Early Rappers

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Die Geschichte geht ja, im Allgemeinen, so: Drei bis sieben Musiker finden sich Anfang der Siebziger Jahre, in der Bronx zu New York, zusammen, stöpseln ein paar Verstärker, Plattenspieler und Subwoofer zusammen, und fertig war die Party an der 1520 Sedgwick Avenue, allgemein anerkannt als Brutstätte dessen, was wir heute als Rapmusik feiern. DJ Kool Herc, Lil‘ Rodney Cee, Cowboy, Funky Four Plus One More – allesamt Namen, die jedem noch so übernächtigten Hinterhofspitter das eine oder andere Freudentränchen entlocken – zumindest in einem sentimentalen Moment. Soweit, so Konsens.

Seitdem zeichnet sich Rap als eine Kultur mit einem erstaunlich schwachen Langzeitgedächtnis, bei gleichzeitigen Respektsforderungen den Gründervätern gegenüber aus. Kaum ein Monat vergeht, in dem nicht ein Rapper der frühen, goldenen neunziger Jahre, Respekt für sich oder seinesgleichen einfordert. Schließlich habe man, im Gegensatz zu den ganzen Jungkatzen im Spiel, diese Kultur aufgebaut, von der Heerscharen von Based Gods jetzt profitieren. Sie fordern Respekt, oder zumindest einen festen Platz in der Geschichte, wenn sie schon nicht mehr am aktuellen Geschehen teilhaben können. Über die Protagonisten dieser Kultur der Achtziger Jahre, oder gar früher, tauscht sich die Community so gut wie gar nicht mehr aus. Es sei denn, man ruft im Internet zum kollektiven Geldsammeln für die ärztliche Versorgung von DJ Kool Herc auf oder landet nachts auf einer dieser kruden B-Boy-Elektroabfahrten. Und selbst die rapimmanente Kulturtechnik des Samplings rekrutiert ihre Blaupausen vorwiegend aus der schwarzen Musik der Siebziger Jahre. Hin und wieder schleicht sich eine Motown-Aufnahme aus den Sechzigern ins Portfolio manches Beatschmiedes. Wenn überhaupt noch Samples verwendet werden.

Jonathan Fischer, Münchner Autor, DJ und vielleicht Deutschlands prominentester Chronist schwarzer Musik versucht mit der Compilation »Early Rappers«, den Nullpunkt der Rap-Geschichte neu zu setzen, oder ihn zumindest zu umkreisen.

»Jive, Talking Blues, Spoken Poetry, Soul Preaching und Love Raps: Bereits lange vor HipHop schmiedeten afroamerikanische Rapper ihre Verse zu scharfen Waffen« – so beginnt Fischer die ausführlichen Liner Notes zu dieser bemerkenswerten Compilation. Seine historische Beweisführung reicht vom Hep Talk eines Cab Calloway, der bereits 1931 seine ersten Platten aufnahm, in denen Sprechgesang und Wortneuschöpfungen aka Slang eine wichtige Rolle spielten, über die absurden Storytellings eines Thurstin Harris, dessen großspuriger Lebensstil und Drogenkonsum in den Fünfziger Jahren nicht spurlos an seinem R’n’B-Entwurf vorbeigegangen sind.

Dazu gibt Fischer unter anderem noch den Rock’n’Roller Chuck Berry, die Reggaelegende U-Roy, das Black Panther Sprachrohr Last Poets, oder Fred Wesley, den ehemalige Posaunisten der JBs, der Band um James Brown in den Topf, und rührt, und rührt, und rührt. Diese wilde, oder vielleicht auch eklektische, Mischung wird, laut Fischer, zusammengehalten von den Elementen Improvisation, Slang, Protestbotschaften und Selbstbeweihräucherung, und darf daher als Ursuppe des Raps gesehen werden. Hört man »Early Rappers« ist es, abgesehen von den offensichtlichen Sprechgesangparts eines Pigmeat Markham, der Last Poets oder eines Cab Calloways, schwer vorzustellen, dass diese Musik, so gut ausgewählt sie auch ist, die Blaupause für Rap gewesen sein soll.

»Early Rappers« ist eine Compilation, die unglaublich viel Spaß macht – trennt man sie von dem eigentlichen Anspruch, die Geschichtsschreibung der Rapmusik neu aufzusetzen. Dafür verlangt sie zu viel Abstraktionsleistung, zu viel Geschichtswissen – Liner Notes hin oder her. Das entgrenzte Geschrei eines Thurston Harris, den zurückgelehnten Swamp Blues von Lightnin‘ Slim und John Kasandras Dirty Talk sollte man aber dennoch gehört haben. Nicht, um Rap besser zu verstehen. Sondern weil es gute Musik ist.

Text: Daniel Köhler

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