»Ich liebe es, über Musik zu schreiben« // DJ Mehdi im Interview

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DJ Mehdi hat formell gesehen bereits zwei Karrieren gestartet: Als Kind ­tunesischer Einwanderer in einem nordöstlichen Pariser Vorort aufgewachsen, war er in den Neunzigern Teil legendärer Rap-Crews wie Ideal J, Different Teep oder Mafia K’1 Fry und pflegt bis heute beste Beziehungen zu MCs wie Rohff, Kery James, Oxmo Puccino oder Akhenaton. Seit einigen Jahren produziert er nun für das Electro-Label Ed Banger weitgehend instrumentale Musik, die ihre Wurzeln sowohl im HipHop als auch im Electrofunk der Achtziger sowie in der Techno- und House-Bewegung Detroits und Chicagos findet. Dieser Tage erscheint seine Remix-Collection “Red, Black & Blue”. JUICE-Autor Fred Hanak traf den 32-Jährigen in einem Café im 11. Arrondissement, auf halbem Weg zwischen dem Intellektuellen- und Künstlerviertel Marais und dem von Migranten aus den ehemaligen Kolonien geprägten Belleville.

Du hast kürzlich mit Booba für dessen Album “0.9” zusammengearbeitet, was viele in der Szene überrascht hat, weil du sonst hauptsächlich für das Camp von Rohff und Kery James produziert hast. Hat Booba dich kontaktiert?
Ja, aber ich kenne ihn schon ewig. Natürlich war ich stets von meinen Jungs aus dem Neuf-Quatre umgeben: von Different Teep über Ideal J bis Mafia K’1 Fry. Aber Beef ist nicht mein Ding. Ich war sehr froh zu sehen, dass Booba an meinen Produktionen interessiert ist. Mir ist zwar bewusst, dass ein paar Leute davon überrascht waren, aber für mich ist es keine große Sache. Als Produzent will ich mich in verschiedenen Sphären bewegen, mich weiterentwickeln und voranschreiten. Und für mich ist “0.9”, insbesondere die paar Stücke am Ende, der notwendige nächste Schritt im französischen Rap.

Also hat er dich nach einem Beat gefragt, oder wie lief das konkret ab?
Wie gesagt, ich kenne ihn schon ewig. Wir trafen uns eines Tages im Studio mit 113, als sie einen Track mit ihm aufnahmen. Wir sprachen über Beats, und er sagte, dass er meine Musik schon immer mochte und als Jugendlicher ein Fan von Ideal J war. Als er mit “0.9” fast fertig war, rief er mich an und sagte, dass er noch unbedingt einen Beat von mir drauf haben wolle. Ich empfand das als schwierige Herausforderung, also machte ich ihm drei Beats und schickte sie ihm. Eine Woche später rief er wieder an und meinte: “Das ist gutes Material, aber ich habe schon genug von diesen harten Rap-Beats. Kannst du mir etwas anderes schicken?” Dieses Gespräch hat meinen Blickwinkel auf Musik komplett verändert. Ich hatte ihm genau die Art von Beats gemacht, die er sonst auch immer benutzt, aber er wollte überrascht werden und einfach mal Spaß haben. Ich zeigte ihm dann mein “Lucky Boy”-Album, und er sagte: “Genau das ist die Art von Beats, die ich will. Etwas komplett Neues!” Am Ende nahm er ein Instrumental, das ich noch aus den “Lucky Boy”-Sessions übrig hatte, das überhaupt nichts mit Boombap-Rap zu tun hatte, sondern eher von Rock und Electro beeinflusst war.

Inwiefern hat diese Episode ­deinen Blickwinkel auf Musik ­verändert?
Es war einfach eine komplett neue Arbeitserfahrung. Als ich mit Kery James, 113 und Rohff arbeitete, war es eine völlig natürliche und selbstverständliche Sache, dass ich ihnen die Beats lieferte. Es hat sie nie interessiert, wie ich die Musik machte oder was ich selbst vielleicht gerne machen würde. Sie pickten von sich aus nur die besten Hardcore-Beats, die ich hatte. Aber ich wollte immer auch, dass sie ein paar andersartige Tracks auf ihre Alben nahmen. Und das ist mir stets auch gelungen.

Wie zum Beispiel, als du Kraftwerk für Rim K (113) gesamplet hast?
Genau. Die Jungs interessierten sich nicht für Kraftwerk, aber sie mochten den Beat und haben deshalb drauf gerappt. Sie waren nur an Rap-­Technik interessiert, aber nicht daran, wen ich für den Beat ­gesamplet hatte. Gleichzeitig wusste ich natürlich ­immer genau, wie ich sie für einen Beat begeistern konnte. Bei Booba hingegen, den ich persönlich nicht so gut kannte, konnte ich nicht richtig einschätzen, wonach er gerade suchte. Also produzierte ich ihm etwas, von dem ich glaubte, dass es ihm gefallen würde. Aber er suchte nach etwas anderem, das er nur von mir bekommen konnte. Das hat meine Augen geöffnet.

