Drake: »Ich werde viel Charakterfestigkeit brauchen.« // 20JahreJUICE

-

#20JahreJUICE – ein Jubiläum, das gebührend gefeiert werden will. Wir veröffentlichen deswegen Meilensteine der JUICE-Geschichte erstmals auch digital. 2009 war Drake ein Internetphänomen – sein Mixtape »So Far Gone« beherrschte Blogs, Auskennerzirkel und Großraumdiskos gleichermaßen und löste fast nebenbei einen der größten Label-Bieterkriege in der Popgeschichte aus: Roc-A-Fella, Motown, Interscope – alle wollten den sensiblen Kanadier mit dem samtweichen Pop-Appeal unter ihre Fittiche nehmen. Denn Drake war anders, konnte er doch nicht nur amtliche 16er in die Membrane spitten, nein, er traute sich auch zu singen – nicht selten über Gefühle und Verletztlichkeit. Letztlich sollte er bei Young Money/ Cash Money unterzeichnen und damit eine Karriere beginnen, die das Verständnis eines Rappers und seines Können, den Sound von HipHop und überhaupt die Pop-Musik weltweit für immer verändern würde.

Seltsame Zeiten, in denen wir leben: Da gilt ein junger kanadischer Sänger und Rapper plötzlich als die heißeste Entdeckung seit Menschengedenken und kann weder einen Plattenvertrag noch eine physische Tonträgerveröffentlichung vorweisen. Allein seine wenigen digitalen Mixtapes haben aus Drake einen vielgebuchten und vieldiskutierten Newcomer gemacht, der in den USA ganze Stadien ausverkauft und von Medien wie der renommierten »New York Times“ beachtet wird. Drake ist eine Sensation des Blog-Zeitalters, seine Musik ein eigenwilliger Mash-Up aus »808s & Heartbreak“, grenzdebilem Indiepop und Lil Waynes Mixtape-Irrsinn. JUICE-Autor Alexis Slarna traf den Studentinnenschwarm backstage bei einem Weezy-Konzert in Chicago.

Wie fühlt sich die unglaubliche Reaktion auf dein Mixtape »So Far Gone“ an?
Es ist schon überwältigend. Ich bekomme Feedback von meinen Idolen. Ich schaue zu diesen Menschen auf, und sie sagen mir, dass mein Mixtape großartig sei. Natürlich habe ich auch eine Menge Arbeit hineingesteckt, aber trotzdem fühle ich mich sehr geehrt. Und ich finde es besonders schön zu sehen, dass meine Familie und meine Freunde stolz auf mich sind.

Deine Texte strotzen vor Selbstbewusstsein. Warst du dir selbst immer sicher, dass du eines Tages zu den ganz Großen gehören wirst, oder überraschen dich die positiven Reaktionen auch manchmal?
Du kannst dich selbst sehen, wie du willst – das findet alles nur in deinem Kopf statt, bis die Menschen deine Arbeit anerkennen. Jetzt kommen plötzlich Fans zu mir und sagen: Kanye und du, ihr seid meine Lieblingsrapper. Das ist im Moment noch surreal für mich, aber es ist auch der Treibstoff, der mich weiterarbeiten lässt. Ich möchte konsistent daran arbeiten, eines Tages zurecht in einem Atemzug mit Künstlern wie Kanye und anderen Größen genannt zu werden. Aber das braucht noch viel Zeit und vor allem einige Alben. Ich denke, dass ich für die kommenden Jahre viel Charakterfestigkeit brauche, denn ich werde Gerüchte und Anfeindungen bekämpfen müssen. Es ist unvermeidbar, dass ich diese Kämpfe ausfechten muss. Aber um auf den Punkt zu kommen: Ein einziges Mixtape lässt mich noch lange nicht zu den ganz Großen gehören, auch wenn mich viele junge Hörer schon jetzt als Anführer einer neuen HipHop-Generation sehen.

Du wirst im Internet bereits als Legende bezeichnet, bevor du überhaupt einen physischen Tonträger veröffentlicht hast.
Aber das kommt alles viel zu früh. Gebt mir doch etwas Zeit! Dieses Mixtape ist entstanden, weil ich einfach genau das gemacht habe, was ich machen wollte. Ich habe mich ausschließlich in der Zone bewegt, in der ich mich musikalisch wohl fühle: Ich kann singen, also singe ich. Ich rede gerne über mich selbst, also habe ich das in meinen Songs gemacht. Und die Menschen mochten das Ergebnis – das war natürlich perfekt für mich. Ich mache einfach mein Ding, und die Fans machen es durch ihre Reaktion zu etwas, was man als Kunst bezeichnen kann.

