Ahzumjot: »Wenn der Hörer das peilt, setzt sich nach und nach ein Puzzle zusammen« // Interview

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Mixtape, Album, Street-Album, EP? Seit jeher diskutieren Rap-Fans aufgewühlte über die Semantik der verschiedenen Formate. Angekommen im Streaming-Zeitalter, ist die Playlist auf dem besten Weg, das Album als wichtigste und meist beachtete Form der Musikveröffentlichung zu ersetzen. Das schafft Räume für ganz neue Release-Strategien – ein Potenzial, das der Wahlberliner Ahzumjot erkannt hat. Sein Playlist-Album »Raum« erscheint nicht an einem Stichtag, sondern über einen Zeitraum von mehreren Monaten. Song für Song fließt ins Internet, bis am Ende ein geschlossener Langspieler steht.

Wann ist dir zum ersten Mal bewusst geworden, welche Chancen der Digitalvertrieb von Musik bietet?
Das erste Mal über so ein Konzept nachgedacht habe ich, als Kanye »Life of Pablo« veröffentlichte und meinte, dass er das Album im Anschluss noch verändern möchte. Der Begriff wurde dann groß, als Drake »More Life« eine Playlist genannt hat. Da allerdings hätte ich mir sehr gewünscht, dass er etwas ähnliches macht: Songs nach und nach veröffentlicht, verändert, austauscht. Im Endeffekt war es ja einfach nur ein Album.

Welcher ist der älteste Song, der Teil von »Raum« sein wird?
Das ist »Retail«. Als ich den veröffentlicht habe, wusste ich auch schon, dass ich das Playlist-Album plane. Für einen Künstler wie mich bietet sich dieses Konzept an, weil ich musikalisch alles selber mache, selbst Mix und Mastering. Für mein letztes Album »Luft und Liebe« ist beispielsweise der Song »Geh nicht« erst am Tag der Abgabe beim Digitalvertrieb entstanden.

Arbeitest du nun mehr an einzelnen Songs denn am roten Faden des Albums?
Ich habe das Gesamtkonzept immer im Hinterkopf. Es erscheint dann zum Beispiel ein Song wie »Atme Gold«, der im Outro den Song »Geier« einführt, der schon vorher erschienen ist. Wenn der Hörer das peilt, setzt sich nach und nach ein Puzzle zusammen. Die vielleicht nach außen hin zunächst wahllos wirkende Zusammenstellung von Songs ist alles andere als wahllos. Selbst ein Song wie »Stunten«, der inhaltlich aus dem »Raum«-Konzept rauszufallen scheint, passt, weil der Raum auch ein Ort ist, an dem alles erlaubt sein soll.

Entzerrt sich deine Arbeitsweise, wenn du wöchentliche Abgaben hast anstatt eines finalen Stichtags?
Es entsteht eine andere Kontinuität. Ich höre oft, ich sei im Moment der Rapper mit dem größten Output und vermutlich stimmt das. Ich hab seit »Minus« ununterbrochen produziert. Das Playlist-Album kommentiert auch das, weil gefühlt ständig neuer Ahzumjot-Content erscheint. Ansonsten wäre jetzt seit »Luft & Liebe« Pause gewesen bis vielleicht Januar, wenn »Raum« als klassisches Album hätte erscheinen können. Das wäre auch nicht schlimm, ich habe ja keine Angst, vergessen zu werden. Ich habe aber einfach Bock, Musik zu veröffentlichen und kann das jetzt jede Woche, ohne darauf zu warten, dass jemand sagt: »Das ist aber unklug, in der Woche veröffentlicht Peter Maffay.« In der Woche von Peter Maffay geht der Song dann vielleicht unter. Dafür geht der nächste Song eine Woche später viral. Und dann guckt jemand auf die Playlist und stellt fest: »Ach, da war ja letzte Woche schon ein Song, den ich gar nicht gecheckt habe.«

Das Instrumental-Stück »Fil1 Cutoff 16Hz« ist ein gutes Beispiel dafür, wie »Raum« versucht, jedem Song eine gleichberechtigte Bühne zu geben. In klassischen Release-Strukturen würde man sowas wohl kaum vorab veröffentlichen.
Klar, das ist keine klassische Single. Selbst auf diesem Projekt gibt es ja irgendwie Singles, dadurch, dass ich zu manchen Tracks ein Video mache. Auch mit oder ohne Feature spielt eine Rolle.

Ist das ein Widerspruch? Jeder Song, den du vorab veröffentlichst, funktioniert dadurch ein bisschen wie eine Single. Gleichzeitig tust du einem Instrumental-Stück oder einem Skit vielleicht sogar unrecht, weil man es ohne Album-Kontext gar nicht ganz verstehen kann.
Das ist eine gute Frage. Mein Gedanke ist aber, Tracks wie diesen Instrumental-Song zu pushen. Ich glaube, viele Leute feiern mich auch, weil ich auch produziere und sie die Beats geil finden. Trotzdem würde ein Instrumental-Song im klassischen Album-Kontext nicht oft gehört werden. Jetzt wird er mehr wertgeschätzt, weil viele, die ihn geskippt hätten, sich einfach über neuen Ahzumjot-Content freuen und sich anders darauf einlassen. Du brauchst ja eine viel kürzere Aufmerksamkeitsspanne, wenn du dich einmal die Woche vier Minuten mit Ahzumjot beschäftigen musst. Dann kann es eben auch mal ein Instrumental sein.

