flow, klingt nie verkrampft – der rappt, wie er sprechen würde, aus dem Handgelenk.
Sikk: Wie ich Samples cutte, funktioniert auch gegen alle Regeln. Aber nicht bewusst. Ich will jetzt auch nicht auf der MPC die Samples künstlich auf alt trimmen. Das geht mir am Arsch vorbei. Es muss einfach nur cool klingen.

Das ist ein interessanter Aspekt — ihr bezieht euch schon auf die Neunziger, aber macht trotzdem etwas Neues und Eigenes.
Karuzo: Genau das ist unser Ziel. Wir feiern zum Beispiel A$AP Rocky extrem. Oder Joey Bada$$. Das ist ja nicht Old School, was die machen. Es hat den Flavour von früher, aber es ist modern gemacht. Das ist das Kunststück, das wir auch ­versuchen: den alten Flavour in moderne Musik ­verpacken.

Wu-Tang ist dabei eine eurer ­Kernreferenzen. »Inkubation« war eine lupenreine Hommage, ihr wart mit GZA als Vorgruppe auf Tour …
Sikk: Ja, wir haben extrem viel mit ihm ­rumgehangen. Wir sind richtig krasse ­Homies jetzt.
Karuzo: Er hat uns auch angeboten, dass wir jetzt zur Wu-Tang-Family gehören. Die Mitgliedschaft haben wir aber abgelehnt. (lacht) Nein, ernsthaft: Das waren unsere ersten Konzerte überhaupt. Keiner kannte uns, keiner hat für uns gejubelt. Aber darum ging es gar nicht. Mir ging es nur darum, dass ich nicht verkacke. Wir wurden schon sehr gut angenommen, ich dachte, es wird viel schlimmer. Die Tour mit den 257ers und DCVDNS ist dann richtig geil gelaufen. Obwohl man klar gesehen hat, wer wegen welchem Act gekommen ist. Die 257ers-Fans wollen sich einfach wegschießen, die Genetikk-Fans wollen einfach nur HipHop-Feeling. Aber eins haben alle gemeinsam: Niemand kommt, um Stress zu machen. Natürlich treten wir auch selbstbewusst auf, das gehört einfach dazu. Aber wir machen das nie aggressiv – und deshalb sind auch unsere Fans nicht aggressiv. Es gibt da draußen jedenfalls eine neue Generation von HipHop-Fans, und wir verkörpern, was diese neue Generation hören möchte.

Das ist die Internet-Generation, aber ihr seid gar nicht mal so aktiv im Social-Media-Bereich. Da gibt es umtriebigere Künstler.
Sikk: Ich finde das auch oft zu übertrieben. Ich glaube, viele Künstler haben nur Angst, aus dem Fokus zu geraten und nicht mehr in der Öffentlichkeit zu stehen.
Karuzo: Wenn ich nichts zu posten habe, dann poste ich nichts. Soll ich jetzt das Steak posten, das wir gerade essen? Das macht für mich keinen Sinn. Unsere Fans sind von so etwas eher genervt. Wenn ich mal einen dummen Spruch raushauen will, mache ich das. Aber die wollen doch nicht wissen, was ich esse. Das ist doch tote Information, ohne Mehrwert. Dann sagen die Fans: »Jungs, macht lieber einen neuen Track, geht mir mal nicht auf den Sack!« (lacht) Ich kann das nachvollziehen. Die wollen wissen, wann neuer Scheiß von uns kommt, alles andere interessiert die nicht. Außerdem kennen die eh schon alles. Ich habe vier kleine Brüder, die kriegen jedes Phänomen im Netz lange vor mir mit. Heute muss man aufpassen, dass man mit 25 nicht schon ein Opa ist.

Was sind eure Fans genau für Jugendliche?
Karuzo: Keine Gangster, aber auch keine Weicheier. Keine Hipster, sondern eher die, denen das Hipster-Ding zu eng und zu bunt ist, die aber trotzdem moderne Musik hören wollen. Vielleicht ist ihnen Cro zu poppig, aber bei uns bekommen sie einen dunklen Cro. Den Ghetto-Hipster. (lacht) Bisschen härter, bisschen rougher eben. Ohne Cro damit diskreditieren zu wollen – denn er ist in meinen Augen ein Genie. Ich finde es feige, wenn andere Rapper sagen, dass er keinen Rap macht. Er ist ein krasser Rapper. Wir machen alle HipHop, aber ich finde, man sollte uns nicht miteinander ­vergleichen. Niemand vergleicht Queen mit Michael Jackson.