Bauen diese Reaktionen nicht auch jede Menge Druck auf?
Nein. Der Druck entsteht dadurch, dass ich mit Menschen zusammenarbeite, zu denen ich auf-schaue: Kanye, Jay-Z, das sind immer noch Idole für mich, und nun stehe ich mit ihnen im Studio und soll kreative Ideen liefern. Um wirklich kreativ zu sein, muss ich mit einem Menschen auf einen gemeinsamen Nenner kommen, das geht nicht im Handumdrehen. Aber jemand wie Kanye hat eben nicht ewig Zeit, also frage ich mich: Reichen die sechs Stunden Studiozeit, um mit Kanye zu connecten? Wenn wir einen Monat hätten, würden wir vielleicht Freunde und könnten uns gegenseitig künstlerisch komplett verstehen. Dann wäre die Musik, die wir zusammen kreieren, bestimmt großartig. Aber sechs Stunden reichen doch nicht, um jemanden musikalisch und persönlich kennen zu lernen. Werden wir unter diesen Umständen imstande sein, klassisches Material zu kreieren? Es geht mir nämlich um viel mehr als dieses Rapper-Ding: »Gib mir einen Beat, ich spucke dir einen heißen Sechzehner.« Ich will Beziehungen aufbauen. Für die meisten US-Rapper ist Musik hingegen wie Mathematik: »Wenn ich genug Geld für einen Beat von Produzent XY und einen Gastvers von Rapper YZ habe, dann werde ich einen krassen Song machen.«

»Reichen die sechs Stunden Studiozeit, um mit Kanye zu connecten?«

Woher kommt dein musikalischer Ansatz, hat auch deine Familie damit zu tun?
Inzwischen wissen ja die meisten, dass mein Onkel Mabon Hodges von den Hodges Brothers unter anderem Songs für Al Green geschrieben hat und auch sein Leadgitarrist war. Mein Vater ist Dennis Graham, der Drummer von Jerry Lee Lewis. Was ich also sagen kann: Es geht nicht zwingend darum, wie schnell du schreibst oder wie gut du rappst, sondern es geht um dein Gehör, dein Gespür für einen Song. Ich habe dieses Ohr, ich erkenne einfach, wann ein Song fertig ist, wann ihm noch etwas fehlt oder ob vielleicht sogar die Grundidee nicht ausreicht, um jemals einen guten Song herzugeben. Viele Künstler hören das nicht. Sie denken in Kategorien wie dem »Radio-Song« oder dem »Club-Song«, Das ist Unsinn, man muss sich als Künstler darüber bewusst werden, was man rüberbringen will. Und das ist wiederum nicht einfach, aber sehr wichtig. Es unterscheidet den guten von einem großartigen Künstler. Weißt du, manchmal gehe ich ins Studio und erkläre dem Produzenten eine halbe Stunde lang, wie der Song klingen soll. Das begreifen viele nicht. Ich kann mir aber nicht einfach nur einen Beat schicken lassen, egal ob er von Pharrell oder von Dr. Dre kommt. Ich muss mit dem Produzenten aktiv zusammenarbeiten.

»Viele Rapper tun so, als wollten sie dope boys sein. aber eigentlich will jeder dope boy lieber ein rapper sein.«

Was ist die inhaltliche Klammer der Songs auf »So Far Gone«?
Es ist ein Konzept-Mixtape, das von vorne bis hinten eine Geschichte in einzelnen Kapiteln erzählt. Am Anfang steht dieser Monolog, in dem ich mein Herz ausschütte [»Lust For Life«], dann geht es um die Beziehung zu dieser Frau, mit der ich zusammen war, und schließlich erinnere ich mich daran, worum es mir persönlich eigentlich geht [»Successful«]. Dann beende ich diese Beziehung [»Let’s Call lt Off«], reise am »November 18th« nach Houston und treffe dort Lil Wayne, der mit mir das Feature für »Ignant Shit« aufnimmt. Verstehst du? Es ist eine chronologische Geschichte meiner persönlichen und künstlerischen Entwicklung im letzten Jahr. Mein Album wird eine ähnliche Struktur haben, aber es wird noch selbstbewusster, noch triumphaler in seiner Stimmung. Inzwischen befinde ich mich an einem Punkt in meinem Leben, der es mir erlaubt, dieses Selbstbewusstsein zu entwickeln und nach außen zu tragen. Trotzdem wird das Album nicht zwingend positiver, denn wir leben immer noch in einer abgefuckten, bewölkten Welt.

