Crack Ignaz: »Diese Cloudrap-Thematik ist eh schon überholt, oder?« // Feature

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Süß wie eine Mozartkugel. Austria’s Sweetheart. Jaja, LOL hier, lel da. Auch nach »Kirsch«, nach »Aurora«, selbst nach »Geld Leben« könnte man den Fehler machen, Crack Ignaz als Gimmick abzustempeln. Tatsächlich ist der Wahlwiener der versierteste österreichische MC seit Kamp. Ein Porträt.

Schuld an der Verwirrung ist gewiss auch der Dialekt. Mit Schmäh hat man nördlich des Weißwurstäquators eben nicht besonders viel am Hut. Viel irreführender ist jedoch »König der Alpen«, Ignaz’ bis dato größter Hit. Der Track, ein dreiminütiger Dada-Erguss zur Melodie von Ponchiellis »Tanz der Stunden« (hierzulande primär bekannt durch das Werbejingle eines Lieferanten für Tiefkühlkost), erscheint im Mai 2015 über Live From Earth. Sechs Wochen, bevor Yung Hurns »Nein« eine Art Urknall beim Berliner Label auslöst, stakst Ignaz im Clip in Herzerl-Sonnenbrille und White Tee durch eine verschneite Berglandschaft und referiert über die eigene Grandeur: swaggy, sexy, fröhlich, fame und so.

Natürlich hat Based God Lil B einen zentralen Einfluss auf Ignaz’ Kunst. Der Klamaukigkeit der Alpenhymne ist er folglich bislang nicht überdrüssig: »Ich find’s geil, wenn das Aushängeschild etwas Untypisches ist. Ich hab diese romantisierte Vorstellung davon, dass jemand ganz unbefangen den Song hört und ihn lustig findet; und das dazu führt, dass er ganz neue Musik kennenlernt, wenn er andere Sachen von mir hört. Mir geht es da auch um das Bewusstsein, sich selbst nicht einzukas­teln«, resümiert Ignaz Anfang November in Berlin. Es ist kurz nach 19 Uhr, wir treffen uns im Büro seiner Bookingagentur unweit vom U-Bahnhof Schlesisches Tor. Das Shooting für sein erstes JUICE-Cover ist erfolgreich absolviert, vor ihm steht jetzt, lange nach Sonnenuntergang, endlich die erste Mahlzeit des Tages: Burger, Fritten und Helles vom Späti. Heit is a guada Tag. Des is was rennt.

Das Nicht-Einkasteln, also die komplette Abstinenz jeglicher künstlerischer Selbsteingrenzung, ist tatsächlich Ignaz’ größte Stärke als Rapper. Während er dieses Talent von 2012 bis 2014 immer wieder auf Mixtapes durchblitzen ließ, macht er seit 2015 ernst: auf besagten Berggipfel-Dadaismus folgte klebrig-süßer Zukunftspop (»Kirsch«), dann verschroben-düsterer Sample-Wahnsinn (»Geld Leben« mit Wandl), der wenige Tage später vom Echsenmenschen-Turn-up mit Geistesbruder GoonyAurora«) ausgehebelt wird.

Sein jüngstes Werk »Marmeladé« ist wieder ein Ignaz-Tape im klassischen Sinne: Skizzenhafter als zuletzt flext er wie ein junger T.I. auf Heimorgel-Trap (»Wue i seng«), croont gut gelaunt (»K1 Zeit«) oder schwebt wie Devin The Dude auf einer Kush-Wolke durch den Raum (»Nu an drahn«). Ignaz ist kein offensichtlicher Technik-Nerd, sein Flow-Repertoire bleibt trotzdem beachtlich. Den anno Zwosechzehn vielbeschworenen Vibe exportiert er seit Jahren über die Landesgrenzen der Alpenrepublik; Adlibs sind keine Pflicht, sondern in der Regel die mit Bestnoten absolvierte Kür.

Bist du real?

Explizite Details aus dem Leben hinter der Kunstfigur sucht man allerdings vergebens. Crack Ignaz bleibt zumeist mystischer Antiheld, der Typ mit Extendos in der Glock, Crackpot auf dem Herd und einer Mailbox voller sehnsüchtiger Nachrichten deiner Freundin auf dem Trap Phone. »Alles, was ich mach, hat mit mir zu tun«, sagt er. Seinen bürgerlichen Namen und sein Alter hält er trotzdem genauso geheim wie alles annähernd Persönliche. »Ich will meine Ruhe haben. Wenn’s bei anderen Rappern um private Details geht, fühlt sich das oft wie Marketing an. Wenn jemand weinerliche Musik macht, will ich nicht wissen, was ihn dazu getrieben hat, sondern höre nur hin und feele seinen Pain mit ihm, ohne das zu hinterfragen.« Aus dieser Herangehensweise an die Rezeption anderer Kunst ergibt sich auch die Maxime fürs eigene Schaffen: Inhaltliche Realness ist unwichtig, aber die Persona und ihre Attitüde müssen real sein. Einzige Mucke, wo man das, was man sagt, auch verkörpern muss? Gegenfrage: Was ist realer als ein dunkelhäutiger Mundart-Rapper, der in seinem eigenen Schmäh vom Struggle in der Trap erzählt? Eben.

Wichtiger als die müßige Diskussion um Echtheit ist die Beharrlichkeit, mit der Ignaz und seine Hanuschplatzflow-Posse ihren Film fahren. Während Deutschrap 2012 noch barfuß durch Birkenwälder irrt, um Benjamin Griffeys Befindlichkeits-Grind möglichst detailgetreu zu kopieren, ist man an der Salzach bereits »­Based im Nebel«. Schon im Sommer 2013 findet sich »Elvis«, das zeitgleich als White­label-12’’ über den Kölner Auskenner-Imprint Up My Alley erscheint, auf JUICE-CD #117 wieder. Der Track ist eine erste Duftmarke von »Bianco«-Beatmaker Lex Lugner, angelehnt an den verschallerten Sound eines Clams Casino. Der Song liefert gleichzeitig die letzte Gelegenheit, den mit seinem schleppenden Flow und zähen Schmäh kaum einzuordnenden Ignaz richtigerweise als Cloudrapper zu bezeichnen. Einziges Problem: Niemand kommt auch nur annähernd auf die Idee.

Als die Cloudrap-Diskussion in Deutschland Jahre später immer groteskere Formen annimmt, ist A$AP Rocky längst Popstar, während sich das Bay-Area-Duo Main Attrakionz und Florida-Weirdo Spaceghost Purrp bereits wieder Richtung Obskurität verabschiedet haben. Dementsprechend unklar bleibt die hiesige Definition des Nicht-Genres auch für Ignaz: »Das, was da zu einer vermeintlichen Szene zusammengefasst wird, ist sehr heterogen. Ich tue mich schwer, eine Verbindung zu erkennen. Aber diese Cloudrap-Thematik ist ja eh schon überholt, oder? Juicy Gay und Yung Hurn, das ist doch ein Unterschied wie Tag und Nacht!«

Statt in die Wolken richtet man den Blick dieser Tage lieber Richtung Business: »Marmeladé« erschien Mitte November über das frisch aus der Taufe gehobene eigene Label Airforce Luna. Nach ersten Erfahrungen mit anderen Labels seien LGoony und er zu dem Entschluss gekommen, nur so die eigenen Visionen umsetzen zu können, erklärt er mir wenige ­Wochen nach unserem Treffen via Facebook-Chat. »Aurora 2« stehe auch noch auf der Agenda, aktuell wären jedoch die Arbeiten an einem noch viel ignoranteren Soloprojekt von höherer Priorität. Ob das Bevorstehende in ­Sachen Ignoranz mit Chief Keef mithalten könne, will ich wissen. »Mindestens«, grinst Ignaz und zweifelt dann doch kurz: »Chief Keef is schon der Weltmeister.« ◘

Foto: Sascha »HEKS« Haubold

Dieser Text erschien als Teil unserer #DeutschrapsZukunft Titelstory in JUICE #178 (hier versandkostenfrei bestellen).

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