»4:44« Track-by-Track: JAY-Z auf Herz und Nieren geprüft // Feature

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8. »Moonlight«
Sample: The Fugees »Fu-Gee-La« (1996)
Eine Szene-Bestandsaufnahme, die sich wohlmöglich direkt neben »D.O.A.« einreihen wird. Jay imitiert hier nicht bloß die modernen, teils bewusst vernuschelten Rap-Variationen aus inflationärem Adlib-Gerauch und Phantasielautmalerei – die auf den bisher einzigen Rapper in der Hall Of Fame für Songwriter zweifellos grotesk wirken müssen – sondern kritisiert gleichermaßen die unachtsame Leichtfertigkeit der neuen Generation im Umgang mit der Kunstform Rap: »Y’all stuck in La La Land/Even when we win, we gon‘ lose/Y’all got the same fuckin‘ flows/I don’t know who is who«. Zudem wirft er der aktuellen Rap-Generation Rückständigkeit vor: Kleidung, Themen, ja sogar Geschäftsmodelle würden arglos aus der Vergangenheit zurückgeholt, was Jay – der mit jedem Album auch immer andersartige Business-Modelle ausprobiert (man denke nur an die »#newrules« zu »MCHG«) durchaus irritiert. Mit dem »Fu-Gee-La«-Flip von No I.D. erhält »Moonlight« (neben der offensichtlichen Anspielung auf die diesjährige Oscar-Verleihung, bei der die Filme »Moonlight« und »La La Land« in der Kategorie des besten Films nominiert waren) zudem einen (HipHop-)historischen Bezugsrahmen, da Lauryn Hill ungefähr zum Release-Zeitpunkt des Fugees-Klassikers in vertragliche Schwierigkeiten geriet, wie sie 2013 in einem Blog-Eintrag öffentlich machte.

9. »Marcy Me«
Sample: Quarteto 1111 »Todo O Mundo E Ninguém« (1993)
»Brooklyn’s Finest«, »Where I’m From«, »The City Is Mine«, »Brooklyn High (We Fly)«, »Hello Brooklyn« – eine Ode an seine Herkunft, die Marcy Projects und überhaupt Brooklyn, findet sich auf fast jedem Jigga-Album. »Marcy Me« ist hier gesondert zum Albumkontext zu betrachten und eher ein nostalgischer Hood Report als eine Art versöhnlicher Stimmungswechsel. Der Gegenwartsbezug wird kurzweilig für eine sentimentale Heimreise eingetauscht, vermutlich, um sich trotz aller Schwuli- wie Rivalitäten des heutigen Lebens daran zu erinnern, wie gut das eigene doch ingesamt verlaufen ist. Zudem hagelt es geografische wie HipHop-historische Funfacts, was JAY-Z hier ein bisschen zum New York-Äquivalent des Hauptmann von Köpenick macht.

10. »Legacy«
Sample: Donny Hathaway, »Someday We’ll All Be Free« (1973)
JAY-Z wird dieses Jahr 48 – die meisten Kollegen aus seinen Anfangszeiten sind längst in Rap-Rente. Und Blue Ivy, die mittlerweile fünf ist, stellt so schlaue Fragen wie: »Daddy, was ist ein Testament?« Wo fängt man da wohl an zu erklären, wenn das eigene Privatvermögen sich auf mehr als eine geschätzte 600 Millionen Dollar beläuft? Vor allem, wenn die Mama des Sprösslings keine Hausfrau, sondern ebenfalls eine der reichsten Musikerinnen der Jetztzeit ist. Wie das Vieraugen-Gespräch mit seinem Töchterchen abgelaufen sein könnte, wird auf »Legacy« genauer beschrieben: »My stake in Roc Nation should go to you/Leave a piece for your siblings to give to their children too«. Gleichzeitig greift Hovito wie bereits auf »Watch The Throne« wieder den Begriff »Black Excellence« auf und konstatiert ernüchtert: »There was a time America wouldn’t let us ball/Those times are now back, just now called Afro-tech«. Jays Antwort lautet Abschottung: »We gon‘ start a society within a society«, rappt er, bevor er in der zweiten Strophe ein persönliches Trauma aufarbeitet: »You see, my father, son of a preacher man/Whose daughter couldn’t escape the reach of the preacher’s hand«, beschreibt er die Vergewaltigung seiner Tante durch seinen Großvater, den Priester Adnis Reeves Sr. Dass es gegen Ende eines Jigga-Albums auch gerne mal emotional und sehr persönlich werden kann, wusste man spätestens seit »You Must Love Me« vom ’97er-Opus »In My Lifetime Vol. 1« – die hier schonungslos offenbarte Nähe muss man jedoch erst mal verdauen.

Text: Fionn Birr, Laura Oberbüscher, Jakob Paur

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