Eure Musik ist in der Tat sehr düster und hart. Woher kommt das?
Karuzo: Wir kennen beide Welten und erzählen daraus. Keiner von uns ist krass Ghetto und Gangster, aber wir waren immer in einem gewissen Umfeld unterwegs. Wir sind keine Unschuldslämmer. Ich bin früh zu Hause ausgezogen und habe mein Business gemacht. Von Gewalt haben wir uns aber immer ferngehalten, das war mir immer unsympathisch. Wir sind keine Straßenkämpfer, nie gewesen, aber man macht halt, was man machen muss. Meine Familiengeschichte ist ein wenig kompliziert, und ich fühlte mich wohl bei den Außenseitern. Nicht nur bei den Ausländerkindern, sondern auch bei den Deutschen, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden. Ich habe mich immer zu den schwierigen Jugendlichen hingezogen gefühlt, weil ich das Gefühl hatte, auf mich alleine gestellt zu sein. Ich bin einfach einer von ihnen. Ich habe mit denen das Gefühl geteilt, dass wir eine Familie sind, weil wir zusammen rumhängen wollten. Zu Hause und in der Schule hatten wir keinen Rückhalt und wären auf der Strecke geblieben.

Das ist ja auch ein Grund, warum sich viele zu HipHop hingezogen fühlen.
Karuzo: Ganz genau. HipHop fängt diejenigen auf, die am Rand stehen. Ich war nicht auf der anderen Seite, bei den richtig bösen Jungs, aber ich war ein Grenzgänger, ein Weltenwandler. Man hat mal einen Schritt auf die andere Seite gewagt, kurz geschnuppert, und wenn es zu heiß wurde, ist man wieder zurückgegangen. Genau so ist auch unsere Musik – nicht vulgär aggressiv, aber ich kann schon davon erzählen, was da draußen abgeht.

Wie lange habt ihr jetzt effektiv an »D.N.A.« gearbeitet?
Karuzo: Seit »Voodoozirkus« eigentlich. Wir haben nie aufgehört, zu arbeiten oder uns ausgeruht. Wir haben jetzt die Chance, was zu reißen – es gibt keine Zeit zum Ausruhen. Sido kann sich ausruhen, der muss kein Album machen. Wir müssen. Entweder bleiben wir jetzt dran oder wir verschwinden wieder in der Versenkung.

Warum »Da Neckbreaker Aliens«?
Karuzo: Wir machen eben richtig treibenden Kopfnicker-HipHop. Das kannte ich in Deutschland nur von Creutzfeld & Jakob, wenn ich im Park gesessen oder zur Schule gelaufen bin, mit ihrem Album im Discman. Das wollten wir zurückbringen.
Sikk: Da geht es aber gar nicht um die ­Geschwindigkeit. Auch ein langsamer, ­gefühlvoller, trauriger Song kann ein Kopf­nicker-Song sein – da nickt dann die Seele.
Karuzo: Und das Gefühl, ein »Alien« zu sein, habe ich ja eben erklärt: Wir bewegen uns zwar in der Mitte der Gesellschaft, aber so richtig gehören wir doch nicht dazu. Irgendwie steht man immer ein wenig abseits. Diese Haltung haben wir nie abgelegt.

Der Song »Plastik« setzt sich sehr ­sozialkritisch mit bestimmten Missständen auseinander. Worum geht es da konkret?
Karuzo: Dieser Track ist einfach so entstanden. Die Aussage ist: Ihr könnt euch nicht nur jedes Wochenende abschießen. Es ist wichtig, dass man ganzheitlich lebt und nicht in einer künstlichen Plastikwelt. Liebe, Zuneigung, Zusammenhalt, Loyalität – diese Werte sind wichtiger als alles andere. Und ohne sie kann man kein gesundes Leben führen. Weißt du, Deutschland ist ein Land, in dem Familienkultur leider zu wenig stattfindet und politisch auch nicht begünstigt wird. Die Franzosen machen das viel besser. Sie schaffen einerseits die Möglichkeiten, dass Ausländer diese Familienkultur mitbringen können aus ihren Ländern, wo diese noch vorhanden ist – gerade im Süden, wie bei uns in Sizilien. Sie bieten aber auch den Franzosen die Möglichkeit, eine solche Kultur zu entwickeln. In Deutschland passiert das zu wenig. Es gibt viele Schlüsselkinder, die auf sich allein gestellt sind und zu Hause nur Tiefkühlpizza bekommen. Das macht mich extrem wütend, vielleicht, weil ich vier kleine Geschwister habe. Diese Kultur von den Eltern einzufordern, bringt oftmals nichts, also muss man sich selbst an den eigenen Haaren aus der Scheiße ziehen.

