Ahzumjot: »Ich glaube, dass es heutzutage einfach gut ankommt, über seine Ängste zu sprechen.« // Interview

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Ahzumjot_credit_Amin Oussar

Ahzumjots 2011er Debüt »Monty« in Eigenregie und sein Major-Einstand »Nix mehr egal« wurden bereits vielfach besprochen. Auch der Crockstahzumjot-Burger war nicht der Anlass dieser Unterhaltung, sondern der Umstand, dass Alan im Oktober vergangenen Jahres mit der »Minus«-EP seine persönliche neue Spielzeit eingeleitet hat. Direkt fast forward zum Sommer ’16: »16QT02: Tag Drei« wurde beinahe über Nacht rausgefeuert, begeistert seitdem die Blogosphäre und findet sich in (Halb)jahresbestenlisten wieder. Denn der Sound auf dem Gratis-Projekt ergänzt die darin eingeflochtene »Minus«-EP noch mal kaleidoskopisch um eine Vielzahl an Facetten. Ob es sich dabei um ein Album, ein Mixtape oder eine Platte handelt, bleibt jedem selbst überlassen. Was wiederum deutlich macht: Ahzumjot hat die Rundsicht. Bevor es im November mit Homie Lance Butters auf »Lassensedis«-Tour geht gibt es hier einen Statusbericht über den kreativen Prozess, Pläne und Perfektionismus.

Dein aktuelles Projekt beginnt mit einem Zitat von Chance The Rapper aus dem Zane-Lowe-Interview: »It was kind of to throw out a beak and let everybody see what could come off a free artist. And I wanted people to associate those words and to see – you know – an independent artist’s independence.« War die »Minus«-EP ein Köder?
(lacht) Das Zitat bezieht sich weniger auf die »Minus«-EP oder den Ansatz, einen Köder auszuwerfen, sondern generell darauf, was ein freier Künstler aus der Unabhängigkeit heraus entstehen lassen kann. Bei mir steht im Vordergrund, dass ich nichts mehr aufgrund einer Nachfrage von Fans, Labels oder Hypemaschinen machen will, sondern alles aus einem eigenen Drang heraus. So wie ich Bock habe.

Würdest du dich noch als einen Underdog in der Szene bezeichnen?
Irgendwie schon. Ich bin jetzt nicht krass bekannt und vielleicht wird sich das nie ändern. Mir ist es gleich. Natürlich mag ich es gerne, vor vielen Leuten auf der Bühne zu stehen und natürlich würde ich gerne noch verrücktere Sachen machen und Veröffentlichungstechniken anwenden. Ich bin jetzt schon einen gewagten Schritt gegangen, indem ich dieses Jahr vier Projekte rausbringe: Jedes Quartal ein Release for free und ohne Promo, Wirbel und was weiß ich. Ich stehe mir mit meinen eigenen Veröffentlichungstechniken natürlich immer selbst im Weg. (lacht) Aber ich habe einfach Lust darauf. Klar, wenn ich erfolgreicher wäre, hätte ich auch mehr Kohle und könnte mehr in Videos, Aktionen und Merchandise stecken. Das hat auch seine Vorteile.

Aber es ist momentan erträglich, oder?
Mir macht es riesigen Spaß. Ich mag Musik so sehr wie nie zuvor. Tatsächlich habe ich schon öfter gehört, dass man merkt, wie gut mir die Freiheit tut. Es ist für mich momentan einfach das Wichtigste und ich würde das auch nicht für noch mehr Geld aufgeben wollen. Denn entweder lieben die Leute mich für das, was ich jetzt mache oder sie lassen’s. Ich habe keine Lust, mich zu verstellen.

Welche Rolle spielt dabei das Team hinter dir?
Ich bin immer noch ein sehr autarker Künstler und Kontrollfreak. Ich mache vieles selbst: Nehme mich auf, produziere meine Sachen zum Großteil, mische, mastere und mache hier und da sogar Designs. Das geht bis hin zum Schneiden von Videomaterial. Aber mein Team ist dabei immer ein wichtiger Faktor. Mit Lev (früher Levon Supreme Anm. d. Verf.) produziere ich zum Beispiel viel zusammen. Er ist immer irgendwie involviert. Dann gibt es auch Leute wie ZirkusZirkus, der sich mit der Art Direction beschäftigt. Wir haben ähnliche Geschmäcker, er fühlt das, was ich mache und ich mag seine Kollektionen. Daneben gehören auch noch viele andere Jungs dazu. Selbst wenn man nur zusammen abhängt, ist das ein guter Input. Es ist wie ein kleines kreatives Kollektiv. Das ist eine relativ amerikanische Weise, damit umzugehen, was man im HipHop ja oft sieht: Die haben alle ihre Crews und man weiß nie so ganz, was jeder macht, aber jeder ist für das große Ganze wichtig.

