Anderson .Paak & BJ The Chicago Kid: A New L.A. Breed // Feature

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»Es ist traurig: Black Music ist zur Clubmusik mutiert«, attestierte Michael »D’Angelo« Archer der afro-amerika­nischen Popkultur zum Millennium. Für über eine Dekade sollte er damit recht behalten. Groß waren zur Jahrtausendwende die kollektiven Vorsätze von einer Gesellschaft im Wandel. Bis auf die Haut wollte man sich renovieren. Vor allem vollständig vernetzt sein, endlich Anschluss an die große Datenpanik finden. Den kulturellen Reset-Knopf drücken. Kurzum, Schnelllebigkeit optimieren. Das war zu Beginn der Nullerjahre noch eine positiv konnotierte Wunschvorstellung. Nach dem lauten Korkenknall stellte sich der Glanz in den Augen eines neuen Bewusstseins hingegen als Verblendung einer übermotivierten Sucht nach Umsortierung heraus. Grobe Orientierungslosigkeit machte sich breit. Das einst so stolze Gesicht der US-amerikanischen Soul-Musik vergrub sich nach dem 25. Januar 2000 aus Angst vor Modernisierung in tiefem Selbstmitleid. »Voodoo«, das zweite Studioalbum von Archer, war ab diesem Tag für eine lange Zeit der letzte große Meilenstein des R’n’B und gilt bis heute als Maßstab für geschmackssicheren Neo-Soul.

Brandon Paak Anderson besuchte zu jener Zeit gerade die sechste Klasse seiner Highschool in Oxnard, Kalifornien. »Ich war noch so naiv. Damals dachte ich wirklich, die Welt gehe unter. In den Nachrichten hieß es überall, sämtliche Computersysteme würden abstürzen.« Als das MTV-Format »TRL« noch ein relevanter Indikator für musikalische Trends darstellte, flimmerte D’Angelo mit dem bahnbrechenden Video zur dritten Singleauskopplung »Untitled (How Does It Feel)« auch über Paaks Röhrenfernseher. »Ich verstand das Album damals nicht. Wahrscheinlich war ich zu jung. ‚Brown Sugar‘ war da wesentlich zugänglicher. Als ich älter wurde, verstand ich aber nach und nach dessen Bedeutung. Mittlerweile ist es ein Album, das sich mit jedem Moment weiterzuentwickeln scheint. Einige meiner absoluten Lieblingsinstrumentalisten spielen auf dieser Platte: Pino Palladino am Bass, Roy Hargrove am Horn. Und was Questlove an den Drums treibt, veränderte nachhaltig das Game.«

Vielleicht ist es auch The-Roots-Schlagzeuger Ahmir Khalib Thompson zu verdanken, dass Paak die Liebe zur Musik fortan zunächst am Drumset kanalisierte. »Meine Musik entsteht intuitiv und reflexartig. In der Kirche meiner Eltern lernte ich, wie ich einerseits einer Lead folge, andererseits die Lead selber vorgebe. Ich lernte, verschiedene Tempi und Energien umzusetzen. Gospel ist schnell und sehr dynamisch, fast so wie Fusion-Jazz. Musikalisch war die Kirche meine Schule.« Als eines der wenigen afro-koreanischen Kinder der Vorstadt kapselte sich Paak während der Schulzeit von seinen Mitschülern ab. »Die meiste Zeit hing ich mit meiner Familie ab und machte Musik. Aufzuwachsen war ziemlich unkompliziert. Ich war ein verwöhnter dummer Junge, der nur Augen für sein Hobby hatte.« Durch einen Deal mit den Eltern sparte Paak sich sein erstes, kleines Studio zusammen: Für das Engagement in der Kirche erhielt er pro Woche einhundert Dollar bar auf die Hand. Bereits im zweiten Highschool-Jahr konnte sich Paak so ein Drumset, Turntables und eine MPC leisten.