Warum hast du selbst eigentlich nie MC-Ambitionen gehabt?
Als ich 13 Jahre alt war, begann ich direkt mit dem DJing und ­Produzieren. Das war einfach mein Ding. Und ich liebe den Lifestyle, der damit verbunden ist. Ich werde mein Leben lang ein HipHopper sein und immer Rap hören. Aber als Rapper hast du es schwer, wenn du älter wirst. Diese Probleme hast du als DJ und ­Produzent weniger.

Wer ist dein aktueller Lieblingsrapper?
Drake. Ich würde gerne für ihn produzieren oder einen Remix für ihn machen. Ich habe dieses Jahr hauptsächlich sein Material und das letzte Cool Kids-Mixtape gehört. Und das letzte Rick Ross-Album, allerdings vor allem wegen der Produktionen.

Viele Kids kennen dich nur als den Electro-Producer auf Ed Banger und wissen gar nicht, dass du französische HipHop-Geschichte geschrieben hast. Wie ist dieser Wechsel in deiner Karriere eigentlich zustande gekommen
?

Kaum jemand weiß, dass Pedro Winter [Busy P, Chef von Ed Banger, Anm. d. Verf.] schon seit 1999 mein Manager ist. Ich kenne ihn schon seit 1997, als ich noch Teil der Rap-Gruppe 113 war. Aber zur Zeit des zweiten Daft Punk-Albums wurde ich auch Teil von Pedros Welt, das ist ganz natürlich und fließend passiert. Wir lieben eben beide Daft Punk und Jay-Z. Er hat mich schon gemanaget, als ich noch Beats für Karlito und 113 produziert habe, er hat die ganzen Verträge ausgehandelt. 2002 habe ich dann bei Virgin unterschrieben, auch in dieser Sache hat er mich vertraglich beraten. Als ich anfing, für Ed Banger Musik zu produzieren, hatte ich nie das Gefühl, dass ich jetzt die Rap-Welt verlassen würde. Auch heute noch arbeite ich mit Rappern zusammen, wie du weißt. Klar, meine Solo-Tracks gehen jetzt eher in die Electro-Richtung, aber ich habe nie gesagt, dass ich keinen Rap mehr produzieren oder mit HipHop nichts mehr zu tun haben will. Ich kann im Kopf direkt von einem Rock-Remix zu einem Electro-Album oder einem französischen Hardcore-Rap-Track umschalten. Ich fühle mich keinem Genre verpflichtet, ich bin einfach ein Produzent.

Wie hat sich in deiner ­langen ­Karriere dein Umgang mit ­Equipment verändert?
Ich habe früher viel mit meiner MPC 1000 gearbeitet. Ich kannte diese Maschine in- und auswendig. Daher habe ich früher auch gedacht, dass das Equipment maßgeblich für meinen Sound verantwortlich ist. Aber nicht Akai oder Sony machen meinen Sound – das mache ich schon selbst! Daher bin ich inzwischen komplett auf Logic umgestiegen. Ich mache alles am Rechner, bis auf das Einspielen der Live-Instrumente natürlich. Für “Lucky Boy” habe ich selbst Gitarre und Bass eingespielt und bestimmte Lines gesamplet. Ich bin kein Gitarrist, aber ich mag einfach gerne selbst die Loops und Samples einspielen. Die Basis eines Tracks ist für mich ohnehin immer der Beat. Alles, was um den Beat herum passiert, sind lediglich Klangfarben. Der Beat ist das Zentrum des Universums. (lacht)

Dein neues Album “Red, Black & Blue” ist eine Compilation von Remixen und unveröffentlichten Tracks. Auf deiner MySpace-Seite konnte man auch Remixe von Biggie, Nas, Jay-Z oder Busta Rhymes hören, die nicht auf dem Album gelandet sind…
…weil es inoffizielle Remixe waren. Bootlegs, wenn du so willst. Ich nehme einfach ein Acapella von Biggie, Nas oder Jay-Z und lege einen neuen Beat drunter. Aber bei solchen Remixen bekommt man vom Label keine Freigabe für ein offizielles Album. Selbst offizielle Remixe zu Songs wie “Charlie Brown” von Ghostface Killah oder “AKH” von Akhenation konnten wegen Labelpolitik nicht geklärt werden. Das dauert meist viel zu lange und ist viel zu aufwändig. Wobei das manchmal eine Schande ist. Ich liebe zum Beispiel den Remix, den ich für “Make The World Go Round” von Busta Rhymes gemacht habe. Und ich hätte ohnehin gerne mehr Rap-Songs auf der Compilation gehabt. Dafür habe ich meinen Remix zu “Embrace The Martian” von Kid Cudi und den Crookers bewusst nicht drauf gepackt, weil ich ihn nicht mag.