Sind feste, äußere Strukturen für dich essenziell, um kreativ sein zu können?
Dass ich mein Studio wieder zu Hause habe, ist Fluch und Segen zugleich. Einerseits muss ich nur aufstehen und das Zimmer wechseln, was auf jeden Fall wichtig für mich ist. Andererseits macht man dann nicht immer wirklich Feierabend. Du wolltest vielleicht gerade mit deiner Freundin was essen gehen und bist dann so: »Ah, warte, ich habe noch kurz eine Idee. Ich brauche nur eine halbe Stunde.« Und dann sitze ich da noch fünf Stunden. Eine feste Struktur ist natürlich auch, noch einen Nebenjob zu haben, der einem zumindest ein bisschen finanzielle Sicherheit gewährt. Das ist für mich ebenso wichtig, denn wenn ich mein Geld verdiene und meine Miete bezahlt ist, kann ich in der Musik so frei wie möglich sein und machen, was ich will.

 

Du sprichst in deiner Musik auch über die Unsicherheit des Lebens und damit verbundene Ängste. Findest du, dass viele Leute heutzutage einen zu sicheren Weg gehen wollen?
Ich habe das Gefühl, dass niemand mehr einen sicheren Weg geht. Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich mein Leben lang Rapper, Produzent oder überhaupt Musiker sein will. Vielleicht will ich in zehn Jahren etwas ganz anderes machen. Jetzt gerade liebe ich das. Es klingt zwar unfassbar Generation-blablabla-mäßig, aber: Ich lebe schon für den Moment. Und was mich jetzt gerade glücklich macht, nehme ich mir in dem Sinne auch – wie ein Krimineller. Ich zu lange zu viel über die Zukunft nachgedacht. Dabei habe ich mich schnell in Dinge verrannt. Nach der Professionalisierung meiner Mucke und den Echos von allen Seiten habe ich gedacht gedacht, dass ich in fünf Jahren ein Superstar sein werde. Wird man es nicht, ist man im ersten Moment enttäuscht. Und Enttäuschungen begründen sich auf Hoffnungen und Erwartungen, die wiederum ein Resultat aus einer Planung für die Zukunft sind. Klingt richtig esoterisch, aber wenn man sich damit abgefunden hat, dass Dinge sich verändern und man vieles nicht selbst kontrollieren kann, lebt man gechillter. Sobald man anfängt, sich so sehr auf das Jetzt zu konzentrieren, dass die Zukunft fast nur noch positiv laufen kann, ist eigentlich alles total geil.

Bei vielen Rappern hat man aber das Gefühl, dass sie die eigenen Ängste entweder gar nicht oder sehr klebrig reflektieren.
Ich glaube, dass es heutzutage einfach gut ankommt, über seine Ängste zu sprechen. Durch Rapper wie Casper, Prinz Pi, Gerard, Olson und auch mich ist es en vogue geworden. Es gibt trotzdem viele, die darüber rappen, sich aber in ihren anderen Songs komplett widersprechen und damit zeigen, wie hohl sie eigentlich sind. »Boah, die Zukunft, Karma. Und ich bin ja so reflektiert.« (lacht) Ich habe sowieso immer das Gefühl, dass alle Rapplatten voll sind mit Songs, die alles einmal abdecken. Das war schon immer so: Die krasse Rap-Nummer, der Song für den Club, irgendwas mit Liebe und das Prollgelaber über die eigene Härte. Aber dann hast du auch immer den einen Song, der von Selbstreflektion und deinen Ängsten handelt. Der weiche Kern unter der obligatorischen harten Schale verkauft sich halt.

Auf »Nix mehr egal« wirkten deine Texte etwas verkrampft, auf »16QT02: Tag Drei« ist alles wieder instinktiver abgelaufen, oder?
Ich mache alles aus dem Affekt heraus, weil ich vor allem in der Phase von »Nix mehr egal« gemerkt habe: Je stärker ich mich verkopfe, desto weniger nachvollziehbar und on Point sind die Texte. Ich verkünstel mich dann extrem. »Nix mehr egal« ist lyrisch sicherlich das besser zitierbare Album. Auf Instagram schreiben immernoch wahnsinnig viele Kids Zeilen von der Platte unter ihre Bilder. Bei »Minus« und »16QT02« ergeben die Zeilen erst im Zusammenhang richtig Sinn, weshalb die Kids jetzt immer direkt acht Zeilen aufschreiben. Ich habe diese für sich stehenden T-Shirt-Sprüche nicht und würde mich auch nicht als begnadeten Songwriter bezeichnen. Ich glaube, wenn Leute sich damit identifizieren können, mögen die den Vibe und die Delivery. Mädness hat bei unserem gemeinsamen Song Gänsehaut bei der Zeile bekommen: »Erfolg und Ruhm war auch mal meine Bibel. Was ich heute brauch‘, sind meine Frau, die Bruhs und die Familie.« Eigentlich eine krass simple Zeile, die wahrscheinlich jeder schon hatte, aber ich sage das an der richtigen Stelle mit solch einer Dringlichkeit, dass man es fühlt. Einerseits widerspricht das dem Zeitlosigkeitsgedanken. Aber für mich fühlt es sich zeitlos an.

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