Ihr wirkt wie sehr reflektierte, intelligente junge Männer. Ist die Musik für euch die einzige Karriereoption oder habt ihr einen beruflichen Plan B?
Karuzo: Wir studieren beide, wobei Sikk schon fertig ist mit seinem Studium, ich werde voraussichtlich nächstes Jahr meinen Abschluss machen. Mich zieht es in viele Richtungen, ich interessiere und begeistere mich für viele Dinge, da bin ich Kind geblieben. Aber Rap läuft gerade, wir haben Bock drauf und deswegen ziehen wir das Ding jetzt auch durch. Natürlich machen wir nebenher noch tausend andere Sachen und Projekte, vieles davon im kreativen und künstlerischen Bereich, denn das ist ein Wesenszug von uns beiden. Es wird bestimmt nicht auf Musik beschränkt bleiben.

Auf dem letzten Album hattet ihr nur ­Favorite als Feature, wer ist diesmal dabei?
Karuzo: Kollegah ist drauf – seit wir bei Selfmade sind, fordern das alle von uns ein. Sido ist drauf – er hat auf die Erwähnung in »König der Lügner« reagiert. Der hat’s direkt gecheckt. Das dritte Feature darf man noch nicht verraten, aber es ist ein Ami, der uns sehr am Herzen liegt.
Sikk: Und der kein Geld dafür bekommt, nicht einen Cent!
Karuzo: Es ist fest zugesagt, und wir hoffen sehr, dass es auch passiert. Und MoTrip wird wahrscheinlich drauf sein, das ist aber noch nicht zu 100 Prozent sicher. Er macht ja auch härtere Musik wie wir, wird aber ebenfalls nicht als Gangster wahrgenommen. Wir bewegen uns im selben Zwielicht, wir sind alle Aliens. Wir kennen uns schon länger und verstehen uns sehr gut.

Ihr habt auch Ssio häufiger erwähnt …
Karuzo: Sikk feiert ja eigentlich gar nichts, aber ab und zu kann ich ihn von etwas überzeugen. Ssio ist so ein Fall. Von allen Kanakenrappern ist er für mich der ­krasseste. Ich höre aus seiner Musik heraus, dass er auch ein Grenzgänger ist. Der ist voll auf unserer Wellenlänge, das spüre ich. Der studiert ja auch. Er hat den nötigen Humor und rappt einfach unverkrampft und locker. Wir haben uns schon einmal getroffen und das war sehr angenehm. Mit ihm würden wir jederzeit was machen. Mit Schwesta Ewa übrigens auch. Am Anfang fand ich das schrecklich, da muss ich ehrlich sein. Sorry, bitte nicht übelnehmen. (lacht) Ich habe das einfach nicht gecheckt. Aber mittlerweile finde ich, dass sie die beste deutsche Rapperin ist, die es jemals gab. Ich finde sie ehrlich krass.

Selfmade hat mit »JBG2« gerade ­sämtliche Verkaufsrekorde gebrochen. Wie sehr macht ihr euch selbst kommerziellen Erfolgsdruck?
Sikk: Das interessiert uns überhaupt nicht.
Karuzo: Wir gehen halt einfach Platin in der ersten Woche, aber wir werden uns niemals danach richten, was am erfolgreichsten ist. Das kann ich gar nicht.
Sikk: Mit »Voodoozirkus« haben wir ja schon in der ersten Woche 500.000 Platten verkauft. (grinst) Ich denke, Diamant ist drin.

Text: Stephan Szillus
Fotos: LAION

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