Crack Ignaz: »Ich wäre auch gern schön wie eine Frau.«

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»Kirsch« machte vieles anders. Die Produktionen, die Sprache, die Themen – all das war so smart und slick verpackt, dass man sich in der Redaktion dazu entschied, das Debüt des Jungen Ignaz zur Ausgabenplatte zu küren. Nun folgt auf den sommerlichen Kitsch prompt der zweite Streich. Und auf dem ist von Synth-Flächen und Autotune keine Spur mehr. Stattdessen knüpfte der progressive Beatmaker Wandl dem König der Alpen einen dichten Sample-Teppich. Das warf Fragen auf. Und zog uns an den Ort des Geschehens – nach Wien.

Vor vielen Jahren erzählte mir jemand sehr glaubhaft, die Stadt Wien läge in einer Art Dauerschlaf. Dass meine einzigen Eindrücke aus Fernsehbildern von herrschaftlichen Bauten aus der Gründerzeit bestanden und man in meinem Elternhaus von »morbidem Charme« sprach, machte die Sache nicht besser. Umso erfreulicher, dass seit einigen Jahren zunehmend spannende Musik meine klischeehafte Vorstellung langsam aber sicher zum Einstürzen brachte. Für einen Besuch in dieser Stadt war es längst Zeit.

Nun sitze ich in der S-Bahn in Richtung Wiener Zentrum und bin zugegebenermaßen etwas verwirrt. Denn zu meiner Rechten sitzen zwei in die Jahre gekommene Neuzeit-Hippie-Damen, die sich lang und breit über ihre persönlichen Erfahrungen mit Einhorn-Medizin austauschen und immer wieder verstohlen zu kichern anfangen, wenn sie sich über ihre mobilen Screens Photoshop-Großtaten samt Blitzen, Wasserfällen und diesen mystischen weißen Pferdekreaturen präsentieren. Noch verunsichernder ist nur, was zeitgleich durch die Kopfhörer schallt: Es rauscht, es knistert, leiernde Loops machen Gefangene, am Anfang knallt die 808, später meint man über lange Strecken gar keine Drums zu hören. Zwischendrin Vocal-Schnipsel in nicht identifizierbarer Sprache und Skits aus Feldaufnahmen, die offensichtlich den ­Entstehungsprozess dieses Albums festhalten. Das alles hätte vielleicht wenig überrascht, ginge es um eine Madlib-Platte. Dass nun aber Crack Ignaz rappt, sorgt für Konfusion.

 
Im Grunde ist das natürlich nur konsequent. Als der König der Alpen im vergangenen Sommer mit »Kirsch« die Blaupase für Lil B’sche Basedness diesseits des Atlantiks lieferte, war die Verwirrung vorprogrammiert. Immerhin geschah das über Melting Pot, jenes Kölner Imprint, das man bis dato eher als vorwärtsgewandte Boombap-Institution und jüngst auch als Outlet für wortgewandte Jungs wie Gold Roger oder Veedel Kaztro kannte. Nun wird auf MPM einmal mehr Swag-Talk betrieben, da ist die Rede von »messerstechenden Hawaras« und »custom made rosa Uzis«, außerdem macht man, dass es ganz viele lila Scheine regnet. Dass der based Schmäh diesmal auf Überproduktionen von Wunderkind Wandl platziert ist, die nach Sampling-Dogmen schreien und doch so gar nicht wie krautiges Bummtschack klingen wollen, macht »Geld Leben« vielleicht zum ersten wirklich spannenden Rap-Release des neuen Jahres.

