Audio88: »Ich würde sagen: Hass kann man trainieren« // Interview

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Er bleibt Deutschraps schlechtes Gewissen: Wo andere Rapper ob der Beschissenheit der Dinge gerne mal eine Träne verdrücken oder moralisch den Zeigefinger heben, da verteilt Audio88 weiter Schellen. Seine aktuelle EP »Sternzeichen Hass« legt bereits im Titel nahe, dass Abneigung für Yassins bösere Hälfte nicht nur eine Phase ist. Er ist geboren für das.

Kommt man mit Hass auf die Welt, oder entwickelt der sich erst?
Es gibt eine Menge Studien aus der Hirnforschung, die besagen, dass Hass, wie fast alles, veranlagt ist. Aber ich glaube, solche Emotionen kommen irgendwoher – aus Erfahrungen und Beobachtungen. Ich würde sagen: Hass kann man trainieren.

Ist Hass ein Problem oder Mittel zur Bewältigung von Problemen?
Beides.

War von vornherein klar, dass »Sternzeichen Hass« ein Solo-Release wird?
Ja. Ich hab die Platte parallel zu den Sachen mit Yassin geschrieben, und da ich solo oft andere Beats benutze und die Songstrukturen anders angehe, ist schnell klar, wofür ein Song gedacht ist.

Wie kam es zu der Kollaboration mit dem Mindener Produzenten Lord Scan, der früher das Soundbild von Curse und Der Klan geprägt hat?
Vor zwei Jahren gab es ein Interview mit Lord Scan, nachdem man ewig nichts von ihm gehört hatte. Darin wurde er darauf angesprochen, dass ich ihm immer wieder Props gebe. Gleichzeitig hat er erzählt, dass er stets von Leuten nach Beats gefragt wird, aber keiner dafür zahlen möchte. Daraufhin hab ich mir seine Mailadresse besorgt und ihm eine richtige Fanmail geschrieben. Weil er meine Musik gar nicht kannte, hab ich ihm eine Kiste Platten zukommen lassen, woraufhin er mir diverse Beat-Ordner geschickt hat, aus denen ich dann einen gepickt hab.

Arbeitet er denn noch kontinuierlich an Beats?

Die Ordner, die ich bekommen habe, hießen »2004«, »2005«, »2006« und »2007«. Der Beat von »Dosenpfirsiche« ist von 2007, und soweit ich weiß, ist der Beat tatsächlich seine erste Veröffentlichung seit zehn Jahren.

»Es gibt genügend Feindbilder, die es verdient haben, Punchlines zu kassieren«

Sowohl textlich als auch in Sachen Beats wird deine EP hinten raus entspannter – hast du das so konzipiert?
Ja – schön, dass man das raushört. Natürlich weiß ich, dass meine Solosachen anstrengend sein können, also hau ich die große Keule direkt zu Beginn raus. Wenn man sich damit arrangiert hat, kommt man zumindest noch mit einem halbwegs positiven Gefühl raus.

Welchen Stellenwert hat Misanthropie in deinem Schaffen?
Das steht in so ziemlich jedem Text über mich, ist aber eher deskriptiv als präskriptiv. Ich hab mir nicht überlegt, dass ich der Misanthropen-Rapper sein will, aber anscheinend hab ich viele Charakterzüge von dem, was man so unter Misanthrop versteht. Ich sehe den Ursprung meiner Musik aber auch viel eher im Battle- als im Consciousrap. Ich such mir dann nur eben keinen fiktiven Wack-MC, den ich lyrisch kaputttrete, sondern Züge von Menschen, die mich in meinem echten Leben tangieren. Es gibt genügend Feindbilder, die es verdient haben, Punchlines zu kassieren, und die es auch eher trifft als irgendeinen fiktiven Charakter. Den triffst du schließlich nicht, weil es ihn ja nicht gibt.

In »Direkter Vergleich« thematisierst du eine Verantwortung, Missstände anzusprechen. Künstler weisen das gerne von sich. Hat dieser Gedanke etwas mit deinem gewachsenen Erfolg zu tun?
Nicht bewusst. Generell denke ich beim Schreiben nicht viel darüber nach, wie irgendwas ankommt. Es kann aber gut sein, dass dieser Gedanke unbewusst mitgeschwungen ist.

Spürst du mittlerweile Erfolgsdruck beim Schreiben?
Nee, irgendwie nicht. Aber als Yassin und ich uns dazu entschieden haben, Berufsmusiker zu werden, hatte ich Angst; davor, dass der Druck größer wird, überhaupt was zu schreiben – und ich dachte mir, dass es natürlich nicht verkehrt wäre, wenn sich das Ganze halbwegs okay verkaufen würde. Andererseits liegt unser Erfolg ja auch gerade in dem, was wir machen und wie wir es machen. Wir sind nicht dadurch gewachsen, dass wir uns verbogen haben.

In zwei von acht Songs verhandelst du die Flüchtlingsthematik. Wieso gerade jetzt?
Daran kommt man nicht mehr vorbei. Das ist ein Thema, das mich beschäftigt. Wenn ich Nachrichten sehe und die Reaktionen auf Berichte zu dem Thema, frage ich mich oft: »Was seid ihr für beschissene Hurensöhne?« – das bestärkt mich in meiner eh schon schlechten Meinung von den meisten Menschen. Wenn man dann wieder zurück zum Battlerap kommt und sich fragt, welche Gegner ein paar auf die Fresse verdienen, dann sind es genau diese Menschen – und die können sich auf der Platte hundertmal ihr Fett abholen.

»Wenn man […] sich fragt, welche Gegner ein paar auf die Fresse verdienen, dann sind es genau diese Menschen«

In »Trottel« schießt du aber auch gegen Battlerap. Was für ein Problem hat die Szene deiner Meinung nach?
Leute, die irgendwelche 30-minütigen Diss­tracks mit teuren Videos machen, würde ich gar nicht als Battlerap-Szene betrachten – das ist eher Internet-Beef. Bei einer Szene wüsste ich gar nicht genau, von wem wir eigentlich sprechen.

Ist es dann eine Battle-Kultur, die du kritisierst?
Vieles läuft halt auf die oft benutzte Vokabel Promobeef hinaus. Das ist Brot & Spiele in der Vorbestellerphase.

Gibt es dabei zu viel oder zu wenig Hass?

Es gibt zu wenig echte Gründe, solche Songs zu machen; kein echtes Anliegen. Das ist lediglich Aufmerksamkeitshascherei. Unterhaltsam ist es natürlich trotzdem.

Wirklich?
Ja, klar. Aber ich guck mir halt auch jede Menge Sachen an, die ich richtig beschissen finde, weil es mich belustigt. Wenn wir auf Tour sind, hören wir mindestens die Hälfte der Zeit richtig beschissenen Deutschrap und amüsieren uns, weil es so absurd ist, was es für Platten gibt.

Oft bemängelst du auch fehlende Kreativität. Hast du selbst Angst davor, dich zu stark zu wiederholen?
Da sind wir wieder beim Thema: Ich mach mir nicht so viele Gedanken darüber, was ich mache, wenn ich es mache. Ich versuche für mich einfach, die bestmögliche Musik zu schreiben, und kann mich dann hoffentlich darüber freuen, dass es anderen Leuten auch gefällt. Ich muss aber auch nicht Rapper bleiben, bis ich siebzig bin.

Text: Sebastian Berlich
Foto: Paul Gärtner

Dieses Interview erschien erstmals in JUICE #180 (hier versandkostenfrei nachbestellen).

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