Meinst du jetzt das Rap-Garne oder die Welt im Allgemeinen?
Vor allem spreche ich von dem tiefen Wunsch einer ganzen Generation, berühmt zu sein. Jeder rappt, singt, tanzt, strippt, was auch immer… Alle wollen in dem, was sie tun, die Besten werden. Ich sehe aufgrund meines Erfolges jede Menge verrückte Dinge, die andere Menschen vielleicht nicht sehen, und ich will ihnen einen Einblick in diese Welt verschaffen.

Inwieweit hat diese Beobachterposition, die du durch diese Songs einnimmst, auch etwas mit deiner Herkunft aus Kanada zu tun?
Da gibt es durchaus einen Zusammenhang. Meine Mutter ist eine weiße Kanadierin, mein Vater ein Afroamerikaner aus Memphis. Diese beiden Welten machen meine Persönlichkeit aus. Toronto ist eine sehr kulturelle Stadt, sicher und sauber, ein wunderschöner Ort mit vielen hübschen Frauen… Und wenn ich dann im Sommer zu meinem Vater nach Memphis fuhr, dann gab es zwar gutes Essen und gute Musik, aber die Gesamtsituation war schon eher abgefuckt. Als Kind lernte ich dadurch den Struggle kennen, ohne selbst strugglen zu müssen. Das war vielleicht etwas unfair.

Aber um von etwas zu berichten, musst du es doch nicht zwingend selbst durchlebt haben.
Vielmehr machst du auf etwas aufmerksam, das dich berührt, weil du es mit eigenen Augen gesehen hast.
Ich habe ja auch nie behauptet, dass ich aus der Hood bin. Ich habe nicht behauptet, ein harter Typ zu sein, und ich rappe auch nicht über dieselben Themen wie manche Niggas da draußen. Ich habe viel verrückte Scheiße gesehen, in der Hood in Memphis, wo meine Familie lebt. Als ich kürzlich in Memphis aufgetreten bin, kam mein Vater in einem pinken Seidenanzug vorbei! (lacht) Meine Familie väterlicherseits ist hood. Alle, die mit mir auf Tour waren, meinten: Krass, deine Familie ist ja total ghetto. Ich hingegen war vor allem froh, dass mein Vater gekommen ist, um mich live spielen zu sehen.

Hast du in dieser Situation auch Druck empfunden?
Nein, dazu war ich viel zu aufgeregt. All diese Erlebnisse fügen etwas zu meiner individuellen Geschichte hinzu. Ich bin ein ehemaliger Kinderschauspieler aus Kanada mit sehr heller Haut für einen Mischling – ich war also schon immer anders als die
anderen. Als Künstler brauchst du eine Geschichte, und das ist eben meine. Und ich bin froh, dass ich sie mir nicht ausdenken musste.

Du hättest ja auch die 50 Prozent Hood in deiner Familie als Grundstein für deine Story nehmen können.
Das wäre aber nicht ehrlich gewesen. Wenn ich in meiner Musik jemals über die Hood reden sollte, dann werde ich es als Beobachter tun, der mit dem Ort des Geschehens nicht in direkter Verbindung steht. Ich berichte über Dope Boys, weil sie eigentlich so sein wollen wie ich – die meisten von ihnen wollen keine Dope Boys sein, das Leben in der Hood zwingt sie nur dazu. Ich habe das, was sie sich nie leisten können, egal wie viele Drogen sie verkaufen. Sie können sich mein Leben nicht kaufen, sie können den guten Schlaf in der Nacht nicht kaufen. Viele Rapper tun so, als wollten sie Dope Boys sein. Aber eigentlich will jeder Dope Boy lieber ein Rapper sein.

Text: Alexis Slama
Foto: Matt Barnes / thatsthespot.com

Dieses Feature erschien erstmals in JUICE #120 im Juli 2009. Hier im Shop bestellen.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein