Changing the (Rap-)Game: Frauen übernehmen // Feature

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Auch Young M.A musste bereits negative Erfahrungen aufgrund ihres Erscheinungsbilds machen: Ein früherer Manager hatte ihr geraten, sich zugunsten kommerziellen Erfolgs femininer zu kleiden und femininer zu rappen. Doch statt auf ihn zu hören, beendete sie die Zusammenarbeit und gründete ihr eigenes Label RedLyfe. Mittlerweile rappt Nicki Minaj über Young M.As »Ooouuu«-Beat, und 50 Cent hat sogar einen Remix davon veröffentlicht. Doch bis es soweit war, musste die 24-Jährige einige innere Kämpfe austragen, darunter die Bewältigung des Todes ihres Bruders und den Umgang mit ihrer eigenen Homosexualität. Letztere verhandelt sie mittlerweile offen in ihrer Musik. In »Wet Wet« auf »M.A The Mixtape« rappt sie über Oralsex mit einer Frau: »I put my tongue all in it/I can make her come in five minutes.« Neben diesem neugewonnenen Selbstbewusstsein hat aber vor allem ihre aktive persönliche Netzwerkpflege in Sozialen Medien zu ihrem schnellen Erfolg beigetragen, sodass mittlerweile sogar Beyoncé »Ooouuu« auf Instagram promotet hat.

Auch die Hamburgerin Haiyti aka Robbery profitiert enorm von Social-Media-Kanälen – unter anderem durch den Hype um ihre Youtube-Videos. In denen erzeugt sie eine Ästhetik, die sich nicht mehr allein mit Kategorien wie authentisch oder ironisch erklären lassen. Sie spielt mit übertriebenen Gangster-Bling-Bling-Einlagen genauso wie mit überzeichneter, gebrochener Romantik. Bezüge aus dem eigenen Kontext verwendet sie eher subtil, während Referenzen zu US-amerikanischen Künstlern unverkennbar sind und sich irgendwo zwischen Hommage und Parodie bewegen. Musikalisch setzt sich Haiyti keine Grenzen, auch nicht in der Frage, mit wem sie zusammenarbeiten soll – die Liste reicht von Moneyboy bis Frauenarzt. Selbst bei Haftbefehl und Xatars Coup-Projekt konnte sie sich im Song »Gib Geld« mit einem Feature positionieren. Trotzdem blieb der kommerzielle Erfolg mit dem Release ihres Debütalbums »Havarie« im Jahr 2015 erst noch aus – genauso wie das Ergattern eines Plattenvertrags. Ihr gefeiertes Gratis-Mixtape »City Tarif« veröffentlichte sie im März daher ohne Label-Unterstützung.

Und auch wenn Frauen in der hiesigen HipHop-Szene nach wie vor eine Minderheit darstellen und es möglicherweise wichtig wäre, diesen Umstand öffentlich zu diskutieren, wird Haiyti in Interviews nur ungern auf das Thema Geschlecht angesprochen. So wie Princess Nokia nicht auf ihre Herkunft reduziert werden will, möchte Haiyti in erster Linie als Rapperin wahrgenommen werden – nicht als Vertreterin des Genres Female Rap, wie sie in einem Interview mit Noisey mal erzählt hat.


 
Aber Indielabel hin, Majorlabel her: Letztere sind weiterhin wichtig, wenn es darum geht, Rapperinnen aufwändige Produktionen zu ermöglichen wie im Falle von Nicki Minaj oder der Chicagoer Rapperin Dreezy, die erstmals größere Aufmerksamkeit mit ihrem Nicki-Minaj-Remix »Chi-Raq« erhalten hat. Dieses Jahr ist Dreezy nun aus dem Schatten der Rap-Größe – all hail Nicki – herausgetreten und hat auf dem Majorlabel Interscope ihr Album »No Hard Feelings« veröffentlicht. Sie selbst sagt, dass es ein Risiko sei, eine Frau zu signen, macht gleichzeitig aber vor, dass es möglich ist. Immerhin ist Dreezy mit »No Hard Feelings« über sich selbst hinausgewachsen. Nicht nur, dass sie sowohl ihre Rap- als auch ihre Gesangs-Skills zur Geltung bringt, ihr Label hat ihr auch hochkarätige Features mit Künstlern wie Gucci Mane, T-Pain und Jeremih ermöglicht. In Interviews wird sie dennoch nicht müde zu betonen: »Lest euch Verträge genau durch und schaut, wer eure Interessen vertritt und eure Vision versteht. Unterzeichnet keinen Vertrag aus schierer Verzweiflung und macht euch euren Wert bewusst.«

Nicki Minaj, die laut Billboard erfolgreichste Rapperin aller Zeiten, hebt immer wieder die Bedeutung von Frauen im Rap hervor. Dabei nimmt die Rapperin mit trinitarisch-amerikanischen Wurzeln eine Sonderstellung ein – wie andere Mainstream-Rapperinnen vor ihr auch: Missy Elliott, Lil’ Kim, Salt-N-Pepa oder Lauryn Hill. Jede Handlung, jedes Video, jedes Album steht unter genauer Beobachtung der Öffentlichkeit. Schon während der Aufnahmen ihres Platin-Debüts »Pink Friday« (2010) war Nicki Minaj bewusst, welche Rolle der Erfolg der Platte auf die Majorlabel-Industrie haben würde: Wenn sie mit Young Money Entertainment im Rücken nicht genug verkauft hätte, wäre das der Präzedenzfall für A&R-Abteilungen gewesen, um keine weiteren Rapperinnen mehr unter Vertrag zu nehmen. Wer Minaj anlastet, sie sei zu poppig, sollte sich ihre Rolle im HipHop-Business vergegenwärtigen.

Auf hundert erfolgreiche Rapper in der Geschichte des HipHop gibt es vielleicht zehn Mainstream-Rapperinnen wie Nicki, und die müssen dann immer auch eine vermeintliche Vorbildfunktion erfüllen. Wenn sie die nicht erfüllen, indem sie frech, körperbetont und -bewusst sind, werden sie von der breiten Öffentlichkeit abgestraft. Nach wie vor herrschen im HipHop die altbekannten Doppelstandards für Frauen: Sei es die Kritik an ihrem Körper und ihrer Freizügigkeit, das Andichten von Affären mit männlichen Kollegen oder Sellout-Vorwürfe. Nicki Minaj wird aber auch 2017 zeigen, dass sie die unangefochtene Queen B des HipHop ist. Dann nämlich droppt sie ihr nächstes Album. ◘


 
Text: Nadine Schildhauer & Justine Donner

Dieses Feature erschien in JUICE #178 (hier versandkostenfrei bestellen).

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