Am Wiener Hauptbahnhof diskutiert man derweil über das Getränk des Abends. Blaue, gelbe oder rote Bierdose? In jedem Fall Stoli, jener feine Kartoffeltropfen, den man hierzulande vielleicht seit Yung Hurns gleichnamiger Hymne kennt. Auf dem Weg in die Wandl-Crib erzählt Ignaz vom großartigen letzten Abend, der in einem ranzigen Schuppen endete, in dem die Realness-Fraktion zum Cyphern geladen hatte. Gewisse Menschen, die sich wünschen, Ignaz’ Generation würde auf Parkplätzen Bawrs spitten, hätten so ihre Freude. Wandl erzählt dagegen, wie »die ganzen Skits auf dem Album eigentlich genau auf diesem Weg entstanden«, vom Rewe bis zur Wohnung, die den beiden als Studio diente. Am Ort des Geschehens angekommen, wechseln sich Youtube-Videos mit Diskussionen ab, es geht um rote Schuhe – dope oder schon längst über ihrem Zenit? – und bestimmte Clubs in Wien – Hipster-Schmelztiegel oder place to be? Fragen, auf die es vielleicht nie Antworten geben wird. Zeit, zumindest ein paar andere einzuholen.

Ignaz, im Zuge deines Debüts hast du erzählt, dass du extreme Sachen magst, weil sie für intensive Reaktionen sorgen. Wie war denn nun das Feedback auf »Kirsch«?
Ignaz: Insgesamt um einiges positiver als erwartet. Ich habe schon damit gerechnet, dass das Album wertgeschätzt wird. Aber ich dachte auch, dass ich noch ein paar mehr Leute richtig anpisse. Vielleicht haben die sich einfach nicht zu Wort gemeldet.

Wen hast du denn geglaubt anzupissen?

Ignaz: Leute, die ein gefestigtes Bild von mir hatten, deren Dream ich vielleicht zerstört habe. Leute, die irgend ’nen harten Scheiß erwarten. Oder…
Wandl: Backpacker. (lacht) Leute haben schnell eine fixe Meinung zu dem, was man macht – dafür reicht manchmal eine Headline. Dabei weiß man eigentlich nur selbst als ­Musiker, wo man gerade im Kopf ist.

Also habt ihr euch an »Geld Leben« gesetzt, um endgültig für Verwirrung zu sorgen?

Wandl: (lacht) Auf jeden Fall.
Ignaz: Savage. Das wär schon geil, zu verwirren, oder? (lacht)
Wandl: Ich glaube, das ist unvermeidbar. Nach »Kirsch« erwartet niemand dieses Album.

Ich disse keine anderen Rap­per. Andere Rapper sind für mich nicht existent. – Crack Ignaz

»Geld Leben« überrascht jedenfalls schon mit seinem Sample-Sound.
Ignaz: Das glaube ich auch. Und das finde ich gerade nice.
Wandl: Erik Satie hat schon gesagt…
Ignaz: Erik wer?
Wandl: Der Komponist.
Ignaz: Jetzt redet der schon von Komponisten, Oida!
Wandl: Jedenfalls meinte er, es mache ihm Spaß, seine Bewunderer hinters Licht zu führen. Mit jedem Release lässt sich mit Erwartungen spielen. Es ist total super, den Leuten so zu sagen: Ihr könnt’s ma näd einordnen, fickts oich einfach! Auch wenn ich da nicht unbedingt drüber nachdenke, wenn ich Musik mache – da mache ich einfach den Shit, den ich gerade fühle.

Wie sah dieses Gefühl bei »Geld Leben« aus?
Ignaz: Boah, was war das Hauptgefühl?
Wandl: Freundschaft. (Ignaz lacht)
Ignaz: Ein Drittel Freundschaft, ein Drittel Drogen und ein Drittel…
Wandl: Broke sein!
Ignaz: Perfekt, ja! Wobei es mir eigentlich schwer fällt, das Feeling der Platte zusammenzufassen. Für mich sind das mehrere Episoden: Erst ist da der Enthusiasmus des Sommeranfangs – und dann wird’s trippy. Das ist so ein blödes Wort, aber das Gefühl, den Bezug zur Realität zu verlieren, ist für mich schon stark bei diesem Album.
Wandl: Man kann sich da auch total in den Klängen und Texten verlieren. Es herrscht immer so eine Unsicherheit. In dem Skit »Aeroplane«, der Anfang der B-Seite, gibt es einen passenden Vocal-Cut vom Ignaz: »Es kann in so viele Richtungen schiefgehen.« Bei vielen Tracks haben wir einfach keinen Fick gegeben und da ist eine komische Zerreißbarkeit entstanden. Boah, Deepness, Oida! Swah!
Ignaz: Bitte immer zitieren, wenn wir Swah sagen! (lachen)