Auch auf »Luft und Liebe« hattest du mit dem »Fuccboi Freestyle« oder dem »Lowkey Edit« schon Mut zu einer unfertigen Ästhetik.
Mir macht es keinen Spaß, einfach nur Hits zu produzieren. Ich gehe auch nicht an jeden Song mit dem Anspruch heran, ein kunstvolles Meisterwerk zu schaffen. »Stunten« hat einfach nur Bock gebracht. Ich experimentiere aber auch gerne. Der Verse zu »Lowkey« war ursprünglich ewig lang, ich konnte einfach nicht aufhören. Dass ich ihn dann im »Lowkey Edit« durch dieses Rauschen unterbrochen habe, drückt das aus. Solche Experimente funktionieren für mein Empfinden im Playlist-Kontext besonders gut.

»Ich glaube, viele Leute feiern mich auch, weil ich auch produziere und sie die Beats geil finden. Trotzdem würde ein Instrumental-Song im klassischen Album-Kontext nicht oft gehört werden.«

Dadurch können Fans ähnlich wie bei »The Life of Pablo« ein Stück Einblick in deinen Schaffensprozess gewinnen.
Zu »Pablo« ging damals auch mal eine zip-Datei mit Mixes durchs Internet, in denen Songs noch ganz anders klangen. Das war nichts Offizielles, vermutlich hat es jemand auf Reddit geteilt. Das fand ich als Fan unheimlich spannend und hatte das Gefühl, ihm bei der Arbeit zuzusehen. Es gibt zwar diese »Wir zeigen, wie der Beat zu XYZ entstanden ist«-Videos, die finde ich aber relativ fake. Dann zeigt halt jemand, wo er die Kick und die Snare eingefügt hat und du hörst, wie die Einzelspuren klingen, erfährst aber nicht, wie der Song entstanden ist. Ich häng auch viel auf Whosampled und höre bei neuen Alben alle Samples nach, weil mich das einfach interessiert.

Foto: Laura Vanselow

Früher gab es auf Maxi-CDs häufig Demo-Versionen – vermutlich, um den Preis zu rechtfertigen, ein paar Leute wird es aber interessiert haben.
Es interessiert halt nur einen kleinen Bruchteil. Dem Normalverbraucher ist egal, wie das Instrumental, die Demo oder der Bass alleine klingt. Den Normalverbraucher interessiert aber auch nicht, wie ich mein Playlist-Album mache. Der denkt nur: »Cool, neuer Ahzumjot-Song«. Vielen wird das so gehen. Das ist aber auch okay. Jeder kann das Album nutzen, wie er möchte. Einige Leute haben kommentiert, dass sie warten wollen, bis es fertig ist, um es am Stück zu hören. Vielleicht gibt es Leute, die nur den Instrumental-Song hören. Fair enough.

Du hast tatsächlich wenig Anleitung gegeben, neben einem Satz, der die Playlist auf allen digitalen Plattformen begleitet: »Mein Raum ist in der Zeit stehen geblieben, aber er verändert sich jeden Tag.«
Es gibt auch eine persönliche Interpretation für diesen Satz. Ich bin ein Mensch mit sehr festen Überzeugungen. Deshalb erwähne ich nicht ungern meine Bruhs und meine Arbeitsweisen. Ich lasse mich aber auch sehr gerne von jemandem überzeugen und von meiner Meinung abbringen. So ist auch meine Karriere verlaufen. Ich bin vom DIY-Gedanken zum Major Label und wieder zum DIY-Gedanken zurück. Alles, was ich getan habe, vielleicht alles, was ein Mensch tut, passiert in dem Moment aus fester Überzeugung. Diese Überzeugung ändert sich aber ständig. Im Endeffekt spiegelt der Playlist-Aspekt des Releases diesen Aspekt des Lebens wieder. Der Song »Retail« wird sich nicht mehr ändern. Vielleicht aber doch. Irgendwann wird es ein Ende geben, ein limitiertes Vinyl-Release und dann ist das Album fertig. Ich kann aber nicht versprechen, dass ich nicht in zwei Jahren das Bedürfnis habe, plötzlich doch noch etwas hinzuzufügen oder wegzunehmen. Es gibt einzelne Songs auf meinen Alben »Monty« und »Nix Mehr Egal«, die ich hasse. Wenn ich jetzt die Möglichkeit hätte, die zu ersetzen, würde ich es sofort tun.

Ist es nicht schade, wenn dadurch das Album als Status Quo-Statement eines Künstlers zu einem bestimmten Zeitpunkt seiner Karriere an Bedeutung verliert?
Klar. Jay-Z hat mal erwähnt, dass »Sunshine« sein Song ist, den er am meisten hasst. Ich liebe diesen Song. Könnte er den einfach aus dem Internet löschen, würde mich das ankotzen. Von daher verstehe ich auch den Fan, der sagt, er kann mit diesem Konzept nichts anfangen. Ich sehe mich als Musiker und Künstler, aber nicht als Dienstleister.

Wäre ein Projekt wie dieses möglich, wenn du noch Major-Künstler wärst?
Das wäre der Horror. Es gibt in dieser Industrie Dinge, die mehr oder weniger klug sind. Das Einzige, was man wirklich »falsch« machen kann, ist aber meiner Meinung nach, nicht genau das zu machen, worauf man Bock hat. Die besten Sachen sind oft aus Intuition entstanden. So arbeiten aber Labels nicht. Die versuchen, zu berechnen, was am lukrativsten ist. Das kann man aber schwer berechnen, weil Musik immer noch etwas sehr Emotionales ist. Dem Fan ist auch egal, wie sehr ein Künstler seinen Erfolg berechnet. Der feiert halt, was er feiert.

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