In jenem Alter von 17 Jahren begann für den jungen Musiknerd allerdings die zweite Phase des Erwachsenwerdens. Die Schattenseiten des florierenden elterlichen Geschäfts mit dem Anbau von Erdbeeren holte das Familienidyll schließlich ein. »Als mein Stiefvater und meine Mutter wegen Unterschlagung von Geldern in den Knast mussten, änderte sich von jetzt auf gleich alles. Ich musste vorerst aufhören mit dem Musizieren und hielt mich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Obwohl ich Stabilität im Leben suchte, trieb ich relativ ziellos umher und schlief auf verschiedenen Sofas.« Der millionenschwere Betrug der Mutter riss Paak allerdings nicht zum ersten Mal aus der Traumblase. Zehn Jahre zuvor wurde er Zeuge häuslicher Gewalt, als der leibliche Vater die Tür zum Appartement betrat und Andersons Mutter nur knapp am Tod vorbei prügelte. »Das war das letzte Mal, dass ich meinen Vater lebend gesehen habe.« Jahre später trug Paak seinen Vater zu Grabe. Psychische Probleme und schwerer Drogenmissbrauch trieben den unehrenhaft entlassenen Mechaniker der Air Force in den verfrühten Tod.

 

Nach gescheiterter erster Ehe und dem plötzlichen Verlust des Jobs als Plantagenarbeiter einer Marihuana-Farm schien Paak fürs Leben geläutert. »Irgendwann entschied ich mich, nach Los Angeles zu gehen. New York erschien mir immer als zu groß. Ich bin ein Kind Kaliforniens. All die Musik, die ich liebte, kam daher. Erst lebte ich im Valley, dann ging’s nach Hollywood, später zog ich nach Inglewood, bis ich am Ende wieder zuhause in Oxnard landete.« Seit der Geburt des Sohnes Soul in zweiter Ehe sortiert sich das Chaos sukzessive. Ein kräftiger Karrieresprung lockt den Sänger schließlich zurück in die Stadt der Engel.

Als Studiodrummer und persönlicher Assistent von Sa-Ra-Mitglied Shafiq Husayn machte sich Paak erstmals einen Namen unter dem Pseudonym Breezy Lovejoy. Einige Bandcamp-Uploads später, veröffentlichte das Berliner Independent-Label Jakarta Records mit »O.B.E. Vol. 1« Paaks ersten physischen Tonträger. Seit dem Debütalbum »Venice« geht es als Anderson .Paak rapide bergauf. Der ewige Hustle scheint sich endlich auszuzahlen. Eine erste Kostprobe der Kollaboration mit Beatschmied Knxwledge änderte den bis dato zähen Lauf der Dinge ein für allemal: »Glens Produktionen sind so erfrischend. Das habe ich gebraucht. Er hat mir den Weg zu meiner Kunstfertigkeit ­gezeigt. Alles wirkt nun in die richtige Perspektive gerückt. Strukturell ist der Sound eigentlich super simpel aber dennoch so soulful. Das hilft mir, abzuliefern. ‚NxWorries‘ ist fertig. Das ist mein bisher bestes Material.«

Kurz nachdem das Label Stones Throw mit »Suede« die erste Single in der hauseigenen Klangwolke bereitstellte, klingelte das Telefon. Der perfekte Zeitpunkt: »Ich schätze, ich steckte in einer Phase, nach der Dr. Dre gerade suchte. Obwohl ich erst sehr wenig Material veröffentlicht hatte, war mit ‚Suede‘ bereits mein Potenzial als Charakter erkennbar.« Nun scheint Paaks Erfolgsgeschichte weitestgehend auserzählt, denn sie passt bislang noch auf wenige Seiten Papier. In dem gelenkigen Gastspiel auf Dres finalem Opus »Compton« ließ er die Quintessenz einer neuen Art der Alpha-Vokalisten kulminieren. Die Stimme klingt echt und unverbraucht. Sie ist rau und leidet, wenn sie nicht dem High Life frönt. Dennoch ist sie versiert genug, in verschiedene Rollen zu tauchen.

Nicht nur Dre erkannte für sich, wie er das Momentum eines der nächsten großen Namen für sich instrumentalisieren kann und nahm den Neuling jüngst bei seinem Aftermath-Imperium unter Vertrag. The Game ließ Anderson für Teil zweieinhalb von »The Documentary« gleich zweimal hintereinander antreten. In den avantgardistischen Feinschmeckerkreisen Peanut Butter Wolfs bedient man sich nun nur allzu gerne an der ungebändigten Energie des Senkrechtstarters. Und das Produzenten-Duo Blended Babies widmete ihm gleich eine ganze EP, für die sich Paak in sämtlichen Featureklammern austobte.

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