Ihr habt gerade den Sommer angesprochen: Wann ist das Album entstanden?
Wandl: Im Frühling habe ich mit den Produktionen angefangen. Ich habe mich auf den Sommer gefreut und hatte eigentlich Bock auf ein richtig sommerliches Feel-Good-Album: schöne Sample-Beats, über Geld rappen…
Ignaz: (lacht) Stimmt, so fing das an.
Wandl: Diese Stimmung hört man auch am Anfang der Platte noch, glaube ich. Da geht’s zwar schon verträumt los, aber auch noch relativ straight. Auf der B-Seite wird’s dann richtig trippy und zerfahren. Wir haben einfach viel experimentiert. So sind Dinger wie »Zähne & Augen« bei rausgekommen: zerfledderte Vocals über kaputte Beats. Im Laufe des Prozesses ist das Sommeralbum immer mehr zu einem Trip geworden.
Ignaz: Das ist voll abgerutscht. Wir sind richtig düster geworden, der Vibe war echt weird. Von Track zu Track entstand da eine ganz eigene Mentalität.

 

Ist das Ganze hier in der Wandl-Crib entstanden?

Ignaz: Die Vocals habe ich am Ende noch mal bei MC Pole aufgenommen – Shoutouts an Ghetto Bass Records. Aber ausgetüftelt haben wir alles im Wandl Dungeon.
Wandl: Ich bin hier am Tisch gesessen und er hat meist auf’m Boden rumgelegen oder am Klavier gesessen.
Ignaz: Nah, ich bin gestanden, Bruh!
Wandl: Die Skits haben wir auch hier in der Hood aufgenommen.
Ignaz: Ja, die san real life! Wir haben ­unsere Freunde abgehört beim Dope-­Hustlen und so. Den Teil, der die Leute snitcht, haben wir noch. Just in case, die Leute sollen wissen.
Wandl: Alter, du solltest dich auch nicht mit mir anlegen! Ich habe noch viele Aufnahmen, auf denen du andere Rapper hatest.
Ignaz: Nah, ich disse keine anderen Rap­per. Andere Rapper sind für mich nicht existent.

Apropos: Du bist auf diesem Album mehr Rapper als noch auf »Kirsch«, oder?
Ignaz: Ja, schon. Ich hatte auch die Absicht, mit dem Projekt ein bisschen mehr in die Disziplin Rap einzutauchen.
Wandl: Lustigerweise habe ich mir da auch Gedanken drüber gemacht. Ich verfolge Ignaz ja seit seinem ersten Track.
Ignaz: Stalker!
Wandl: Ich wusste jedenfalls, dass das ein kreativer Dude ist, mit dem man experimentieren kann.
Ignaz: So sweet von dir. Ich bin übrigens auch Fan von Wandl! Das Schöne an diesen Wandl-Beats: Da kann man sich reinlegen und die füllen so eine Leere, ein Loch in einem – no homo. (Gelächter) Das ist wirklich witzig bei uns beiden: Ich ficke mit 95 Prozent von dem, was er raushaut – instant.
Wandl: Es war auch cool, dass wir die meiste Zeit in einem Raum gesessen sind, über irgendeinen Scheiß geredet und viel Musik gehört haben. Für mich ist das Wichtigste beim Musik machen, selbst Fan zu bleiben, sich nicht zu genieren und einfach herauszupicken, was einem taugt. Swah!

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