Wirklich?
Ja, ich bin einfach nicht zufrieden mit meiner Arbeit auf diesem Remix. Daher habe ich den Track nicht draufgenommen, obwohl Kid Cudi derzeit einen gewissen Hype hat und daher vielleicht ein Verkaufsargument wäre. Dafür habe ich Remixe inkludiert, die ich wirklich gerne mag, zum Beispiel für Künstler wie Joakim, Manu Key [Gründer von Mafia K’1 Fry, Anm. d. Verf.] oder sogar Etienne de Crecy, einen Electro-House-Künstler aus Frankreich.

Welche Produzenten inspirieren dich bei deiner Arbeit?
Pete Rock, Maurice Fulton und Mr. Oizo. Bei all diesen Produzenten gibt es eine sehr gute Balance zwischen analogen und digitalen Elementen, zwischen echten Songs und purer Computermusik. Das ist es, wonach auch ich strebe.

Als DJ im Club spielst du nicht unbedingt den Sound, den du selbst produzierst. Wie beeinflussen deine DJ-Sets deine Arbeit?

Das ist ein Thema meiner Karriere, das mir wirklich großes Kopfzerbrechen bereitet. (seufzt) Ich muss noch die Lösung zu diesem Dilemma finden. Denn es ist wirklich seltsam, eine Art von Musik zu produzieren und fast ausschließlich auch zu hören, die ich niemals selbst im Club spiele, wenn ich auflege. Ich bin mir aber nicht sicher, ob meine Produktionen sich dichter an meinen DJ-Sets orientieren sollten. ­Keine Ahnung.

Ed Banger hat ja durch ­Pedro ­Winter und dich eine enge ­Connection zu HipHop. Alle Künstler auf dem Label haben eine Verbindung zur Kultur. Wie kommt es, dass kein HipHop dort erscheint?
Busy P ist ein totaler Rap-Fan, und zwar nicht so ein rückwärtsgewandter Typ, der nur altes Zeug feiert, sondern ein echter Fan aktueller Rap-Musik. Er spielt sehr viel HipHop in seinen DJ-Sets: J Dilla, Neptunes, Alchemist, Madlib, Timbaland, Gucci Mane. Aber genau so, wie er HipHop liebt, liebt er auch elektronische Musik: Daft Punk, Todd Edwards, Todd Terry, Underground Resistance. Trotzdem haben wir eine große Schnittmenge mit HipHop: Wir haben mit Stones Throw kollaboriert, Mr. Flash hat für Mos Def produziert, Busy P hat einen Track mit Murs gemacht, und auf dem letzten Krazy Baldhead-Album war ein Song mit dem Rapper Tes, der ehemals auf Lex Records gesignt war. Für mich persönlich war es faszinierend, meine Techniken aus dem HipHop auf eine Form von Dance Music anzuwenden. Ich habe französische Ghetto-MCs produziert und lege jetzt in Ibiza und Miami auf. Und das einfach nur, indem ich die Ästhetik der Ultramagnetic MC’s in ein Boys Noize-mäßiges DJ-Set gepresst habe. Viele meiner Freunde rieten mir, ich solle bei meinen Leisten bleiben. Aber ich wollte meine Tracks im “The End” in London hören, wo sie nun mal keine französischen 96 bpm-Rap-Tracks spielen. Für mich hat sich alles verändert, als Timbaland, Rockwilder, die Neptunes und Swizz Beatz dieses ganze Rap-Ding in eine elektronische Richtung geschoben haben. Letztlich war das alles immer nur eine Form von Musik. Nach 25 Jahren beginnen die Menschen endlich zu verstehen, was Afrika ­Bambaataa gemeint hat.

Klar, man kann eine direkte ­Linie von den Electrofunk-Beats der Achtziger zu deinen heutigen ­Produktionen ziehen.
Ja, ich würde mir auch wünschen, dass die Breakdancer zu meiner Musik tanzen. Breakdancer sind diejenigen, die diese Verbindung zwischen Hip­Hop und Dance Music immer schon natürlich gespürt haben. Aber in Frankreich musste ich meine Musik immer erklären, nicht nur der Presse, sondern sogar meiner eigenen Crew. Manchmal fragten sie, warum ich plötzlich Techno mache. Und die Techno-Heads fragen mich neuerdings, warum ich Rap-Beats produziere. Ich versuche dann immer, ihnen meine persönlichen musikalischen Wurzeln, aber auch die allgemeine Geschichte von HipHop näher zu bringen. Ich habe auch schon Artikel für Magazine zu diesem Thema geschrieben. ­Vielleicht werde ich eines Tages sogar ein Buch darüber verfassen. Ich liebe es, über Musik zu schreiben.

Text: Fred Hanak

Fotos: Fafi

 

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